Carsten "Erobique" Meyer: "Man soll sich bitte erlauben, Fehler zu machen"

Hamburg - Das lange Warten hat bald ein Ende! Carsten Meyer (50), besser bekannt als Erobique ("Easy Mobeasy") hat pünktlich zu seiner Bühnen-Silberhochzeit seine zweite (eigene) Platte fertig. TAG24 traf sich mit Carsten in seinem Studio zum Gespräch.

Carsten Meyer (50) traf sich mit TAG24 zum Gespräch.
Carsten Meyer (50) traf sich mit TAG24 zum Gespräch.  © TAG24/Nora Petig

Ein Ladengeschäft irgendwo in Hamburg. Vorhänge dienen vor den Schaufenstern als Sichtschutz.

Kaum eingetreten erblickt man Carstens Plattensammlung links, seinen Arbeitsplatz mit Keyboard, Mischpult und vielem mehr ganz zentral im Raum stehen.

In einem zweiten Zimmer, mit einem langen Vorhang vom ersten abgetrennt, versteckt sich ein aufgebautes Schlagzeug und weitere Instrumente, die der Musikant, wie er sich im Gespräch selbst bezeichnet, für seine Aufnahmen benötigt.

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Bei einem Wasser und zwei Zigaretten sprechen wir über sein Album, seine Shows und warum ihm die Gemeinschaft so wichtig ist.

TAG24: Die Frage aller Fragen: Wieso hast Du Dir so viel Zeit gelassen, um ein neues Album zu machen?

Carsten Meyer: Ich habe davor in den Jahren immer Probleme gehabt. Ich hab wirklich tolle Platten gemacht - Mit "International Pony", die "Tatortreiniger"-Soundtracks etc. Das waren immer Platten, wo die Aufgabenstellung klar war.

Bei Erobique habe ich eigentlich die ganzen Jahre über live gespielt. Und das, was man so live erlebt - gerade weil meine Musik empfänglich dafür ist, vor dem Publikum und mit dem Publikum praktisch geformt zu werden - das hat mich immer davor abgeschreckt.

"Jetzt habe ich während Corona so viel Soundtrack-Musik geschrieben und dabei so viele Künstler:innen kennengelernt, mit denen ich das Album dann zusammen machen konnte. Das war toll."
"Jetzt habe ich während Corona so viel Soundtrack-Musik geschrieben und dabei so viele Künstler:innen kennengelernt, mit denen ich das Album dann zusammen machen konnte. Das war toll."  © PR

TAG24: "Easy Mobeasy" ist genau so entstanden.

Meyer: Ich habe ganz oft versucht "Easy Mobeasy" im Studio in Form zu gießen. Das ist mir überhaupt nicht gelungen. Deswegen habe ich dann irgendwann Abstand davon genommen, weil die Live-Auftritte trotzdem noch liefen, auch ohne Platte.

Jetzt habe ich während Corona so viel Soundtrack-Musik geschrieben und dabei so viele Künstler:innen kennengelernt, mit denen ich das Album dann zusammen machen konnte. Das war toll.

Also auch nicht die Idee, dass man alleine in seinem Kämmerchen sitzt und verzweifelt an so einer Platte schraubt, sondern sich Menschen einzuladen und mit denen zusammen die Musik auszuarbeiten.

TAG24: So ein bisschen das Jam-Feeling genießen.

Meyer: Genau. Und überhaupt, dass man sich trifft und in einem Raum ist. Zusammen Mittagspause macht, zusammen Spazieren geht. Das ist total wichtig für mich.

Das älteste Stück auf No 2 "Italo Tape" ist von 2003

Am 16. Juni erscheint Erobiques neues Album "No 2".
Am 16. Juni erscheint Erobiques neues Album "No 2".  © Screenshot/Instagram/erobiqueoffiziell

TAG24: Was bedeutet Dir die neue Platte? Hat sie eine Botschaft?

