"Hartes Deutschland" aus Leipzig: Das macht die Drogensucht mit jungen Leuten
Leipzig - Das Leben auf der Straße ist hart, doch für viele Menschen scheint es keinen Ausweg zu geben. Einige von ihnen versinken in einem tiefen Sumpf aus Drogen, Obdachlosigkeit und Perspektivlosigkeit. RTLZWEI widmet genau diesen Menschen in "Hartes Deutschland - Leben im Brennpunkt" eine eigene Sendung. Dabei werden die Protagonisten keineswegs vorgeführt und für die stumpfe Unterhaltung der Zuschauer ausgenutzt. Vielmehr hat die Dokumentation eine aufklärende Rolle, ganz besonders für junge Menschen. Denn Drogen führen gerade bei ihnen zu Beeinträchtigungen in der Entwicklung. In der letzten Folge wurden Leipziger in ihrem tristen Alltag begleitet.
Crystal Meth ist DIE Droge im südostdeutschen Raum. Die Anzahl an crystalabhängigen Männern bis 40 Jahre ist sechsmal höher als im restlichen Bundesgebiet.
Das Methamphetamin wird in großen Mengen in den Nachbarländern Tschechien und Polen produziert. Fünf bis zehn Tonnen allein dieser Droge sollen in tschechischen Drogenküchen Jahr für Jahr entstehen - mit tödlichen Folgen. 19 Rauschgifttote gab es 2018 in Sachsen, zehn davon in Leipzig. 2017 waren es im gesamten Freistaat "nur" 16.
Den verheerenden Folgen seines Drogenkonsums bewusst, ist sich unter anderem Jason. Weg von den illegalen Stoffen kommt er dennoch nicht. In einem leerstehenden Abrissgebäude im Stadtteil Möckern haust er mit anderen jungen Wohnungslosen. Crystal bestimmt ihren Tagesablauf.
Seit sechs Jahren war Jason nicht mehr bei seinen Eltern, das Jugendamt ist sein Vormund. "Meine Mutter will von mir auch nichts mehr hören." Einen Abschluss hat er nicht, Schulen hätten Angst vor ihm, da er keinen festen Wohnsitz und keinen Schulbegleiter hat, erzählt er. "Ich will was lernen!"
Mit seinem besten Kumpel Ricky zog Jason weiter in den westlichen Leipziger Ortsteil Plagwitz. Eine ehemalige Druckerei ist zum neuen Unterschlupf für die beiden jungen Männer geworden. Auch Ricky ist abhängig, raucht Gras und nimmt Crystal. Von Speed, Kokain und Ecstasy und Liquid Ecstacy ist er weg, sagt der seit 2012 Obdachlose. An Weihnachten wurde er nach einer Überdosis reanimiert. Und trotz dieses heftigen Erlebnisses schafft Ricky den Absprung nicht.
Ein Reporter begleitete Jason zum Jugendamt nahe des Augustusplatzes. Dort darf er sich dreimal die Woche Taschengeld abholen, insgesamt 80 Euro sind das. Es ist kurz vor 12 Uhr, doch die Sachbearbeiter sind aktuell nicht da. Er solle 14 Uhr zurückkommen, sagt ein Angestellter. Jason wird böse, beschimpft ihn. Er lässt nicht locker und bekommt das Geld früher.
Von den 30 Euro kauft er sich aber keine Lebensmittel. Der Junkie geht in eine Bar, in der er sich regelmäßig Drogen besorgt.
Gabi (76) kümmert sich seit 25 Jahren um Kinder in Not
Anlaufstelle für viele Leipziger Straßenkinder ist der Hilfsverein Tante E. nahe der Eisenbahnstraße, einem der Hotspots der Messestadt in Sachen Kriminalität, Gewalt und Drogen.
Gründerin Gabi Edler leitet ihn seit 25 Jahren. Die 76-jährige frühere Straßenbahnfahrerin sah bei ihrer Arbeit immer wieder bedürftige Kinder und fing an, sich um sie zu kümmern. So wurde der Straßenkinder e.V. ins Leben gerufen.
Bei Tante E., wie alle die Rentnerin nennen, bekommen sie Essen, Kleidung und Aufmerksamkeit - finanziert durch Spenden. "Alle, die kommen und mir was geben, sagen: 'Tante E., wir wissen, Du gibst es Deinen Kindern.' Das wissen die alle, einer muss es ja machen."
Sogar im Gefängnis besuchte die 76-Jährige ihre Schützlinge schon. "Na klar, wenn die mich angeschrieben haben. Die freuen sich ja, wenn ich hinkomme."
