Er ermutigte ihn, sich einen Döner zu holen: Vater von totem Kevin (†20) hadert nach Terror von Halle
Halle (Saale) - Der Rechtsextremist Stephan Balliet (31) hat beim Terroranschlag von Halle vor fast vier Jahren das Leben zweier Menschen eiskalt ausgelöscht und damit auch das von vielen weiteren nahezu zerstört. Überlebende und Angehörige kämpfen bis heute um ein normales Leben, doch normal ist seit dem verhängnisvollen Tag im Oktober 2019 nichts mehr, wie die ZDF-Dokumentation "Einzeltäter" zeigt.
Es sind bewegende Bilder, die der Zuschauer zu sehen bekommt: Karsten L. nimmt rund ein Jahr nach der Tat, die in ganz Deutschland für Entsetzen sorgte, im Leuna-Chemie-Stadion des Halleschen FC an einer Gedenkfeier teil.
Er ist der Vater von Kevin S. (†20), der am 9. Oktober 2019 im "Kiez-Döner" von Attentäter Balliet erschossen wurde. An Kevins Stammplatz im Stadion wurde eine Gedenktafel errichtet, es gibt kurze Redebeiträge. Nicht nur Vater Karsten bricht in Tränen aus, auch den Rednern fällt es schwer, sie zurückzuhalten. Man versucht, sich gegenseitig zu trösten.
Für den früheren Gerüstbauer ist es noch immer schwer zu begreifen, dass sein Sohn nicht mehr da ist. Sie hatten ein gutes Verhältnis, erzählt er. Und natürlich teilten sie eine Leidenschaft: die Liebe zum HFC. Dort findet Karsten L. heute Halt, fühlt sich vor allem dadurch auch jetzt noch mit seinem Jungen verbunden.
Kevin sei so stolz gewesen, weil er gerade seine Ausbildung zum Maler begonnen hatte, in einem Betrieb, in dem er sich wohlfühlte. Keine Selbstverständlichkeit, wie es scheint.
Erinnerungen: Terror-Opfer Kevin lebte wie sein Vater für den HFC
Weil er bei seiner Geburt einen epileptischen Anfall erlitten habe, hatte er es nicht immer leicht, kämpfte aber immer um ein normales Leben.
Dieses rückte mit dem Ausbildungsplatz wieder ein Stück weiter in greifbare Nähe. Ein Grund mehr, stolz auf seinen Sohn zu sein.
Kevin sei immer auf die Menschen in seiner Umgebung zugegangen und habe ihnen ehrlich gesagt, dass er eine Behinderung hatte. Das kam an - auch in der Fanszene des HFC. Dort kümmerte man sich um ihn, beschützte ihn.
Bis heute hadert Vater Karsten damit, seinen Sohn nur Minuten vor dem Anschlag telefonisch ermutigt zu haben, sich einen Döner zu holen. In dem Imbiss, wo ihn niemand beschützen konnte und in dem sein Leben ein so tragisches Ende fand.
Aufgrund der Ereignisse befindet sich Karsten in ärztlicher Behandlung, ist mit Mitte 40 bereits Frührentner. Es scheint, als würde er nur für den HFC und für die Erinnerung an seinen Sohn leben.
Manchmal habe er Phasen, in denen er Kevin real vor sich stehen sieht, in denen er mit ihm zusammensitzt und sich mit ihm über Fußball unterhält. Diese Entwicklung will sein Psychologe in den Griff bekommen: "Dr. Ullmann sagt, es ist wie ein zweites Leben. Ich bin voll real da, also ich bin richtig da, aber halt nur für Kevin. Ich schotte dann alles andere ab."
Im Gerichtsprozess hat Karsten L. die Geschichte seines Sohnes erzählt. Für Ismet Tekin, Inhaber des Kiez-Döners, in dem Kevin starb, waren diese Momente die schlimmsten: "Das hat mich fertig gemacht." Auch er kämpft Tag für Tag mit den Eindrücken der abscheulichen Tat.
ZDF-Doku "Einzeltäter" über Attentate in Halle, München und Hanau
Stephan Balliet, der am 9. Oktober 2019 einen feigen Anschlag auf eine Synagoge in Halle verüben wollte, aber scheiterte und daraufhin Kevin und die 40-jährige Jana L. erschoss, ist einer von drei Attentätern, deren Taten und ihre Folgen in der Doku-Reihe "Einzeltäter" beleuchtet werden.
Alle Folgen aus Halle, München und Hanau findet Ihr in der ZDF-Mediathek.
Titelfoto: Bildmontage: ZDF/Luise Schröder, Jan Woitas/dpa