Schwuler Friseur in der DDR von Polizist vergewaltigt: "Ich wollte am Leben bleiben"
Leipzig/Berlin - Das Lebenspartnerschaftsgesetz – oder salopp die "Homo-Ehe" – feierte in diesem Monat sein 20-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass setzte der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) unter dem Motto "Gemeinsam sind wir Vielfalt" einen Schwerpunkt in seinem Programm und zeigte unter anderem die Doku "Unter Männern – Schwul in der DDR" aus dem Jahr 2012. Mehrere Männer erzählen, wie man sich das Leben als Schwuler in der DDR vorstellen musste.
Heutzutage wird immer wieder von Vielfalt und Toleranz gegenüber dem "Anderssein" gesprochen, doch so selbstverständlich die Theorie auch klingen mag, in der Praxis funktioniert das noch lange nicht überall problemlos – auch nicht in Deutschland.
Denken wir etwas mehr als 30 Jahre zurück, gehörten homosexuelle Männer in den Augen der DDR-Staatsmacht schon damals zu dem Personenkreis, der "anders" war und das war nicht gern gesehen. Zwar wurden sie nicht offiziell aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt oder bestraft, das Leben konnte man ihnen dennoch schwermachen.
Diese Erfahrung musste auch der in Bismark (Sachsen-Anhalt) geborene Eduard "Eddy" Stapel, einer der Gründer der kirchlichen Schwulenbewegung in der DDR, machen. Nicht nur, dass dem studierten Theologen das Pfarramt verwehrt blieb, weil er sich öffentlichkeitswirksam für die Rechte von Homosexueller einsetzte – auch die Stasi war hinter ihm her.
So wurden beispielsweise extra ausgebildete "Romeos" auf ihn angesetzt, die ihn verführen und ausspionieren sollten. Es wurden außerdem Gerüchte über Affären verbreitet, um die jeweiligen Partner gegeneinander aufzuhetzen.
"Die Stasi hat alles daran gesetzt, um die Protagonisten kaltzustellen", so Eddy Stapel, der lange Zeit in Leipzig gelebt hat. Laut ihm sei das Ziel gewesen, dass der damals an Krebs erkrankte "Schwulen-Pastor" die Lebenslust verliere, hätte sich sein zwölf Jahre jüngerer Freund Jens von ihm getrennt. Heißt: Sie wünschten ihm im Grunde den Tod.
Eddy Stapel sollte noch viel länger leben, starb 2017 dennoch viel zu früh im Alter von 64 Jahren.
Psychiater wollte Homosexualität therapieren
Vor genau solchen oder ähnlichen Gängeleien hatte der ehemalige Lehrer Christian Schulz aus Leipzig sein Leben lang Angst, weswegen er sich bis zur Veröffentlichung der Doku nicht geoutet hat. Er versuchte während der DDR-Zeit sogar, seine sexuelle Orientierung zu therapieren.
"Ich wollte mich verändern, ich wollte gesellschaftskonformer werden", denn er hätte sich damals nie getraut, sich jemandem anzuvertrauen. Die Furcht vor der Reaktion der Freunde und vor den drohenden Konsequenzen für seinen Beruf als Lehrer und vor finanziellen Problemen war zu groß.
Der behandelnde Psychiater habe Christian Schulz gesagt, dass er "geheilt" werden könne. Über die eigentliche Homosexualität oder Sexualität überhaupt sei aber kaum gesprochen worden.
Zunächst habe er versucht mit Sport sein Schwulsein zu kompensieren, doch nach einem gemeinsamen Urlaub mit seiner Turn-Gruppe musste er einsehen: "Es bringt nichts, ich bin in keinster Weise anders geworden." Daraufhin habe er die Therapie abgebrochen.
"Ich denke, wenn ich mich geoutet hätte, wäre das besser gewesen. Da war ich zu feige", hat der traurig wirkende Mann mittlerweile für sich erkannt.
Zwar sei er später auch aktiv auf Partnersuche gegangen, aber eben im Verborgenen in Saunen oder öffentlichen Toiletten, wie es in der Schwulenszene damals üblich war. Auffallen wollte er auf keinen Fall.
Als Schwuler in der DDR aufzufallen, konnte schlimme Konsequenz haben
Das komplette Gegenteil war Frank Schäfer, Friseur und Stilikone aus Berlin, Sohn des DDR-Schauspielers Gerd E. Schäfer. Für ihn ging es genau darum: auffallen! Fand er sich schon als Kind in Pionierkleidung "super sexy", stach er vor allem durch verrückte Frisuren und Haarfarben oder durch extravagante Kleidung hervor.
Er beschrieb sich selbst als nicht ängstlich, aber skrupellos genug, um äußerlich mit Punk aufzufallen. Aber: "Wir wussten nicht, was Punk ist. Wir wussten nur, das ist was Schrilles, Buntes, Anderes. Die Ideologie des Punkes kannte ich gar nicht", gab er zu. Auch in seinem Handwerk machte er sich mit krassen Farben und Rasuren einen Namen.
Doch Auffallen war in der DDR nicht immer gern gesehen. So sei Frank Schäfer mehrfach verhaftet worden, "weil ich aussah wie ich aussah". Das wiederum sei ein gewisser sozialer Aufstieg gewesen, sagte er nicht ohne Stolz. "Wenn ich nicht verhaftet worden wär, wär das auch ganz schön Scheiße gewesen. Dann wär ich nicht so cool gewesen. So war ich ja cool."
Nicht jede Verhaftung sollte glimpflich enden. So habe ein Polizist ihn vergewaltigt, sozusagen als Gegenleistung für seine Freilassung. "Gott sei Dank war ich kein kleines Jüngelchen, ich wusste, wie man es macht, dass es ganz schnell vorbeigeht." Er machte mit, "denn ich wollte am Leben bleiben. Ich wusste ja nicht, ob er mir wirklich was tut, wenn ich mich wehre".
1988 reiste Frank Schäfer für einen Job in den Westen und blieb auch dort. Er betreibt bis heute einen Friseurladen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
Diese und weitere Erlebnisse, unter anderem von einem Berliner Künstler, der wegen seiner Homosexualität erpresst worden war, seht Ihr in der Doku "Unter Männern – Schwul in der DDR" in der MDR-Mediathek.
Titelfoto: MDR/Hoferichter & Jacobs