An diesem Tag sitzt auch Martin bei einer warmen Mahlzeit im Aufenthaltsraum. Einen Realschulabschluss habe er, war bei einer Prüfung laut eigenen Aussagen Sachsens bester Schüler. Der 26-Jährige hat einen Sohn, ist mehrfach vorbestraft und saß schon im Knast. Eigentlich wollte er Fremdsprachenkorrespondent werden. "Den Traum habe ich aber begraben."
Mit einem liebevollen "bleib anständig, sonst kracht's" wird er von Tante E. zurück auf die Straße verabschiedet.
Junkie Tobi: "Ich habe leider viele meiner Freunde zu Grabe getragen"
In einem Trafohäuschen auf dem früheren Zollschuppengelände westlich des Hauptbahnhofs, das mittlerweile für einen neuen Stadtteil abgerissen wurde, haben sich weitere wohnungslose Junkies niedergelassen.
Einer von ihnen ist Tobi. Mehr als 20 Jahre ist er drogenabhängig, angefangen habe es mit Kiffen, Ecstasy, LSD und Pilzen. "Irgendwann kam Koks dazu." Über die Folgen seines Konsums ist auch er sich bewusst. "Ich habe leider viele meiner Freunde zu Grabe getragen. Die waren teilweise 10, 15 Jahre jünger als ich. Ich hab mehr Freunde im Himmel und in der Hölle als hier auf der Erde mittlerweile. Von meinen alten Leuten ist so gut wie gar keiner mehr da", stellt der 36-Jährige fest.
Dass sein jahrelanger Drogenkonsum bereits Schäden im Gehirn hinterlassen hat, zeigt eine Situation, in der der Punker gefragt wird, wie lang er schon konsumiert. "Seit ich 14 bin, jetzt bin ich 36. Wie rechnet man das? Seit zwölf, nee seit 16 Jahren. Nee, häh. Naja, auch schon ganz schön lang."
Den Unterschlupf teilt er sich mit André (35, wurde mit 15 Jahren Vater) und Enrico (30, drei Kinder). Während sich das Trio für den nächsten Schuss vorbereitet, ist von Gliedmaßen-Amputationen durch falsches Spritzen die Rede. "Crystal ist aggressiv, das zerfrisst alles, wenn Du Pech hast. Ich kenne mindestens drei Leute, die das Bein verloren haben", so Tobi.
Angel-Schnorrer André ist ein "Star"
Der ehemals erfolgreiche Boxer Enrico hatte erste Drogenerfahrungen im Alter von gerade einmal 14 Jahren. Seitdem er 19 ist, nehme er regelmäßig Crystal, war zwischendurch aber auch neun Jahre clean. Die Alkoholsucht seiner Freundin habe ihn rückfällig gemacht.
"Rauchen macht zu dumm und von ziehen läuft immer die Nase", erzählt André über Crystal Meth, während er sich für den nächsten Schuss am Unterarm vorbereitet. Ein Cocktail aus Crystal und Heroin soll es werden. Doch es klappt nicht, seine Venen sind kaputt gespritzt, erzählt der ehemalige Hooligan. Zeitgleich klemmt er sich das rechte Bein ab und spritzt sich in den Fuß. In den Hals oder die Leiste wolle er sich niemals spritzen - doch es soll noch anders kommen.
Mit André geht es unterdessen zum Hauptbahnhof. Er braucht Geld - unter anderem für neue Drogen.
"Ich bin in Leipzig bekannt, hier bin ich der Star", erzählt André, währenddessen er auf einer Mülltonne zwischen Hauptbahnhof und Einkaufsstraße sitzt und mit einem an einer Angel befestigten Becher schnorrt. "Ich tu sehr viele Menschen für einen Moment glücklich machen und krieg ein ehrliches Lächeln zurück."
Am Taxistand sitzt auch Andrés Halbbruder René. Der 39-Jährige hat "spät angefangen", mit 24 nämlich. Seitdem ist er heroin- und crystalabhängig. Von André habe er damals den "Problemlöser Nummer eins" bekommen, kam seitdem nicht mehr los.
Lukratives Crystal-Geschäft
Die Reporter begleiteten aber auch Polizisten, den Rettungsdienst und Zollfahnder bei ihrer Arbeit. Letztere haben im August 2017 rund 900 Gramm Crystal entdeckt.
"Dieser Beutel wird im Einkauf in Tschechien etwa 10.000 Euro kosten", rechnet Eberhardt Thiedmann vom Zollfahndungsamt Dresden vor. "Beim Weiterverkauf durch Dealer ungestreckt etwa 90.000 Euro in Leipzig." Ein lukratives Geschäft für Dealer, die den illegalen Stoff aber teilweise gestreckt weiterverkaufen und so noch mehr Gewinn machen.
Die gesamte "Hartes Deutschland"-Folge aus Leipzig könnt Ihr Euch >>>hier bei TVNOW noch einmal anschauen. Am 7. November wird zudem ein zweiter Teil aus der sächsischen Metropole ausgestrahlt.