Theaterstück über Stasi-Spionin: "Der Mauerfall ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann!"
Hamburg - Am 17. Juni 1953 stand die SED-Diktatur in der DDR schon vor dem Mauerfall 1989 einmal kurz vor ihrem Ende. Nur mithilfe des sowjetischen Militärs gelang es der Regierung, die zahlreichen Proteste im Land niederzuschlagen. Genau 70 Jahre nach dem DDR-Aufstand gastierte Nicole Heinrichs Monodrama "Monika Haeger - Inside Stasi" am gestrigen Samstagabend in den Hamburger Kammerspielen. Ein bewusst gewähltes Datum der Regisseurin.
Ein Plakat von Erich Honecker (†81), die DDR-Flagge, ein paar schwarze Möbel, ein Drehstuhl und ein - aus heutiger Sicht - altmodisches Tonbandgerät.
Mehr braucht Nicole Heinrichs Theaterstück nicht an Requisiten, um den Zuschauer zu überzeugen, er befände sich in einem interaktiven Stasi-Museum und die ehemalige Spionin Monika Haeger führe höchstpersönlich durch ihre Vergangenheit.
Das liegt nicht zuletzt an dem mitreißenden Spiel von Schauspielerin Anja Kimmelmann. Quasi als One-Woman-Show, nur unterbrochen von Tonbandsequenzen, schafft sie es, Haeger und ihren festen Glauben daran, nur für das Gute zu handeln, so überzeugend zu spielen, dass man am liebsten auf die Bühne gehen und sie schütteln will.
Doch Monika Haeger ist vermutlich bis zu ihrem Tod 2006 nie aus ihrem Traum, alle Feinde des Sozialismus zu bekämpfen, aufgewacht. Zwar gab die ehemalige inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin 1990 ein legendäres Fernseh-Interview, in dem sie angab, ihre Taten zu bereuen, doch geglaubt haben ihr das die wenigsten.
"Ich habe ihr das nicht abgenommen. Für mich ist sie eine stolze Sozialistin gewesen", sagte Heinrich im Vorfeld des Stückes im TAG24-Interview.
"In Ost-Berlin wohnt eine Frau, die ich mal belogen habe, aber entschuldigen will ich mich nicht!"
Nicht ohne Grund lässt Heinrich ihr Monodrama mit dem Satz "In Ost-Berlin wohnt eine Frau, die ich mal belogen habe, aber entschuldigen will ich mich nicht" beginnen.
Haeger will sich stattdessen erklären. Erklären, warum sie jahrelang die Frauengruppe "Frauen für den Frieden" um Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley (†65) ausspioniert und verraten hat, schließlich habe sie ja nichts falsch gemacht.
Als Heimkind strebte sie stets nach Anerkennung, nachvollziehbar, dass zu ihren glücklichsten Stunden die lobenden Worte des Führungsoffiziers und die in den Raum geworfene Möglichkeit einer Beförderung zu einem "fest angestellten" Spion zu ihren glücklichsten gehörten.
Sollte man ihre Taten aber deswegen gutheißen? Von einer Frau, die mehrfach betont, das Beste für alle Menschen zu wollen, aber den Mauerfall als "das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte", bezeichnet?
Sozialismus über der Freundschaft
Ein schlechtes Gewissen plagt Haeger - zumindest in Heinrichs Darstellung - nur einmal: Als sie so tut, als hätte sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei den "Frauen für Frieden" ihren Job verloren.
Voller Mitgefühl sammeln die Frauen Geld und Lebensmittel für sie. Doch ihr mulmiges Gefühl hält nicht lange an, schließlich sei ihre Arbeit für den Sozialismus viel größer als Freundschaft.
Stattdessen kauft Haeger sich von dem gesammelten Geld eine neue Kamera, um bessere Fotos ihrer Opfer machen zu können. Hier zeigt sich auch zum ersten Mal die humorvolle Komponente in Heinrichs Stück, die trotz des bedrückenden Stoffes nicht unangebracht wirkt.
Im Stil von Rotkäppchens bösem Wolf wird Haeger von den Frauen gefragt, was sie denn mit einer solch großen Kamera wolle: "Damit ich euch besser für die Stasi fotografieren kann", antwortet die Spionin - natürlich nur in Gedanken. Fehler mache sie schließlich nie.
Die "Haeger"-Haltung steckt in jedem Einzelnen von uns
Haegers verherrlichenden Schilderungen stellt Heinrich mehrere Berichte von Stasi-Opfern gegenüber, für die die Regisseurin über drei Jahre lang recherchiert hat. Die von Schauspielern eingesprochenen Zeitzeugenaussagen erklingen über das rot beleuchtete Tonbandgerät.
Alle anderen Lichter erlöschen. Erzählungen von Gefängnisaufenthalten, Umerziehungsheimen und der oft von der Stasi angewandten "weißen" Folter lassen die Stimmung noch bedrückender werden.
Über das Tonband wird aber auch der Bezug zur Gegenwart hergestellt, der Heinrich sehr wichtig ist. Die "Haeger"-Haltung, wie die Regisseurin sie nennt, also all seine Zwecke damit zu rechtfertigen, auf der "guten Seite" zu stehen, stecke in jedem Einzelnen von uns. "Es geht um Denunziation", so Heinrich.
In der anschließenden Diskussionsrunde am Samstagabend wurde sich auch ausgiebig mit den Gefahren der Zukunft beschäftigt: Was werden künstliche Intelligenz und der Trend der "Halbwahrheiten" mit sich bringen?
Mit Empathie für die Demokratie
Als Gegenentwurf bleibt nur die Empathie, sich nicht in seinen eigenen Überzeugungen festzufahren und gemeinsam an der Sicherung der Demokratie zu arbeiten. Und dafür benötigt es Aufklärungsarbeit, wie Nicole Heinrich es mit ihrem beeindruckenden Monodrama umsetzt.
Fast schon greifbarer dargestellter (Stasi-)Schrecken, der es nur mit gut gewählten Monologen und mitreißendem Schauspiel schafft, noch lange nach dem tosenden Schlussapplaus über das Gesehene nachzudenken.
Premiere feierte das Monodrama am Frankfurter Autoren Theater. Weitere Aufführungen in ganz Deutschland sind geplant. Mehr Informationen auf nicoleheinrich.com.
Titelfoto: Reinhold Schultheiß