Funktioniert Klassik im Club? Das "Ensemble Mini" begeistert in Hamburg

Hamburg - Dort, wo sonst so oft dröhnende Techno-Beats die Menschen auf die Tanzfläche locken, erklangen am Sonntagabend sanftere Töne der Klassik. Allerdings waren diese nicht weniger einladend. Das "Ensemble Mini" und ihr Dirigent Joolz Gale aus Berlin gastierten mit der finalen Show ihre "Late-Night Sinfonie"-Konzertreihe im Hamburger Musikclub "Uebel & Gefährlich". Zusammen mit Künstler Alexander Iskin boten sie den zahlreich erschienen Gästen ein kulturelles sowie einzigartiges Erlebnis.

Dirigent Joolz Gale (l.) und Künstler Alexander Iskin am Sonntagabend im Hamburger Musikclub "Uebel & Gefährlich".
Dirigent Joolz Gale (l.) und Künstler Alexander Iskin am Sonntagabend im Hamburger Musikclub "Uebel & Gefährlich".  © Madita Eggers/TAG24

Bereits eine Stunde vor Beginn des Konzerts wurde es in dem Hamburger Nachtclub langsam eng. Die aufgestellte Bestuhlung bot nicht einmal der Hälfte der Gäste Platz. Viele standen oder wählten den Fußboden als Sitzmöglichkeit.

Ein Außenstehender hätte bei diesem Bild vielleicht den Auftritt einer angesagten Newcomer-Band erwartet, doch stattdessen erklangen am Sonntag die Töne von Prokofjews 7. Symphonie. Genauer gesagt die Interpretation für das Mini-Orchester von Dirigent Joolz Gale.

Noch dazu eine Weltpremiere, wie der gebürtige Brite dem Publikum mitteilte. Warum er genau diese Sinfonie des Künstlers wählte, erklärt Gale gleich mit: "Prokofjew wollte immer – gerade am Ende seines Lebens –, Musik fürs Volk machen." Und genau das wollen auch Gale und das Ensemble Mini.

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Seit drei Jahren wollen die Musiker mit ihrer "Late-Night Sinfonie"-Reihe ein neues Publikum für die klassische Musik begeistern und die Darbietungsweise der Sinfoniekonzerte revolutionieren. Dazu gehört auch, Clubs als neue Spielorte zu implementieren.

"Bei uns sind alle willkommen, wir haben keine Regeln!"

Mitten im Club spielte das Ensemble Mini unter der Leitung von Dirigent Joolz Gale Prokofjews 7. Sinfonie und "Bilder einer Ausstellung" von Komponist Modest Mussorgsky.
Mitten im Club spielte das Ensemble Mini unter der Leitung von Dirigent Joolz Gale Prokofjews 7. Sinfonie und "Bilder einer Ausstellung" von Komponist Modest Mussorgsky.  © Madita Eggers/TAG24

"Ich glaube, der Schlüssel dafür ist, genau den kulturneugierigen Teil der Gesellschaft zu gewinnen, der sich aus irgendwelchen Gründen, sei es der Preis, die Atmosphäre oder der Dresscode, sonst immer von Konzerthallen fernhält", sagte Gale im Gespräch mit TAG24.

"Hier stelle ich sicher, dass sich jeder willkommen fühlt. Wir lächeln jeden an, wir haben keine Regeln, uns ist es egal, ob die Leute ein Getränk in der Hand haben oder zwischen den Sätzen klatschen, das spielt alles keine Rolle. Alles was zählt, ist das akustische Angebot, welches die Leute erleben können."

Und das Feedback sei bisher "fantastisch" ausgefallen. "Das Wort 'Experience' ist mir sehr wichtig. Es geht nicht darum, die Musik oder das Repertoire zu ändern, sondern darum, ein echtes Erlebnis für alle zu schaffen", so Gale.

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"Ab dem Moment, wo die Leute durch die Tür kommen, sollen sie das Gefühl haben, in einer anderen Welt zu sein. Wir wollen sie auf eine Reise mitnehmen, weil es das ist, was das Künstlersein ausmacht. Wenn du das Publikum nur zum Musikhören rein- und dann wieder rausschickst, verzauberst du niemanden für diese Reise. Die Leute brauchen auch ein Warm-up und ein Ende."

