"Swing halte ich für die großartigste Popmusik": Ihr könnt bei Andrej Hermlin dabei sein!

Berlin/Chemnitz - Andrej Hermlin (57) nahm sich kurz vor Weihnachten noch Zeit für ein Gespräch mit TAG24. Während seine Ehefrau, Joyce Hermlin, am Freitag die Festeinkäufe erledigte, wartete die Swing-Ikone im Auto und telefonierte mit unserer Redakteurin.

Bandleader Andrej Hermlin (57, M.) mit seiner Tochter Rachel (19) und seinem Sohn David (22), die ebenfalls zum Ensemble gehören.
Bandleader Andrej Hermlin (57, M.) mit seiner Tochter Rachel (19) und seinem Sohn David (22), die ebenfalls zum Ensemble gehören.  © Uwe Hauth

TAG24: Herr Hermlin, vielen Dank, dass Sie sich so kurz vor Weihnachten Zeit für dieses Gespräch nehmen. Wie geht es Ihnen?

Andrej Hermlin: (lacht) Wollen Sie das wirklich wissen? Ich bin froh, Musik machen zu können, aber im Moment ist es ein bisschen viel. Im Unterschied zu den meisten Musikern dieses Landes haben wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht zu Hause gesessen, sondern Musik gemacht und rund 1800 Auftritte gespielt. Vorher war schon viel los, doch jetzt hatten wir seit November praktisch keinen freien Tag. Das merkt man. Auf der anderen Seite sind wir froh, dass wir die Musik, die wir lieben, unter die Leute bringen können.

TAG24: Sie konnten während der Corona-Pandemie auftreten?

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Andrej Hermlin: Die meisten unserer Konzerte fanden sogar in Deutschland statt. Wir haben Freiräume ausgeschöpft, die durchaus bestanden, und in dieser Zeit alles gemacht, was irgendwie möglich war. Wenn die Philharmonie zu ist, dann spielt man eben im Park oder auf der Straße. Oder vor einem Seniorenheim. Oder vor einer Suppenküche für Obdachlose. Man muss sich die Möglichkeiten suchen.

Allerdings muss ich den Verantwortlichen in unserem Land sagen, dass ich den Umgang mit der Kultur während dieser Pandemie wirklich verüble und auch nicht verzeihen kann. Denn während etwa Flugzeuge voll besetzt fliegen konnten und Garten- und Baumärkte geöffnet waren, waren die Theater geschlossen. Das ist vollkommen inakzeptabel und zeigt nur, wie ignorant die Regierenden in unserem Land gegenüber der Bedeutung der Kultur für ein Land sind.

"Es gab keine jüdische Tradition in unserer Familie. Wir feiern Weihnachten"

Andrej Hermlin (57, 4.v.l.) und seine Band bringen den Sound der 1930er- und 40er-Jahre, mit unvergleichlicher Begeisterung und Euphorie in unsere Zeit.
Andrej Hermlin (57, 4.v.l.) und seine Band bringen den Sound der 1930er- und 40er-Jahre, mit unvergleichlicher Begeisterung und Euphorie in unsere Zeit.  © Uwe Hauth

TAG24: Da wir telefonieren, wo sind Sie gerade?

Andrej Hermlin: Im Moment erledige ich Weihnachtseinkäufe. Wir haben heute Vormittag etwas Zeit, deshalb bin ich mit meiner Frau gerade unterwegs. Sie ist jetzt im Geschäft, ich bin im Wagen geblieben, weil ich wusste, dass Sie anrufen werden. Heute Nachmittag müssen wir nach Hannover, wo wir am Abend spielen.

TAG24: Sie feiern also Weihnachten. Oder Chanukka? Oder beides?

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Andrej Hermlin: Chanukka feiern wir nicht. Mein Vater, der bekanntermaßen jüdisch war, hat auch Weihnachten mit uns gefeiert. Es gab keine jüdische Tradition in unserer Familie. Wir feiern Weihnachten.

TAG24: Spielt Religion eine Rolle in Ihrem Leben?

Andrej Hermlin: Ich war nie ein religiöser Mensch. Ich bin der Sohn eines Juden, eines Antifaschisten, eines Kommunisten. Ich selbst beneide durchaus Menschen um ihren Glauben. Meine Frau zum Beispiel ist Protestantin. Wenn man glaubt und eine gewisse Religiosität hat, ist man, glaube ich, manchen anderen Menschen gegenüber im Vorteil: Es gibt einen gewissen Leitstern, eine Selbstvergewisserung. Ich habe das nicht, ich glaube aber an andere Dinge. Ich glaube an Benny Goodman.

