RTL-Reporter erfand mehr für "Punkt 12" als bisher bekannt
Hamburg/Köln - Erfundene Schicksale, verfälschte Selbst-Experimente, Schummel mit Archivbildern: Nachdem sich der Privatsender RTL wegen Manipulationsvorwürfen von einem Reporter getrennt hat, zeichnet sich nun das ganze Ausmaß ab.
Wie der Sender am Mittwoch in Köln berichtete, hatte er im Juni sofort "eine umfängliche Verifizierung aller Beiträge des ehemaligen Mitarbeiters" eingeleitet.
Nach neuen Erkenntnissen hat der Ex-Mitarbeiter von RTL Nord das Fernsehpublikum offensichtlich deutlich häufiger getäuscht als zunächst bekannt.
Die Verfahren, mit denen Beiträge abgenommen werden, wurden überprüft.
Ein Team von sechs Leuten hatte laut der Mitteilung alle 104 Reportagen des früheren Mitarbeiters - "vornehmlich für das Mittagsjournal 'Punkt 12'" - gesichtet.
Hatten zunächst sieben manipulierte Beiträge in Rede gestanden - darunter beispielsweise ein erfundenes Interview mit Lionel Richie -, hat das Team inzwischen 14 weitere Manipulationsfälle aufgedeckt.
Darüber hinaus gebe es "weitere Verdachtsmomente, die noch nicht abschließend verifiziert" werden konnten, hieß es.
"Über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren hat der Reporter demnach sowohl die eigene Redaktion als auch die Zuschauer immer wieder systematisch und vorsätzlich getäuscht."
RTL erkennt Muster in den Manipulationen
Bei den nun nachgewiesenen Manipulationen seien drei wiederkehrende Muster erkennbar: "Zum einen täuschte der Reporter bei Selbstversuchen mehrmals die angebliche Dauer seiner Experimente vor.
Beispielsweise habe er im Jahr 2009 ein Obdachlosen-Experiment gedreht und gab in seiner Reportage darüber vor, eine Nacht auf der Straße geschlafen zu haben. Doch ein Kameramann und eine weitere Zeugin haben nun ausgesagt, dass der Reporter zwischendurch zu Hause geschlafen hat.
"Zum anderen hat der Reporter mehrfach Menschen dazu überredet, Dinge zu behaupten, die ihnen niemals widerfahren sind oder Geschichten nachzuerzählen, die ihm Protagonisten, die nicht gefilmt werden wollten, berichtet hatten. Dabei wurde zumeist verdeckt gedreht."
"Der Reporter gab gegenüber den Protagonisten vor, Szenen nur nachzustellen, band sie dann aber in seine Beiträge als 'echte', verfremdete Szenen ein. Darüber hinaus nutzte der Reporter häufig Archivbilder, um seine Thesen zu untermauern und seine Beiträge stärker zu machen. Doch anstatt dies kenntlich zu machen, suggerierte er mehrmals, dass er die Bilder frisch gedreht habe."
RTL-Chefredakteur Michael Wulf reagierte bestürzt: "Wir sind erschrocken, dass trotz unserer umfangreichen Kontrollmechanismen ein Mitarbeiter über Jahre hinweg vorsätzlich täuschen und manipulieren konnte. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit dem Qualitätsmanagement unsere Abnahmeverfahren deutlich ausgebaut und werden zusätzlich Beiträge von unseren Reportern stichprobenartig kontrollieren."
Aufgeflogen ist der Betrüger durch eine aufmerksame Kollegin.
Titelfoto: TVNow