Kettcar kehrt mit "München" zurück: "Dass das Thema jetzt so passt, ist natürlich ganz furchtbar"
Hamburg - Die Hamburger Indierockband Kettcar ist zurück und feiert am heutigen Freitag den Release ihrer ersten Single-Auskopplung des Albums "Gute Laune ungerecht verteilt" (VÖ.: 5. April). Inwiefern sich der Song "München" zwar nicht mit der Stadt, dafür aber umso mehr mit dem Thema Rassismus beschäftigt, verriet Reimer Bustorff (52, Bass, Gesang) TAG24 im Interview.
TAG24: Am Freitag erscheint Euer Song "München". 2019 habt Ihr die letzte EP "Der süße Duft der Widersprüchlichkeit" veröffentlicht. Warum habt Ihr Euch (wieder) so viel Zeit gelassen?
Reimer Bustorff: Wir sind ja nicht so eine Band, die im Zweijahrestakt raushaut. Das liegt ein bisschen in der Natur der Band, dass wir immer so ein bisschen brauchen.
TAG24: Also werden Fans auf das nächste Album auch wieder ein paar Jahre warten müssen?
Bustorff: Vielleicht, ja. Gucken wir mal.
TAG24: Warum habt Ihr Euch dazu entschieden, "München" als ersten Song aus dem Album auszukoppeln? Die Entscheidung stand ja vermutlich schon weit vor den aktuellen Ereignissen fest.
Bustorff: Ja, genau. Wir haben von Anfang an das Gefühl gehabt, dass der Song mit seiner Wucht, seiner Wut und auch mit der Tiefe der Geschichte ein guter Moment ist, um wieder auf der Bildfläche zu erscheinen. Als Kettcar wieder da zu sein und so ein kleines "Hallo, wach" zu erzeugen.
Ich finde, dass der Song auch vorher leider seine Relevanz hatte. Im Zuge dieser wahnsinnigen Zeiten ist es tatsächlich leider noch mal passender geworden.
Kettcar-Song erzählt eine fiktive Geschichte, aber einen Yachi kannte Reimer Bustorff tatsächlich
TAG24: In der Single geht es um Alltagsrassismus und die Negativ-Erfahrungen, die "Yachi" in Deutschland machen musste. Beruht die Geschichte auf wahren Begebenheiten?
Bustorff: Nicht so richtig. Es ist schon eine fiktive Geschichte. Aber ich habe in meiner Jugend viel Fußball gespielt. Da gab es auch einen Yachi, mit dem ich ganz dicke war.
Die Schwierigkeit für uns als Band oder für mich als Texter war, sich überhaupt dem Thema Rassismus anzunähern, den ich ja nie selber am eigenen Leib erfahren habe. Darum kam mir diese Perspektive ganz gelegen.
TAG24: Wie war der Schreibprozess? Wird man nicht unglaublich wütend dabei, wenn man sich solche Dinge vor Augen führt?
Bustorff: Ja, total. Ich hatte diese Idee zum Text und hatte auch schon angefangen zu schreiben, als ich gemerkt habe, dass es in mir brodelt. Ich habe zu Erik, unserem Gitarristen, gesagt: "Schreib mal eine Musik, die so post-punkig ist. Die 'ne Wucht, verzerrte Gitarren, ein stoisches Schlagzeug hat." Der Text brauchte etwas Hartes, Wut.
Das hat er dann gemacht und es passte. Ein kleiner magischer Moment. Ich konnte mich mit dem Text direkt auf die Musik draufsetzen und die Emotionen herauslassen.
Für Reimer Bustorff ist der Text "leider zeitlos"
TAG24: Man spürt beim Hören auch genau diese Wut, die Du beschreibst. Glaubst Du, es hat sich gesellschaftlich inzwischen etwas verändert? Weniger Rassismus als damals in Deiner Kindheit?
Bustorff: Für mich ist der Text leider zeitlos. Man kann den in jedes Jahrzehnt rein transponieren. Noch immer. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich viel verändert hat.
Gesamtgesellschaftlich flammt das Thema immer wieder auf. Dann geht die Bevölkerung auf die Straße und sagt: "So geht es nicht." Aber dann ebbt das auch wieder ab, es brodelt im Hintergrund und irgendwelche Rechtsradikalen denken sich wieder was aus.
TAG24: Also meinst Du, auch nach den riesigen Demonstrationen gegen Nazis, gegen die AfD zurzeit, wird das Thema wieder aus dem Fokus der Menschen verschwinden?
Bustorff: Davon gehe ich aus. Aber ich finde es natürlich trotzdem gut. Ich finde es richtig und wichtig, jetzt auf die Straße zu gehen und zu sagen: "Das wollen wir nicht." Alle müssen ihre Stimme erheben.
Was dann weitergehen muss, sind natürlich guter Geschichtsunterricht, Aufklärungsarbeit ... Man muss die rechtsradikalen Netzwerke beobachten und zerstören. Nicht immer erst dann, wenn wieder etwas Schreckliches passiert, sondern konstant.
[Anm. d. Red.: "Hamburg steht auf" - Kettcar spielen am 19. Januar auf der Demonstration um 16.35 Uhr am Jungfernstieg.]
TAG24: Wie wahr ... Zurück zur Musik. Von dem Titel des Songs lässt sich überhaupt nicht auf den Inhalt schließen. Warum?
Bustorff: Der Ort spielt für mich eigentlich überhaupt keine Rolle. Es ist ganz egal, ob das in München spielt oder in Hamburg-Eppendorf. Es kann tatsächlich überall spielen. Das ist eigentlich das Wichtige.
"München" - Kettcar
Reimer Bustorff: "Manchmal passt es dann leider genau"
TAG24: Vor dem Release wurde nicht bekannt gegeben, worum es in dem Song überhaupt geht.
Bustorff: Da wollten wir ein bisschen überraschen und nicht zu viel vorwegnehmen. Das bringt uns dann auch Spaß. Zu gucken, wie dann die Reaktionen sind.
TAG24: Ihr kommt mit einem regelrechten Knall zurück?
Bustorff: Dass das Thema jetzt so passt, ist natürlich einerseits ganz furchtbar und schlimm, aber man kann es sich nicht aussuchen. Manchmal passt es dann leider genau.
TAG24: Stimmt der raue, wütende Song "München" auf das kommende Album ein oder fällt er ganz aus der Reihe?
Bustorff: "München" rückt schon eher raus. Die Platte ist nicht komplett wütend. Es sind auch durchaus mildere Töne und vor allem andere Themen dabei. Auch ein bisschen was fürs Herz.
Kettcar ist ab dem 11. April auf großer Tour. Angesetzt sind insgesamt 14 Deutschlandtermine. Aber auch Fans aus Österreich kommen in diesem Jahr auf ihre Kosten. Tickets erhaltet Ihr unter ghvc-shop.de.
Titelfoto: Andreas Hornoff