Meyer: Es hat keine offensichtliche Botschaft. Es ist keine intellektuelle Platte, die sich politisch zu den Zuständen äußert oder Veränderungen einfordert.

Ich finde, diese Platte ist dafür geeignet, sie mit anderen zusammen zu hören. Vielleicht im Auto auf dem Weg zum Badesee. Oder auf dem Fahrrad. Das ist vielleicht das, was mir wichtig wäre.

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TAG24: Also dass das Album so, wie ihr es aufgenommen habt, auch konsumiert wird. Gemeinschaftlich. Wie lange habt ihr gebraucht?

Meyer: Ich hatte ganz viele Skizzen. Das älteste Stück "Italo Tape" ist von 2003. Ich habe ein riesiges Archiv. Mich da durchzuwühlen hat schon eine Zeit gedauert.

Und dann gibt es aber auch Stücke wie "Der Arpeggiator" oder "Ravedave". Die sind in Berlin bei Siriusmo im Studio auch wirklich entstanden.

TAG24: "Verkackt" ist die erste Singleauskopplung. Wieso fiel die Wahl gerade auf den Track?

Meyer: Ich denke da gar nicht so konzeptuell drüber nach.

TAG24: Wer hat den Song denn ausgesucht?

Meyer: Wir haben den zu dritt ausgesucht. Zusammen mit der Radio-Promotorin und meinem Manager und Freund Marcel Vega. Aber ich find's ganz gut. Es ist das komplette Gegenteil von "Easy Mobeasy" oder "Urlaub in Italien". Es ist vielleicht auch der einzige etwas politische Song. Ein toller Trennungssong. Ein toller Song, wenn der Lieblingsverein verloren hat.

Man kann es natürlich auch ganz dystopisch sehen - und da ist ja leider auch ein bisschen was dran. Ein bisschen ein Zeichen der dunklen Stunden, die ich dann auch habe, wenn ich nachts zu viele Nachrichten gucke und mir zu viele Sorgen mache.

"Disco for the Peoples!"

"Disco for the Peoples!", so beschreibt Erobique seinen Sound.
"Disco for the Peoples!", so beschreibt Erobique seinen Sound.  © Markus Scholz/dpa

TAG24: Wie würdest Du jemandem Deine Auftritte/Shows beschreiben, der Dich noch nie live gesehen hat?

Meyer: Es ist eine Zelebrierung der Gemeinschaft und ich stehe da als Moderator und auch als Musikant auf der Bühne.

Es geht darum, dass man zusammen etwas erlebt, was man einzeln nicht erleben könnte und gar nicht so sehr darum, dass man unten steht und sich so einen Rockstar-Dödel anguckt, der da oben sein Ego poliert. Sondern darum, dass man zusammen singt und Sachen erlebt.

Deshalb auch viele Improvisationen. Viele Sachen passieren vor Ort, die es an anderen Orten dann so genau gar nicht mehr gibt, nicht mehr so gespielt werden.

TAG24: Dann ist jedes Konzert anders, weil das Publikum ein anderes ist.

Meyer: Ich habe auch Konzerte gegeben, wo ich alles in dem Moment erfunden habe, das macht auch Spaß. Das kann man nicht auf einer großen Bühne wie im Stadtpark machen, wo auch Kinder dabei sind, die "Easy Mobeasy" und "Urlaub in Italien" hören wollen. Den Spaß will ich ihnen dann auch nicht nehmen.

"Urlaub in Italien" hat gar nicht so eine feste Form. Das kann man live immer noch ein bisschen anders spielen. Diese Freiheit möchte ich auch gerne haben.

TAG24: "Urlaub in Italien" ist mit dem Publikum zusammen erst entstanden.

Meyer: Das ist vor Jahren auf dem "Immergut"-Festival aus mir rausgeplatzt. Danach haben es alle am Lagerfeuer gesungen.

