Blamage der "Tagesschau": Wurde Interview mit WDR-Mitarbeiterin gestellt?
Hamburg - Die Tagesschau sendete am Montag einen Beitrag, in dem offenbar eine eigene Mitarbeiterin als zufällige Passantin dargestellt wurde. Es hagelt mächtig Kritik. Die ARD zog den Beitrag bereits zurück.
Der Beitrag handelte um eine Preis-Aktion des Discounters Penny. Dieser verlangt in einer Aktion für ausgewählte Produkte die "wahren Preise", worin Umweltfolgekosten sowie gesellschaftliche Kosten aufgrund von Gesundheitsschäden mit einkalkuliert sind.
Penny will die Mehreinnahmen an Klimaschutzprojekte spenden.
In dem Beitrag der ARD wurde in einem Penny-Supermarkt unter anderem eine junge Frau befragt, was diese von der Aktion halte. Ihr Name wurde eingeblendet: Hanna Mertens.
Diese gab an, dass sie die Aktion gut fände, "weil es zum Nachdenken anregt": "Normalerweise denkt man nicht darüber nach, dass Fleisch so und so viel Aufschlag hat", fügte sie hinzu.
Nur: Der Twitter-User "Argo Nerd", der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk offenbar besonders kritisch gegenübersteht, recherchierte nach ihrem Namen und fand heraus, dass die interviewte Frau wohl selbst für den WDR arbeitet, welcher Teil der ARD ist.
Eine Hannah Mertens, also mit einem "h" mehr, arbeitet für den WDR5 und ihr Twitter-Profilbild ähnelt der Frau aus dem Beitrag sehr.
Wurde das Interview nur "gespielt"?
Der Verdacht liegt also nahe, dass diese Frau sich nur als Kundin ausgab, tatsächlich Teil des Produktionsteams war und so ihre private Meinung kundtat.
Die "Bild" konfrontierte schließlich die ARD mit dem Recherche-Ergebnis.
Diese nahm daraufhin den Beitrag aus ihrer Mediathek und gab der Zeitung gegenüber an: "Die gezeigte O-Ton-Sequenz im von uns produzierten Beitrag hätte so nicht gesendet werden dürfen. Kolleginnen oder Kollegen zu interviewen entspricht nicht den journalistischen Standards."
ARD und WDR-Chef mit fragwürdigen Erklärungsversuchen
Beim Versuch, den Fall zu klären, hatte die Tagesschau zunächst behauptet, dass die junge Frau nur zufällig im Penny einkaufen war und außerdem zum Zeitpunkt der Produktion nicht bekannt war, dass sie beim WDR arbeitet.
Dieser "Transparenzhinweis" wurde aber gelöscht.
Jetzt schreibt die ARD unter dem Beitrag vom Montag, dass der Beitrag "Wahre Kosten" "nicht unseren journalistischen Standards" entspricht und diesen deshalb nachträglich bearbeitet hat. Der O-Ton von Mertens ist aus dem Beitrag verschwunden.
WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg erklärte zudem in den sozialen Netzwerken, dass Merten nicht bei der Tagesschau arbeite und sich dem TV-Team gegenüber als WDR-Kollegin zu erkennen gab.
Es handle sich um einen Fehler, der nicht auf Hannah Mertens zurückzuführen sei.
Kommentar: Warum ist dieser Fall ein Problem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Kommentar von TAG24-Redakteur Alexander Angierski
Es gilt die Unschuldsvermutung. Es kann wirklich sein, dass es sich um ein Zufall handelte und die für den WDR arbeitende Frau zufällig im Penny einkaufen war. Aber allein der Verdacht, dass das Interview inszeniert wurde, schadet der ARD sehr.
Denn wahr ist, dass es wohl tatsächlich die Meinung der jungen Frau ist und warum sollte diese nicht in einem Tagesschau-Beitrag abgebildet sein? Was spielt es für eine Rolle, ob sie wirklich gerade im Penny einkaufen war?
Problematisch wird es aber bei der Frage, ob das Produktionsteam die Meinung eines fiktiven Kollegen abgebildet hätte, der vielleicht eine gegensätzliche Position innehat. Wer selektiert in einem öffentlich-rechtlich finanzierten Sender diese Meinung? Und warum?
Genau wegen dieser Fragen wäre eine Inszenierung fatal. Denn problematisch ist nicht die dargestellte Meinung der Frau an sich, sondern die Art und Weise, wie sie den Weg in die Tagesschau schaffte.
Das untergräbt gehörig den Glaubwürdigkeitsanspruch der Institution Tagesschau, wenn sich der Zuschauer nicht darauf verlassen kann, wie hoch der Anteil an Inszenierung ist, auch wenn es sich lediglich um Meinungs-Kommentare handelt.
Der Anteil der Inszenierung sollte bei absolut null liegen.
Titelfoto: Bildmontage: 123RF/bwylezich, ARD aktuell/dpa