Berühmter Fußball-Star in Berlin-Marzahn ermordet
Von Björn Strauss
Berlin - Wieso wissen Filme-Macher offenbar über alles Bescheid, die Polizei aber nicht? Wieder rückt Berlin in den Mittelpunkt einer weiteren Drama-Serie. Wieder stinkt's in allen Gassen. Selbst im Berliner Speckgürtel qualmt's...
Was für ein Hundeleben im Ghetto! Wieso liegt ein toter Nationalspieler in Berlin-Marzahn auf dem Rasen? Musste es ein Sportler mit türkischen Wurzeln sein? Wo ist sein kleiner Finger? Warum rennt ein Polizist nachts in Adiletten und mit Kind auf dem Arm durch 'n Kiez? Wieso würgt des Fußballers Hund den Finger aus?
Und überhaupt: Wieso brennt Berlin? Warum eigentlich ist's immer grau und trist in Berlin, wenn die >> Netflix-Kameras draufhalten aufs Elend unter den Kulturen?
"Dogs of Berlin" ist die nächste hoch dramatische Hauptstadt-Serie, die nach "4 Blocks" und "Beat" und "You are wanted", "Babylon" oder "Berlin Station" unters Serien-Volk gebracht wurde.
Vorweg: Es gibt Kritiker, die sich an den anfänglich äußerst dumpfen Dialogen unter Polizisten stören oder auch daran, dass eine junge Ex-Kriminelle eine Ladenbesitzerin anpisst (ja, im wahrsten Sinne des Wortes) oder daran, dass "Dogs of Berlin" nicht so gut sei wie "4 Blocks". Will es nicht, kann es nicht, braucht es nicht. Vielleicht haben die Kritiker tatsächlich nur in die erste Folge gezappt - aber das greift zu kurz.
Doch der Reihe nach: Wieso häufen sich besonders in der ersten Folge sämtliche Klischees, alle Zufälle und viele Plattitüden? Warum wird im Auto immer gerappt? Ein Baby-Rapper darf ein wenig Dünnes singen und so sein Hobby ausleben (geschenkt, diesen Part spielt übrigens Mohamed Issa, der ehemalige Lindenstraßen-Flüchtling). Selbst Rapper Haftbefehl fehlt nicht... (wie witzig), schließlich hat ja jeder Clan seinen Sprechsinger (GangstaRap, wie süß).
Rassenkonflikte, Drogen, Wetten, Hunde... - weniger wäre mehr
Weshalb startet die Serie nicht gleich mit der zweiten Folge? Denn schon Folge Nummer 2 schaut sich tatsächlich so rasant an wie ein Fußball-Spiel (soll das etwa Yussuf Poulsen sein, ja, der vom RB, der da zu einer Roten Karte erpresst wird?).
Groteske Schnitte, sirrende Nahaufnahmen (ok, die nerven, wenn's bis zur Warze am Fuß geht), Tränen, Gewalt, Drogen, Bestechung, Wetten und Betrug - normales Kotti-Leben eben.
Wir werden allzu oft nach Berlin-Marzahn mitgenommen (feines DDR-Grau bestimmt den Bildschirm und äußerst hässliche Tapeten in den Wohnungen) - was in "4 Blocks" Neukölln war, ist jetzt eben der Osten. Irgendwie aber stinkt es doch anders... Nach Clan-Wettbetrug und Nazis - und - na, klar - nach Korruption.
Es steckt also viel drin in Christian Alvarts Serie (er ist Autor, Regisseur und Co-Produzent). Und ja, auch "Tschiller off" (den öden Schweiger'schen "Tatort"-Flop) inszenierte er einst. "Dogs of Berlin" ist seine erste Serie. Und leider erinnern einige Dialoge irgendwie an Til Schweiger. (Keine Angst, die Zwiegespräche werden besser im Laufe der Zeit.)
"Dogs of Berlin" ist viril, düster und rau, radikal, voll Tempo und Blut. Doch vergessen wir bei aller Kritik nicht: Es ist ("nur") Unterhaltung, meist gute.
"Dogs of Berlin" will Doppelmoral aufdecken und Grautöne zeigen
Die Ermittlungen der ungleichen Kommissare Felix Kramer (deutscher Kommissar mit Nazi-Hintergrund, der gleich zwei Frauen beglückt) und Fahri Yardim (ups, ein schwuler Türke, krass, eyyy) laufen quasi rückwärts - sechs Tage lang - in zehn Teilen quer durch No-Go-Areas. Verschuldeter Bulle - netter Bulle... Guter Bulle - böser Bulle, oder doch nicht?
Und die Frauen? Sind sie diesmal wie in "4 Blocks" nur geschminkte "Opfer, eyyy"?
Anna Maria Mühe als das ewige Kommissars-Liebchen (zwei Kinder, auf Hartz-IV und Alkohol, arbeitet schwarz bei einer Telefon-Sexhotline - gähn!) ist einfach wunderbar, oft nackt sowie ziemlich sexuell drauf. Herz und Verstand bringt sie wundervoll rüber (perfekt, aber fast ein bisschen zu schön für ihr Milieu). Dann als Obdachlose behält sie sogar ihre falschen, langen, bunten Fingernägel... und landet irgendwann bei der Frau des Kommissars in Paulas Geschäft (ach, nee. Berlin ist ein Dorf).
Katrin Sass ist die "rechte Oma Eva" (also die rechte Nazi-Oma!!!). Ihr subtiles Spiel macht einem tatsächlich Angst. Da schaudert's einen fast mehr als der freie Blick auf zerschossene Körperteile, offene Unterschenkel oder Kniescheiben.
Mord wegen Hundekot?
Und die blass wirkende Ehefrau des deutschen Kommissars?
Auch sie hat es nicht leicht. Aber da greift "frau" halt zu Tabletten, Suff und Seitensprung - wenn "frau" schon im eigenen kleinen Laden angepullert wird und der raubeinige Mann in seiner Dienststelle dauernd zwischen Korruption, Liebchen und Blut hin und her gerissen wird, bis sie dann sich fängt. Katharina Schüttler, sie spielt die "graue" Paula aus "Paulas Little Shop" am Senefelder Platz, macht das alles ebenso unübertrieben gut.
Mit einem Wort: Wer die Vierbeiner von Berlin mit "4 Blocks" vergleichen will, soll das tun. Er wird allerdings nicht glücklich damit. Glücklich aber wird, wer sich einlässt auf die raue, schmutzige Hauptstadt, auf gutes Spiel und gekonnt verwobene Bilder, auf flache Ghettosprache und Korruption bis in hohe Beamten-Kreise.
Also, nur Mut, schaltet rein ins arme Hundeleben Berlins! Aber Vorsicht, eigentlich darf man in dem Wust der unzähligen Figuren (man munkelt von 250!) nicht wegschauen - sonst ist er weg, der rote Faden, bei dem selbst Serien-Macher Christian Alvart Schwierigkeiten hatte, ihn unter einen Hut zu bekommen... bis alles außer Kontrolle gerät und Berlin brennt und ein Mörder präsentiert wird, denn niedlich schaut wirklich nur der Hund. Wuff!
Titelfoto: PR/netflix/Dogs of Berlin