MDR-Doku blickt hinter die Kulissen: Wie antifaschistisch war die DDR wirklich?
Leipzig - Eine der wohl wichtigsten Aufgaben, der sich sowohl die DDR als auch die BRD nach dem Zweiten Weltkrieg stellen mussten, war die Entnazifizierung. Inzwischen weiß man, dass diese juristische Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen mangelhaft ablief – auch im "antifaschistischen Musterstaat" der DDR.
Der MDR widmete dem Thema eine Doku, in der sowohl Historiker und Historikerinnen als auch ehemalige Mitarbeiter der Stasi zu Wort kamen.
Bis heute besteht in vielen Köpfen der Mythos, dass "die Nazis alle im Westen" waren und sämtliche Nazi-Kriegsverbrecher in der DDR hartnäckig ermittelt und verurteilt wurden.
Tatsächlich stimmt es, dass nach dem Krieg zahlreiche große Prozesse gegen ehemaliges KZ-Personal durchgeführt wurden, in Ostdeutschland wurde dabei härter und auch bis in die 60er-Jahre durchgegriffen.
So verkündete die damalige DDR-Justizministerin Hilde Benjamin im Jahr 1964: "Auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik wurden alle Nazi- und Kriegsverbrecher, derer wir habhaft werden konnten, ihrer gerechten Strafe zugeführt."
Doch stimmte das wirklich? Die Recherchen im MDR-Beitrag lassen Zweifel an dieser angeblich erfolgreichen Entnazifizierung aufkommen.
Akten aus Stasi-Archiven zeichnen nämlich ein anderes Bild: Demnach waren der Geheimpolizei mehrere Hundert hochbelastete Nazis bekannt, die sich unter die DDR-Bevölkerung gemischt hatten und dort ein unbehelligtes Leben führten – viele von ihnen in angesehenen Positionen. Die Ermittlungen wurden laut der Historiker absichtlich unterlassen, angeklagt wurde von diesen Nazis kein einziger.
Der Grund? Die Regierung wollte das Image der DDR als "einzigen antifaschistischen deutschen Staat" bewahren und die Bevölkerung nicht verunsichern. Man wollte sich bewusst von der BRD und deren Versäumnissen abgrenzen – politisches Kalkül stand hier also über dem juristischen Anspruch, wie die Doku schlussfolgerte.
"Staatlich angeordneter" Antifaschismus in der DDR
"Ich glaube, dass der Antifaschismus eine ganz tragende Rolle spielte in der Identität", äußerte sich die Psychoanalytikerin Annette Simon zur damaligen Situation in der DDR. Durch den Antifaschismus konnten sich die Menschen von den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs abgrenzen und "auf der richtigen Seite stehen".
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die der Angehörigen während der Kriegsjahre galt gleichzeitig jedoch als Tabu. So wurden viele Aspekte der Nazi-Herrschaft lediglich unter den Teppich gekehrt, anstatt sie bewusst zu reflektieren und einzuordnen.
Öffentlich wurde propagiert, dass der Faschismus in der DDR nach Abschluss der Nazi-Prozesse vollständig ausgerottet wurde – einer "frohen und friedlichen Zukunft" stand also nichts mehr im Weg.
Die Realität sah allerdings anders aus: Viele Nazis blieben von der Justiz unbehelligt. Wie die MDR-Recherchen offenlegten, lebten nach dem Krieg mehr als eine Million ehemalige NSDAP-Mitglieder in der DDR.
Gegen einen Großteil wurde aufgrund "unzureichender Tatbestände" nicht vorgegangen – stattdessen traten viele der SED bei und konnten in führende Positionen aufsteigen. Kommuniziert wurde dies laut den Experten im MDR-Beitrag nicht – der antifaschistische Anspruch der DDR und die Wirkung nach außen stand an erster Stelle.
Den kompletten Beitrag "Nazi-Karrieren in der DDR?" könnt Ihr Euch in der MDR-Mediathek ansehen.
Titelfoto: Montage Screenshot MDR-Mediathek