"Was für ein perverser Mist": Diese Deutsche managte den Wu-Tang Clan
Mannheim/New York - Die Beziehung zwischen Eva Ries und dem Wu-Tang Clan beginnt alles andere als vielversprechend.
Auf Hochzeitsreise in Hawaii hört Ries 1994 zum ersten Mal eine Kassette mit Musik der New Yorker Band - nachdem die damals 28-Jährige sich kurz zuvor vertraglich verpflichtet hat, diese künftig als internationale Marketing-Managerin außerhalb der USA berühmt zu machen. "So etwas hatte ich noch nie gehört: Die Beats klangen roh, minimalistisch und unmelodisch, die Stimmen düster, rotzig, fast bedrohlich."
Bei einem Strandspaziergang mit ihrem Mann habe sie angefangen zu weinen, erinnert sich die Mannheimerin. "Was für ein perverser Mist war das denn? (...) Wie sollte ich mit Menschen zusammenarbeiten, die solche Texte verfassten? Und wie um Himmels sollte ich das in Europa promoten und verkaufen?"
Dass sie als Fan von Rock-Musik diesen Job auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung in der Musikbranche ziemlich naiv angenommen habe, sei sicher der "größte Fehler ihres Lebens" gewesen, habe sie damals gedacht.
Aber Ries bleibt dran. "Ich bin ein sturer Typ, ich bin keiner, der aufgibt. Ich bin ein Kämpfer. Und ganz ehrlich: Ich hätte mich ja nie wieder selbst im Spiegel angucken können und ich hätte mich geschämt, wenn ich jetzt vorzeitig aufgegeben hätte."
In den folgenden Jahren gewinnt sie das Vertrauen der neun Clan-Mitglieder und feiert mit ihnen Erfolge auf der ganzen Welt - wie sie nun in ihrem gerade erschienen Buch "Wu-Tang is Forever" beschreibt. "Eva, du hast uns die Tür zur Welt geöffnet", wird da Clan-Rapper RZA zitiert.
Deutsche Labels mussten erstmal überzeugt werden
Bis dahin war es aber ein weiter Weg. "Ich habe nichts von der Materie verstanden, ich musste mich da richtig reinfuchsen", sagt Ries.
Als sie die aus städtischen Wohnungsbausiedlungen in den New Yorker Vierteln Staten Island und Brooklyn stammenden neun Rapper - RZA, GZA, Method Man, Ghostface Killah, Inspectah Deck, U-God, Raekwon, Masta Killa und Ol' Dirty Bastard - zum ersten Mal traf, sei da vor allem "eine große Verwirrung" gewesen.
Sie habe nicht gewusst, wer wer ist und sie dann für ein Foto-Shooting einfach gepackt und hin- und herverschoben. "Es hat sich komischerweise keiner gewehrt. Das ist schon eigentlich sehr witzig, weil ich glaube, die waren einfach so geschockt."
Der Clan, der eine düstere Form des Hip-Hop mit teils brutalen Texten macht, sei "ziemlich chaotisch, wild, unkonventionell, unorthodox". Eine "Straßengang" voller Drogendealer.
"Sie waren alle im Knast gewesen und auf Bewährung frei", sagt Ries. "Und genau wie in jeder Street Gang gab es auch so eine Art Ehrenkodex in dieser Band. Also so gewisse Dinge, denen man folgt. Es war so eine Art verschworene Gemeinschaft, aber gleichzeitig auch eine dysfunktionale Familie, weil obwohl sie nach außen hin verschworen waren und zusammengehalten haben, haben sie sich innerhalb der Band auch sehr bekämpft."
Es habe sie anfangs eine "wahnsinnige Überzeugungsarbeit" gekostet, die deutschen Labels davon zu überzeugen, diese Musik zu veröffentlichen und die Band auf Tourneen um die Welt zu schicken, sagt Ries.
Drogen, teure Telefongespräche und Flirt-Versuche der Jungs
Das erste Album ("Enter the Wu-Tang (36 Chambers)", 1993) und vor allem das zweite ("Wu-Tang Forever", 1997) werden dann aber zu Welterfolgen.
"Ich glaube, das kam speziell bei sehr gebildeten Menschen und bei eben Mittel- und Oberschicht gut an, weil es natürlich genau das Gegenteil war. Das war wieder so eine Art Rebellion, genau wie früher Rock'n'Roll", erzählt sie.
Bevor Ries die Clan-Mitglieder mit auf Tour nehmen kann, muss sie ihnen erstmal Pässe besorgen. Zum ersten Mal so weit weg von zu Hause zu sein, überfordert dann viele der Clan-Mitglieder.
Sie haben ständig Sorge, dass man ihre Getränke und ihr Essen vergiften könnte, wollen immer wieder Drogen über Grenzen schmuggeln und nutzen - in einer Zeit vor allgegenwärtigen Handys - jedes Festnetz-Telefon für einen Anruf zu Hause und lassen so überall extrem teuere Telefonrechnungen auflaufen.
Ries, die mit ihrem Mann, einem Musiker, eine Tochter hat, muss den Clan zusammenhalten - und sich gleichzeitig immer wieder gegen Flirt-Versuche verschiedener Mitglieder wehren.
Letztendlich habe die Zusammenarbeit aber doch funktioniert, sagt Ries. "Ich glaube, die Grundeigenschaft dafür war Ehrlichkeit. Ich habe von Anfang an ehrlich gesagt, dass ich nicht weiß, was sie da eigentlich machen."
Sie habe den Rappern nie etwas vorgemacht. "Ich hätte mich absolut lächerlich gemacht und absolut unmöglich, weil niemand weiß besser als eine Street Gang, wenn jemand lügt oder wenn jemand versucht, sich irgendwo einzuschleimen oder falsche Tatsachen vorzuspiegeln. Und das war, glaube ich, der Grundstein der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Und das zweite ist, dass ich halt sehr, sehr stur bin. Ich glaube, dieses Stetige und das Solide hat unheimlich viel bewirkt."
Auf eine Sache ist sie gar nicht gut zu sprechen
Ries lebt inzwischen wieder in Mannheim und arbeitet immer noch mit RZA zusammen.
Mit den anderen Clan-Mitgliedern, die ohne den 2004 gestorbenen Ol' Dirty Bastard zusammen weitermachen und auch nach wie vor an Solo-Projekten arbeiten, steht die Musikmanagerin ebenfalls noch in Kontakt.
Auf deren jüngstes Album "Once Upon a Time in Shaolin", das 2015 als Einzelstück veröffentlicht und für Millionen versteigert wurde, ist sie allerdings nicht gut zu sprechen.
"Ich fand das ganze Konzept nicht gut", sagt Ries. Eine Art "blöde Marketing-Aktion" sei das gewesen.
Ihre Zeit mit dem Wu-Tang Clan habe sie "für alles gewappnet", sagt Ries im Rückblick.
Sie habe zwei Sachen gelernt: "Erstens, dass man mich eigentlich so schnell mit gar nichts mehr schockieren kann. Und zweitens, dass man manchmal wirklich dreist sein muss und sich einfach was zutrauen muss, dass man keine falsche Bescheidenheit zeigen darf."
Den Mut zum Risiko habe sie gelernt. "Ich fühle mich sehr selten irgendwie überfordert oder der Situation nicht gewappnet, weil ich das alles so schon mal erlebt habe. Und das ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man durch eine harte Schule gegangen ist und dass einen so schnell wahrscheinlich nichts umwerfen kann. Daraus schöpfe ich Kraft."
Titelfoto: Montage: dpa, --/Benevento Verlag/dpa