Mädchen tot in Gebüsch am Neckar entdeckt: Im "Tatort" trügt der Schein an jeder Ecke
Stuttgart - Irgendwann hat Hanna Riedle (Mia Rainprechter) einfach die Schnauze gestrichen voll. Von dieser verstaubten Enge, der Spießigkeit, dem Holzkreuz über dem Bett und der herrischen Mutter. Hanna ergreift die Chance und auch die Flucht aus dem Kaff auf der Schwäbischen Alb. Doch der Schritt aus der Heimat heraus kostet sie ihr Leben: Erwürgt wird sie in einem Gebüsch am Neckar entdeckt. Routiniert macht sich das Ermittler-Duo Thorsten Lannert (Richy Müller, 69) und Sebastian Bootz (Felix Klare, 46) im neuen Stuttgarter "Tatort: Lass sie gehen", der am Sonntag im Ersten ausgestrahlt wird, auf die Suche nach Hannas Mörder.
Im fiktiven Ort Waldingen regiert der Inbegriff dessen, was gemeinhin als Dörflichkeit verspottet wird.
Der Stammtisch trifft sich, er lässt seinem Alltagsrassismus freien Lauf, in strengem Dialekt - und wehe, es tanzt jemand aus der Reihe. Während Bootz in Stuttgart die Spur aufnimmt, mietet sich Lannert im Gasthaus der trauernden Familie ein, um das Dorf und seine Einwohner in den Blick zu nehmen.
Denn von "Schöner Land" kann keine Rede sein, der Schein trügt an jeder Straßenecke. Nicht alle hier haben Hanna den überstürzten Abschied gegönnt.
Da gibt es die innerlich zerrissene Mutter Luise (Julika Jenkins, 53), die mit der Reue kämpft, weil sie die Tochter nach einem Streit nicht mehr sehen wollte.
"Man kann doch nicht einfach machen, was man will", ist ihr Credo, das Hanna verzweifeln ließ. Da ist der Vater Hannes (Moritz Führmann, 46), der zunehmend hilflos versucht, den Rest der Familie zusammenzuhalten und daran zerbricht. Und die kleine Schwester Emma (Irene Böhm, 20), die ihren Frust auf dem Sportplatz lässt, Runde für Runde für Runde.
Auch der gekränkte Ex-Verlobte und der unglücklich verliebte Stalker, der bei dem Mädchen abgeblitzt ist, hätten ein Motiv. Und dann ist da der Mob, der sich im Dorf rüstet, weil es ja irgendjemand gewesen sein muss.
Stuttgarter Tatort "Lass sie gehen": Lohnt sich das Einschalten?
Na ja. Die Hauptkommissare ermitteln sich versiert, teils auch ein wenig arg bieder und nicht wirklich mitreißend durch ihren 33. gemeinsamen Fall, der bisweilen etwas schemenhaft daherkommt.
Die Dörflichkeit wirkt zu tumb, während ein stets kläffender Hund, ein Wortwitz über Lannerts schokobraunen Porsche-Oldtimer hier und Gipsverbände dort etwas von der bleiernen Schwere nehmen sollen, die über dieser Folge liegt.
Seine starken Momente hat "Lass sie gehen" vor allem, wenn das Grau im dörflichen Mikrokosmos dominiert, wenn der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, zwischen familiären Pflichten und eigenen Träumen Platz erhält.
Wenn klar wird, dass eine persönliche Entscheidung Konsequenzen haben kann nicht nur für den Menschen selbst, sondern für ein ganzes Gefüge.
Und wenn schließlich im Showdown im spektakulären Corpus der Stuttgarter Stadtbibliothek deutlich wird, dass auch ein grausam banaler Zufall eine tragende, eine schicksalhafte Rolle spielen kann.
Titelfoto: SWR/Benoît Linder