TAG24: Was gibt es bei Ihnen Weihnachten zu essen? Den in Deutschland traditionellen Kartoffelsalat mit Würstchen oder geht es festlich zu?

Andrej Hermlin: Kartoffelsalat und Würstchen bedeuten mir wenig. Wir führen auch hier die Tradition meines Vaters fort: Bei uns gibt es immer Pute. Die bereitet meine Frau inzwischen zu, mit einer besonderen Füllung. Dazu gibt es Rotkohl.

"Natürlich würde ich mich freuen, wenn alle Hut tragen würden"

Wichtigstes Prinzip der Band: größtmögliche Authentizität. Grundsätzlich wird auf jede elektrische Verstärkung verzichtet und – vorwiegend amerikanische – Original-Arrangements aus den 30er- und 40er-Jahren verwendet. Auch Bühnengarderobe, Frisuren, Mikrofone und Notenpulte entsprechen den historischen Vorbildern.
Wichtigstes Prinzip der Band: größtmögliche Authentizität. Grundsätzlich wird auf jede elektrische Verstärkung verzichtet und – vorwiegend amerikanische – Original-Arrangements aus den 30er- und 40er-Jahren verwendet. Auch Bühnengarderobe, Frisuren, Mikrofone und Notenpulte entsprechen den historischen Vorbildern.  © Uwe Hauth

TAG24: Was begeistert Sie am Swing?

Andrej Hermlin: Die Musik entstand in einer Zeit, die von schwersten Krisen geprägt war. Gerade auch in Amerika mit der Großen Depression, unglaublicher Armut und Hunger. Das war keine leichte Zeit für Millionen Menschen.

Auf der anderen Seite war diese Zeit auch bestimmt von großartiger Architektur, also Bauhaus und Art déco, von eleganter Mode, sehr schönen Automobilen und großer Kunst.

Swing halte ich persönlich für die großartigste Popmusik, die es je gegeben hat, komponiert von den besten amerikanischen Songwritern, gespielt von den großartigsten Musikern, die Amerika damals aufzuweisen hatte. Das ist hochklassige Musik, und die Dinge, die sie begleiten - Mode, Architektur, Design - habe ich mir durchaus auch in mein Leben gebracht. Ich nehme mir aus der Zeit das, was mir gefällt, bin aber auch nicht traurig, heute und jetzt zu leben.

TAG24: Fehlt diese Eleganz heutzutage?

Andrej Hermlin: Sie ist ja nicht ganz weg, und das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Man kann die Leute in Berlin nicht zwingen, ihren Hoodie und ihre Jeans gegen einen schönen Anzug zu tauschen. Aber ich kann selber so sein und Dinge tragen, die mir gefallen, oder mein Haus oder meine Wohnung entsprechend einrichten.

Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich auf die Straße trete, und alle würden Hut tragen. (lacht) Aber das ist, außer in einem Film, nicht vorstellbar. Jede Zeit hat ihre guten und ihre düsteren Seiten. Ich finde die Zeit, in der wir leben, gerade jetzt sehr düster.

Auf der anderen Seite hat sie eine ganze Reihe von Vorteilen: Wir haben enorme technische Möglichkeiten, können mit Menschen am anderen Ende der Welt kommunizieren. Das wäre in den 30er-Jahren undenkbar gewesen. Damals waren die Leute auf einer Gesellschaft besser angezogen, dafür hatten sie kein iPhone und konnten mit dem Flugzeug nicht irgendwohin fliegen.

"Die bekanntesten amerikanischen Weihnachtslieder entstanden in der Swing-Ära"

Die Geschwister David (22) und Rachel Hermlin (19) haben nicht nur einen berühmten Vater. Ihr Großvater Stephan Hermlin gehört zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Ihre Mutter Joyce stammt aus Kenia.
Die Geschwister David (22) und Rachel Hermlin (19) haben nicht nur einen berühmten Vater. Ihr Großvater Stephan Hermlin gehört zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Ihre Mutter Joyce stammt aus Kenia.  © Uwe Hauth

TAG24: Können Sie Swing tanzen?

Andrej Hermlin: Überhaupt nicht. Ich bin absolut unfähig, was tanzen betrifft. Mit 15 habe ich mal eine Tanzschule in Pankow besucht. Ich ging mit zwei Freunden hin, die mich dazu überredet hatten. Beide hatten damals auch eine Freundin, ich nicht. Also bekam ich damals die Tanzlehrerin ab. Die warf mich von einer Ecke des Saales in die andere, das war so schrecklich, dass ich nach 15 Minuten unter einem Vorwand verschwunden bin und nie wieder zurückkehrte.

TAG24: Welches Weihnachtslied ist das Schönste im Swing?