TAG24: Davon gibt auch keine Studioaufnahme.

Meyer: Das würde bei dem Stück auch keinen Sinn ergeben, weil das Publikum ist wirklich Teil des Ganzen.

TAG24: Kannst Du Deinen Sound mit wenigen Worten beschreiben?

Meyer: Disco for the Peoples! Hab ich jetzt einfach mal spontan erfunden. Merk ich mir.

"Eigentlich mag ich Unfälle auf der Bühne sehr gerne"

Erobique live auf dem MS Dockville Festival 2017.
Erobique live auf dem MS Dockville Festival 2017.  © IMAGO / Future Image

TAG24: Wie bereitest Du Dich auf diese improvisierten Shows vor?

Meyer: Ich übe auch meine Stücke. Aber es ist so, dass man sich ein bisschen warm spielt.

Am liebsten treffe ich mich mit dem Schlagzeuger Lucas Kochbeck, der mich begleitet, und dann spielen wir einfach frei nach Schnauze, gehen zwischendurch ein bisschen zu lange was essen und dann denken wir: Ach, das haut schon irgendwie hin.

TAG24: Dann ist schon mal die Stimmung gut. Das ist ja auch wichtig.

Meyer: Man darf das nicht vergessen. Vor ein paar Jahren habe ich das irgendwann mal eingesehen. Seitdem macht es auch mehr Spaß. Das Machen selber, das Proben, das Ausarbeiten, das soll Spaß machen.

Deswegen teile ich das gerne mit anderen Leuten und hole mir Menschen dazu, mit denen ich das machen kann. Meine Lebenserinnerung ist ja nicht nachher der große Erfolg, dass viele Leute beim Konzert waren, sondern, die Erinnerung, dass ich das mit anderen Menschen zusammen gemacht und geprobt habe.

Manchmal müssen Blut, Schweiß und Tränen fließen, aber wenn möglich vielleicht nicht, wenn man es vermeiden kann.

TAG24: Ging beim Improvisieren schon mal etwas daneben?

Meyer: Ja, als Ich mal vor meinen Neffen gespielt habe. Da ist mir ein Musikcomputer sowas von daneben gegangen. Der hat sich verstimmt und ich habe bis heute nicht raus, was da los war.

TAG24: Und auf der großen Bühne?

Eigentlich mag ich Unfälle auf der Bühne sehr gerne, weil sie auch wieder Raum zum Improvisieren geben. Wenn etwas nicht funktioniert, und man muss es irgendwie überbrücken, dann ist es eigentlich auch wieder eine Chance. Und das Publikum fiebert ja auch gerne mit, wenn etwas nicht funktioniert und man es gut moderiert.

Aber es gibt halt diese Momente, wo Du dann nichts mehr machen kannst. Das finde ich dann total schrecklich. Leute haben ja dafür Eintritt bezahlt. Da muss man wirklich auf sehr viel Verständnis vom Publikum hoffen. Aber es ist sehr selten vorgekommen. Eigentlich geht immer irgendwas.

Erobique ist durch Fehler weit gekommen

"Ja, ich liebe Fehler. Fehler haben mich in meinem Leben weiter gebracht, als keine Fehler zu machen."
"Ja, ich liebe Fehler. Fehler haben mich in meinem Leben weiter gebracht, als keine Fehler zu machen."  © PR

TAG24: Meistens wird es dann trotzdem irgendwie ein schöner Abend?

Meyer: Es sollte vielleicht noch ein Instrument dabei sein, auf dem man spielen kann.

TAG24: "Fehler is King", wie es in einem Zitat von Knarf Rellöm in deiner Pressemitteilung heißt?

Meyer: Ja, ich liebe Fehler. Fehler haben mich in meinem Leben weiter gebracht, als keine Fehler zu machen. Außerdem finde ich Fehler machen sehr befreiend. Man wundert sich, wie viele Leute davor Angst haben.

