Söhne im Knast, Familie Ritter endgültig obdachlos: "Beste ist, man nimmt sich einen Strick!"
Köthen - Nicht Gerda Lewis als "Bachelorette" sorgte am Mittwochabend für die höchste Einschaltquote, sondern die RTL-Sendung "Stern TV". Die 90-minütige Reportage über die mittlerweile obdachlose und größtenteils inhaftierte Familie Ritter aus Köthen (Sachsen-Anhalt) kam auf über 20 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern. Insgesamt sahen über zwei Millionen Menschen die Spezialausgabe, die uns wieder teilweise sprachlos zurückließ.
Was ist in den letzten Monaten passiert?
Nachdem die Söhne von Familienoberhaupt Karin Ritter (65) in der alten Obdachlosenunterkunft in der Augustenstraße Bauarbeiter bedroht hatten, wurden die geplanten Sanierungsarbeiten vorerst gestoppt.
"Es ist schwer zu ertragen, wie man beleidigt und beschimpft wird", sagte Köthens Oberbürgermeister Bernd Hauschild (SPD) "Stern TV". "Man muss ein ruhiger Mensch dabei bleiben. Ich kann nur ein Lob für meine Leute aussprechen, wie sie sich in so vielen Situationen gegenüber dieser Familie verhalten haben."
Zum Schutze der Handwerker zog der Clan in ein Mehrfamilienhaus in der Adolf-Kolping-Straße. Bezahlt hat das alles die Stadt. Im April 2019 flatterte der rechtsradikalen Sippe dann ein Schreiben der Stadt ins Haus. Man solle ausziehen.
"Das ist eine Frechheit, was die mit uns abziehen. Die schmeißen uns raus und nehmen uns wieder die Möbel weg", ist Karin erboßt. "Das Beste ist, man nimmt sich einen Strick und hängt sich auf. Denn allein wird das nichts auf der Straße."
Die Rückkehr in die Augustenstraße: "Das ist ja schlimmer wie im Knast hier"
Auf dem Weg zurück in die Augustenstraße wetterte Karin schon wieder wild drauf los. "Ich schwöre denen eines, sind meine Lampen weg, mein Teppich, mein Warmwasserboiler, kriegt's Ordnungsamt 'ne Anzeige."
Und so soll es kommen. Denn schon als die Mutter aus dem Auto steigt, sieht sie: "Die Schweine, meine Gardinen sind weg!" Dass in der Obdachlosenunterkunft nun nicht mehr geraucht und Alkohol getrunken werden darf, empört sie erst recht. "Was ist los, wer sagt das? Am Arsch." Sie geht durch die Räume, die nur noch spartanisch eingerichtet sind. "Oh, hier stinkt's. Pfui Teufel. Das ist ja schlimmer wie im Knast hier."
Die Bewohner dürfen die Räumlichkeiten nur von 18 bis maximal 8 Uhr nutzen. Tagsüber ist das Betreten nur im Krankheitsfall erlaubt.
Karin berichtet, dass sie sich nun Wasser in der Kaffeemaschine erhitzt, um ihre Kleidung per Hand waschen zu können. Das kann der Oberbürgermeister nicht nachvollziehen.
"Ich habe zu ihr gesagt, nutzen Sie die Waschmaschine. Da sagte sie, dass darin schon die versechten Sachen der anderen Obdachlosen drin sind, da will sie ihre nicht reintun", so Bernd Hauschild. "Dann wollte sie einen Warmwasserboiler auf ihr Zimmer haben, da habe ich gefragt, warum. Damit sie sich mal mit warmem Wasser waschen kann. Da habe ich zu ihr gesagt, gehen Sie runter in die Duschen." Doch das lehnte Karin ab. Hauschild: "Sie wird ihre Gründe haben."
Hilfsangebote des Oberbürgermeisters werden konsequent abgelehnt
Die erste Nacht in ihrer neuen, alten Unterkunft sei "beschissen" gewesen, berichtet die Ritter-Mutter. "Eiskalt. Ganz dünne Steppdecken, da friert man sich den Arsch ab da oben."
