Claudia aus Wolfen trauert ihrer "Platte" hinterher: "Da war ich zu Hause"
Bitterfeld-Wolfen - Im dritten Teil der MDR-Doku-Reihe "Wir aus der Platte – Wolfen-Nord im Wandel" ist die Wolfenerin Claudia auf Spurensuche in ihrer früheren Heimat. Und für Harald Brüchle, Inhaber des ältesten Fahrradladens der Stadt, beginnt wohl bald ein neuer Lebensabschnitt.
Vor 60 Jahren wurde eines der größten Plattenbaugebiete der DDR erbaut: Wolfen-Nord. Mehr als 35.000 Menschen fanden in der eigens für Chemiearbeiter angelegten Wohnstadt in Sachsen-Anhalt eine neue Heimat.
Jeder wollte damals in der bequemen "Platte" mit fließend Warmwasser, Zentralheizung und Balkon leben, das war etwas Besonderes.
Und das nicht ohne Grund, denn ab den 1960er-Jahren gab es hier zahlreiche Kindergärten, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten, später auch Gaststätten, Kultureinrichtungen und Sportplätze. Dadurch war Wolfen-Nord für junge Familien durchaus attraktiv.
Zu ihnen gehörte auch Claudia Simon. Die 72-Jährige ist zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an dem Ort, an dem sie von 1980 bis 1998 mit ihrer Familie gelebt hat.
"Wahnsinn! Nicht wiederzuerkennen", staunt sie, während sie das Grasland am früheren Nordring erkundet, an dem vor vielen Jahren ihre "Platte" gestanden hatte. "Meine alte Heimat, da war ich zu Hause."
Die Filmfabrik schloss und Wolfen verschwand
Heute hat Wolfen-Nord nur noch rund 6300 Einwohner. Nach der Wende, die auch die Schließung der größten Filmfabrik Europas mit sich brachte, zogen viele Menschen weg. Damit begann auch der Abriss ganzer Straßenzüge.
Sie wohne jetzt auch schön, sagt Claudia ein wenig wehmütig, "aber das war eben auch 18 Jahre mein Leben". Damals seien Freundschaften entstanden und das Umfeld habe einfach gestimmt.
Gemeinsam mit ihrem früheren Nachbarn Günter schwelgt die Vorsitzende des Kultur- und Heimatvereins gern in Erinnerungen: "Ich bin ein Wolfener Kind, und die Geschichte von Wolfen hat mich schon immer fasziniert."
Es gab aber auch Zeiten, in denen das benachbarte Bitterfeld als die dreckigste Stadt Europas galt. Durch tonnenweise produzierte Chemieabfälle waren Umweltschäden entstanden, von denen sich die Wolfener Umgebung bis heute nicht vollständig erholt hat.
Jeder in Wolfen kennt Harald Brüchles Fahrradgeschäft
Dass die Region mittlerweile jedoch einen Wandel durchläuft, hat auch Harald Brüchle, Inhaber des ersten und einzigen Fahrradgeschäfts in Wolfen-Nord, zu spüren bekommen.
Der 75-Jährige lebt seit der Gründung des Stadtteils hier und ist in Wolfen bekannt wie ein bunter Hund. 1984 eröffnete der frühere Betriebsschlosser seinen Laden.
Und das Geschäft boomte in der "Fahrradstadt", auch über die Wende hinaus. Bis heute verkauft und repariert Harald Fahrräder, steht noch immer täglich neun Stunden in seinem Laden.
Heute verkauft er nicht mehr so viele Drahtesel wie früher, doch für Reparaturen kommen die Leute noch immer gern zu ihm. Auch Fotograf Achim Lösche: "Es ist gut, dass man solche Bekannte hat."
Doch nicht nur der Stadtteil ist von einem Wandel gekennzeichnet, auch bei "Zweirad-Brüchle" wird es bald Veränderungen geben. "Nach nunmehr über 36 Jahren Selbstständigkeit in der Fahrradbranche wird's Zeit, das Zepter zu übergeben. Und ich gehe nicht mit einem blutenden Herz, es bleibt in der Familie und das ist das Schönste was passieren kann", schwärmt der Radsportfan.
Sein Adoptivsohn Phong, der Harald zusammen mit seiner Ehefrau schon seit einigen Jahren unterstützt, wird das Geschäft bald weiterführen.
Diese und weitere Geschichten, unter anderem auch wieder über die Wahl-Wolfener Familie Pahlke, seht Ihr in der vierteiligen Doku "Wir aus der Platte - Wolfen-Nord im Wandel" immer donnerstags ab 19.50 Uhr im MDR-Fernsehen und schon jetzt komplett in der Mediathek.
Titelfoto: Bildmontage / Screenshot/ARD-Mediathek