Sind wir alle "unterkuschelt"? Leipziger Wissenschaftler erforschen die Wichtigkeit von Berührung
Leipzig - Über das Smartphone sind wir innerhalb von wenigen Sekunden mit Menschen aus der ganzen Welt verbunden. Gleichzeitig bleiben analoge Berührungen und Begegnungen auf der Strecke, viele Menschen sehnen sich nach Nähe - das Format "MDR Wissen" hat sich der Frage gewidmet, warum das "Kuscheln" für uns so wichtig ist und welche gesundheitlichen Vorteile damit einhergehen.
Psychologe Martin Grunwald hat am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig ein eigenes Haptik-Forschungslabor eingerichtet und untersucht dort den Einfluss von Berührungen auf das menschliche Verhalten.
"Bereits in sehr frühen Phasen des menschlichen Lebens findet die Kontaktentwicklung mit der Umwelt statt. Auch ein Embryo von wenigen Zentimetern kann in der siebten Wochen bereits auf Berührungsreize reagieren", weiß der Wissenschaftler.
Vor allem bei Neugeborenen sind Berührungen essenziell - sie brauchen das sogenannte "Bonding" mit ihrer Mutter schon wenige Sekunden nach der Geburt, um ihre Atmung zu stabilisieren und Oxytocin auszuschütten, das sogenannte "Kuschelhormon", welches Glücksgefühle hervorruft und Vertrauen in das Gegenüber steigert.
Aber auch bei erwachsenen Menschen rufen Berührung und Streicheln eine Reihe von positiven Effekten auf Körper und Geist hervor, wie ein Versuch im Haptiklabor von Martin Grunwald zeigt.
Testperson Jette wird an EEG-Messsensoren angeschlossen, welche ihre hirnelektrische Aktivität erfassen sollen. Zunächst befindet sich die junge Frau alleine in Labor, später kommt eine Physiotherapeutin dazu, die Jette für etwa zehn Minuten sanft massiert.
Menschenaffen setzen soziale Fellpflege auch zu taktischen Zwecken ein
"Wie wir sehen können, werden die Hirnaktivitäten während der Massage sichtbar langsamer, Hirn, Muskeln und Körper entspannen sich. Die Herzfrequenz verlangsamt sich ebenfalls, das Stresshormon Cortisol wird weniger", beschreibt Martin Grundwald die Ergebnisse des Versuchs.
Vor allem bei einer gewissen Regelmäßigkeit von Massagen oder ähnlichen Berührungen kann auch das Immunsystem kräftigen.
"Man sollte sich im freundschaftlichen oder familiären Kontext bewusst machen, dass die Berührung eines Kindes oder eines Partners viel mehr bedeuten und Gutes spenden kann, als man annimmt", folgert der Wissenschaftler.
Erkenntnisse über die Wurzeln dieses menschlichen Verhaltens werden seit Jahren am Max-Planck-Institut in Leipzig erforscht.
Diese beobachten vor allem das Verhalten von einer Gruppe Schimpansen aus dem Nationalpark Taï in Westafrika. "Schimpansen sind Meister der sozialen Fellpflege, also des 'Groomings'. Auf der einen Seite halten sie so ihr Fell sauber, auf der andern ist es eine soziale Funktion, die Aufschluss auf die Beziehung der Tiere untereinander zulässt", so Doktor Roman Wittig, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
So könne das "Grooming" auch beispielsweise dann zum Einsatz kommen, wenn sich zwei Tiere innerhalb der Gruppe nicht verstehen und sie so ihr Vertrauen zueinander stärken sollen.
Mehr Infos zum Thema "Kuscheln" und die gesamte Doku findet Ihr in der >>> MDR-Mediathek.
Titelfoto: Screenshot MDR