Es könnte ganz leicht Abhilfe geschaffen werden. Denn das Stadtoberhaupt hatte der 65-Jährigen eine Wohnung außerhalb Köthens angeboten. "Aufs Dorf gehe ich nicht. Ich gehe von Köthen nicht weg", sagte Karin allerdings.
Eine Wohnung in der Innenstadt will sie sich hingegen ebenso wenig anschauen. Sie sucht nach Ausreden. "Ich selber schaff's nicht, mein linker Fuß ist so taub, schon vier Tage lang. Da habe ich Angstzustände und gerade nachmittags halb fünf, wenn es so warm ist..."
Mittlerweile verbringt Karin den Großteil des Tages in einem Eiscafé, ehe sie 18 Uhr wieder in die Augustenstraße darf. Über die italienischen Inhaber der Eisdiele sagt sie seltene Wörter: "Ich hab immer so schlecht gesprochen über die Ausländer, aber die sind ganz lieb."
Doch auch auf einer Steinmauer an einer Straße samt Tisch sitzt Karin öfter, raucht und meckert. So wie immer. Als das Kamerateam sie filmt, fährt ein Auto vorbei. Der Fahrer schreit aus dem Fenster: "Ich muss das Nichtstun bezahlen." Karins Antwort, wie soll sie auch anders sein: "Halt die Fresse!"
Norman, Christopher und Andy im Knast - Auch Enkelin Jasmin rutscht weiter ab
Und wie steht es um ihre Söhne?
Alles andere als rosig. Norman (33) sitzt seit Oktober 2018 wegen gefährlicher Körperverletzung und Raub in Untersuchungshaft, könnte im Falle einer Verurteilung noch ein Jahr ins Gefängnis wandern.
Christopher (34) ist seit Juli in U-Haft. Neben dem gemeinschaftlich begangenen Raub samt Körperverletzung eines Obdachlosen, soll er einen Mann auf einem Grillfest zusammengeschlagen haben. Insgesamt wurde er zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Andy (32) beging Ladendiebstahl. Da er das Geld nicht bezahlen konnte, muss er fünf Monate in den Knast.
Bei Karins Enkeltochter Jasmin dachte man, es ginge bergauf.
Die 19-Jährige wollte sich von den Ritters distanzieren, ihr eigenes, besseres Leben aufbauen. Ihre Oma habe "ein Rad ab. Ich möchte mit dieser Frau nichts mehr zu tun haben. Ich werde den Name Ritter abgeben, ich schäme mich für meine Familie. Das ist Abschaum", wurde Jasmin deutlich.
Zwei Wochen später steht sie wieder mit ihrer Familie vor der Augustenstraße...
Gegen eine zehnmonatige Strafe ist sie in Berufung gegangen. Auch sie soll bei der Attacke auf den Obdachlosen dabei gewesen sein - unter anderem. Denn es soll 14 Anklagepunkte gegeben haben. "Ich weiß nicht mehr alles. Wenn ich ehrlich bin, stand ich unter Drogen."
Sie wolle nun eine Therapie machen "und raus aus Köthen". Drogen nehme sie nur noch "ab und zu mal. Aber was Ordentliches, was knallt in der Birne."
Peter Grimm, der Köthener Jugendamtsleiter, sagte in einem Interview 2007: "Es war vorhersehbar, dass alle heute dort sind, wo sie sind. Entweder in der JVA oder in einer Obdachlosenunterkunft. Und ich denke, dass man diese Familie auch nicht bedauern muss." Auch zwölf Jahre später hat sich diese Situation nicht geändert.
Die ganze Reportage könnt Ihr Euch >>>hier noch einmal anschauen.
Normalerweise zieht die Redaktion es vor, nicht über eventuelle Suizide zu berichten. Da sich die Aussage aber vor laufender Kamera abgespielt hat, hat sich die Redaktion entschieden, es zu thematisieren.
Solltet Ihr selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, bei der Telefonseelsorge findet Ihr rund um die Uhr Ansprechpartner, natürlich auch anonym. Telefonseelsorge, bundeseinheitliche Nummer: 08001110111 oder 08001110222 oder 08001110116123.