Noch sind wir keine Roboter, noch kann man Fehler machen. Und man lernt ja auch einfach aus ihnen. Man soll sich bitte erlauben, Fehler zu machen.

"Seit zehn Jahren haben sich die jungen Leute auch echt nochmal gewandelt"

"Für mich ist es ein großer Teil Lebensqualität, zwei kleine Sätze beim Bäcker zu wechseln oder eine entfernte Bekannte im Zug zu treffen und kurz zu quatschen."
"Für mich ist es ein großer Teil Lebensqualität, zwei kleine Sätze beim Bäcker zu wechseln oder eine entfernte Bekannte im Zug zu treffen und kurz zu quatschen."  © Anne Backhaus

TAG24: Seit 25 Jahren stehst Du inzwischen auf der Bühne. Dein Publikum umfasst mehrere Generationen. Alle feiern Dich und Deine Musik. Wie schaffst Du das?

Meyer: Ich hab keine Ahnung. Ich freue mich total, dass ich noch ein junges Publikum habe. Irgendwie kommen die auch immer nach.

Ich kriege als DJ mit, dass viele junge Leute auch total offen sind für ältere Musik. Jazz, Disco, Rock oder Soul ...

Man lernt auch von den jungen Leuten. Die Parameter ändern sich ja gerade und das finde ich auch eigentlich gut und richtig, darauf einzugehen. Das hält mich aber auch davon ab, so ein grantiger, alter Sack zu werden. Irgendwie erlauben mir die jungen Leute das nicht, so zu werden.

Seit zehn Jahren haben sich die jungen Leute auch echt nochmal gewandelt. Ich kann nach einem Konzert ins Publikum gehen und es ist total normal und unaufgeregt.

TAG24: Die Gruppenerfahrung/das Zusammensein scheint Dir sehr wichtig zu sein.

Meyer: Ja, was haben wir denn noch? Sonst sitzen wir doch alle da und glotzen in unsere bescheuerten Telefone rein.

Für mich ist es ein großer Teil Lebensqualität, zwei kleine Sätze beim Bäcker zu wechseln oder eine entfernte Bekannte im Zug zu treffen und kurz zu quatschen. Da möchte ich mich gar nicht mehr abschotten.

"Vielleicht muss ich mal so eine Disco-Metall-Platte machen"

Carsten Meyers neues Album "No2".
Carsten Meyers neues Album "No2".  © PR

TAG24: Dein Album erscheint am 16. Juni. Was sind die nächsten Pläne?

Meyer: Ich finde die Idee eigentlich gut, dass ich nicht weiß, was ich im Herbst mache. Aber ich hätte Bock, mal so ein richtig schreckliches blutrünstiges Heavy Metal-Cover zu zeichnen. Vielleicht muss ich mal so eine Disco-Metall-Platte machen.

TAG24: Gibt es sowas überhaupt schon?

Meyer: Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall muss ich zusehen, dass ich mit guten Rock-Gitarristinnen arbeite. Rocktypen gehen mir echt auf die Nerven mit ihren Spandex-Hosen.

TAG24: Frauen auf die Bühne!

Meyer: Das sowieso. Aber es ist immer noch so, dass diese Szenen so lang und so alt sind, dass man auf der Suche nach Musiker:innen hauptsächlich Männer findet. Ich komme ein bisschen aus dem Bereich "Hamburger Schule" und Punk. Da war es immer ganz normal, dass man gemischt geschlechtliche Bands hatte.

Bei den Profi-Musikern ist das schon wieder ein bisschen klassischer aufgeteilt, und Ich wünsche mir, dass sich das wirklich auflöst. Und das tut es ja gerade auch.

Carsten Meyers Album "No2" erscheint am 16. Juni. Am 17. Juni spielt er live auf der Bühne des Hamburger "Stadtpark Open Airs". Tickets erhaltet Ihr unter tickets.kj.de.

Titelfoto: PR

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