Andrej Hermlin: Da gibt es nicht wenige. Zu den schönsten Liedern gehört sicherlich "Have Yourself a Merry Little Christmas", das ist ein wunderbares Lied, aber kein Swing natürlich. Berühmt wurde es 1944 durch Judy Garland.

Ich finde auch die Version von Tommy Dorsay "Santa Claus Is Comin' to Town" sehr schön. Es ist eine der ersten Aufnahmen des Songs. Und ich mag auch "Winter Wonderland" aus dem Jahr 1934 sehr. Eigentlich sind die bekanntesten amerikanischen Weihnachtslieder in der Swing-Ära entstanden.

TAG24: Hören Sie privat Schallplatten oder streamen Sie auch?

Andrej Hermlin: Ich höre CDs oder auch Schallplatten. Das Streamen ist so eine Sache. Spotify lehne ich aus tiefster Überzeugung ab. Weil das ein Unternehmen ist, das moderne Räuberei betreibt. Ich finde wichtig, dass die Menschen, die es nutzen, auch über die Geschäftspraktiken aufgeklärt werden: Musik und Musiker werden ausgebeutet.

Das geistige Eigentum der Künstler, die regelrecht versklavt werden, wird verschachert. Das ist eine sehr üble Sache, die ich natürlich nicht unterstütze. Man kann ganze Alben downloaden, aber dann nicht über Spotify, sondern über andere Seiten. Zum Beispiel gibt es den Online-Musikdienst Bandcamp, der seine Musiker fair bezahlt.

Wir brauchen die Solidarität der Konsumenten und des Publikums. Die Kunst ist im Moment in großer Gefahr, es geht ihr nicht gut. Jeder Akt der Unterstützung ist wichtig. Nicht nur für uns Musiker, sondern auch für die Theater und Kinos. Wenn wir die Kunst jetzt vergessen, weil uns die Heizungskosten oder die Inflation zu schaffen machen, dann ist vielleicht, wenn die Krise überwunden ist, nichts mehr da, wohin wir gehen könnten. Das wäre auch für das Land schlimm. Deshalb: Geht ins Theater oder Kino oder kauft Konzerttickets!

TAG24 verlost Freikarten

Andrej Hermlin (57, im hellen Anzug) und The Swingin' Hermlins sind derzeit mit einer "Christmas"- und Neujahrs-Tour unterwegs. Die Band wurde 1987 – seinerzeit noch unter dem Namen Swing Dance Band – in Berlin gegründet und entwickelte sich zu einem außergewöhnlichen Swing-Orchester.
Andrej Hermlin (57, im hellen Anzug) und The Swingin' Hermlins sind derzeit mit einer "Christmas"- und Neujahrs-Tour unterwegs. Die Band wurde 1987 – seinerzeit noch unter dem Namen Swing Dance Band – in Berlin gegründet und entwickelte sich zu einem außergewöhnlichen Swing-Orchester.  © Uwe Hauth

Swing, das ist die wunderbare amerikanische Musik der 30er Jahre. In unseren Tagen erlebt diese zeitloseste Tanz- und Popmusik ein bemerkenswertes Revival.

"Swing King" Andrej Hermlin and The Swingin' Hermlins zelebrieren mit ihren Konzerten eine berauschende Show! Unter seiner Leitung hat sich die Band inzwischen nicht nur zu der wohl bedeutendsten und erfolgreichsten, sondern vor allen Dingen authentischsten Swing Band Deutschlands entwickelt.

Gespielt werden ausschließlich Originalarrangements im Geist der Musik der 1930er Jahre. Authentisch und bis zur Perfektion auf eine Art inszeniert, die man nur erschaffen kann, wenn man sie liebt und lebt.

Derzeit begeistert das Ensemble wieder live mit seinem breitgefächerten Repertoire. Fans dürfen sich unter anderem auf die Songs und Sounds von Glenn Miller, Benny Goodman, Jimmy und Tommy Dorsey, Duke Ellington und vielen weiteren Stars der Swing-Ära freuen. Alle Tourdaten 2022/2023 und Tickets unter andrejhermlin.reservix.de/events.

Ihr wollt dabei sein? TAG24 verlost für das Konzert von Andrej Hermlin and The Swingin' Hermlins "Swing is in the Air" am 29. Dezember, um 20 Uhr, in der Stadthalle Chemnitz 2x2 Freikarten. Schreibt uns dazu eine E-Mail mit Eurem Namen an gewinnspiel@tag24.de. Teilnahmeschluss ist am 26. Dezember 2022. Anschließend werden die Gewinner ausgelost und benachrichtigt.

Titelfoto: Uwe Hauth (2)

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