Das Warm-up bot am Sonntag der Hamburger DJ "Murphy" und das Ende Künstler Alexander Iskin mit seiner "schnellsten Kunstausstellung aller Zeiten". Die Entstehung seiner Werke konnte das Publikum über zwei Videoleinwände mitverfolgen. Denn Iskin malte live vor Ort zehn Bilder, während das Orchester "Bilder einer Ausstellung" von Komponist Modest Mussorgsky spielte.

"Hier hat die Malerei eine andere Sinnhaftigkeit!"

Zwei der zehn Bilder, die Künstler Alexander Iskin am Sonntagabend in nur 30 Minuten schuf.
Zwei der zehn Bilder, die Künstler Alexander Iskin am Sonntagabend in nur 30 Minuten schuf.  © Madita Eggers/TAG24

"Der schönste Part ist, dass Mussorgsky für das Stück von Viktor Hartmanns Werken auf einer Ausstellung inspiriert wurde - sein Freund, der nur kurz zuvor gestorben war. 150 Jahre später kann ich zu der Musik von Mussorgsky malen, also quasi genau andersherum", sagte Iskin am Samstag.

Der Berliner mit ukrainischen und russischen Wurzeln ist durch seine Mutter, Musikwissenschaftlerin und Geigerin, selbst tief mit der Musik verbunden. Seine Staffelei nennt er liebevoll "Stradivari": "Seit meiner Kindheit ist die Stradivari immer ein Name gewesen und ich wollte daraufhin mein Instrument, dass ich – auch wenn es kein wirkliches Musikinstrument ist – bespiele, so nennen. Aber auch weil ich ein Teil des Ensembles bin und mich auch als solches fühle", erklärte Iskin gegenüber TAG24.

In gerade mal drei bis sieben Minuten schuf dieser am Sonntag ein neues Bild, immer im Takt des jeweiligen Satzes. Während des Malprozesses drehte der Künstler die Leinwand immer mindestens einmal im Uhrzeigersinn, um "andere Perspektiven und Inhalte" entstehen zu lassen.

"Die Werke haben natürlich nicht so eine Tiefe wie solche, an denen über Monate hinweg gearbeitet wird. Aber hier hat die Malerei eine andere Sinnhaftigkeit, weil die einzelnen Bilder dem Zuhörer eher wieder als Orientierung dienen, um zu schauen: 'Ah, bei der Farbe war die und die Musik'", so Iskin.

"Es ist ein wunderschönes Konzept, dass es nach dem Konzert noch nicht vorbei ist und man noch weiter über die Musik ins Gespräch kommen kann. Wir wollen ein immersives Erlebnis bieten." Nervös sei Iskin vor Publikum nicht: "Ich versuch nur der Musik zu dienen."

Das Ensemble Mini auf Instagram

"Wir möchten auch andere deutsche Städte als Berlin und Hamburg besuchen"

Das Ensemble Mini will auch in Zukunft das Projekt "Late-Night Sinfonie" fortführen. Dann allerdings unter dem Namen "Ensemble Freigeist".
Das Ensemble Mini will auch in Zukunft das Projekt "Late-Night Sinfonie" fortführen. Dann allerdings unter dem Namen "Ensemble Freigeist".  © Christoph Neumann

Im Anschluss an das Konzert wurden die noch nicht trockenen Werke neben der Bühne ausgestellt, untermalt von den Beats von DJ Nico Stojan.

Neben der "trockenen Akustik" in Clubs, die zu einer für ein Orchester eigentlich zu kurzen Nachhallzeit führt, sei vor allem die Finanzierung die größte Herausforderung für das Projekt von Joolz Gale. Aktuell wird das Projekt noch von "Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien" unterstützt. Weitermachen wollen Gale und das Ensemble aber auf jeden Fall. Dann nur unter einem anderen Namen: Freigeist Ensemble.

"Wir möchten auch andere deutsche Städte als Berlin und Hamburg besuchen. Speziell die Städte, in denen viele junge Leute leben. Es ist so wichtig, diese zu erreichen und dabei dreht sich alles um das Erlebnis an sich", sagte Gale.

Am Sonntagabend gelang den Künstlern auf jeden Fall ein einzigartiges Erlebnis, welches mit tosendem Applaus von Jung und Alt gewürdigt wurde.

Titelfoto: Madita Eggers/TAG24

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