Träller-Gaga auch bei "Joker: Folie à deux": Es reicht mit dem Musical-Wahnsinn!
Berlin - Eins, zwo, drei, vier, eine weitere Musikrevue tanzt durch die Tür: "Joker: Folie à deux" zieht aktuell das Publikum ins Kino. Es bekommt: einen balzenden Arthur Fleck aka der Joker (Joaquin Phoenix, 49) mit Harley Quinn (Lady Gaga, 38) in eingeschobenen Gesang- und-Tanzeinlagen. Herbert Grönemeyer (68) würde nölen: Was soll das?
Als der letzte Song gesungen, der Schwan vermutlich gestorben - aus Spoiler-Gründen bleibt es vage hier - stromern zwei US-amerikanische Besucherinnen jüngeren Jahrgangs aus dem Berliner Kino und postulieren punktgenau: Warum muss heutzutage jeder Film ein Musical sein?
Etwas muss also passiert sein. Irgendwann.
Eine Epiphanie, als sich Hollywoods Regie-Götter dachten: Das ist eine gute Idee. Ein Streifen über einen mordenden Psycho-Clown aus dem DC-Kosmos? Lasst ihn singen!
Gleiches Spiel bei "Emilia Pérez" von Netflix: Lieder in einem Oscar-Köder über einen mexikanischen Drogenbaron, der sich einer geschlechtsangleichenden Maßnahme unterzieht? Sí!
Was ist aus der guten, alten zwischenmenschlichen Kommunikation geworden? Reden. Ein gewisses Maß an Musikszenen ist legitim, peppt auf oder entschleunigt. "Goodbye Horses" in "Das Schweigen der Lämmer", "Great Balls of Fire" in "Top Gun: Maverick", oder "Que Sera Sera" in "Der Mann, der zu viel wusste", um nur drei zu nennen.
Zugegeben: Der hochgradig komplexe Charakter des vermeintlich affektinkontinenten Joker mag Sinatra, die Musik als Fluchtmotiv und zeitgleich Ausdruck einer Kritik an der neoliberalistischen Gesellschaft - kann man gelten lassen.
Dennoch bleibt ein Gefühl der Willkür, des Unbestimmtheit - egal, wie viel Sinn der Zuschauer in den musikalischen Nummern als inneren Monolog finden soll oder will. Vor allem bei einer Spielzeit von weit mehr als zwei Stunden.
Filmkritik: "Joker: Folie à deux"
Ein Blick umher in den Saal offenbart ferner: Der Stoff zieht Menschen an, die sich augenscheinlich mit Arthur identifizieren.
So weit, dass sie an ernsten Stellen hysterisch lachen, aufgepeitscht von Substanzen, Snacks tosend mit dem Kiefer zermahlen oder gar ohne Oberteil den eigenen Körper erforschen.
Eine junge Frau mit englischem Zungenschlag findet nebst der anderen Kapriolen Zeit zum Mitsingen. Die These ist erlaubt: Ein Mitmachtheater psychischer Krankheiten hatte Regisseur Todd Phillips (51) nicht im Sinn.
Dass der Film wie antizipiert ein Musical ist, kann er nicht bestreiten - aber auch "ein Gefängnisfilm und vor allem ein schleppendes Gerichtsdrama", wie die "Irish Times" schreibt.
Was aber ist die an sich leidenden Joker-Fortsetzung mit dürftigem Handlungsstrang, die im Titel die "Geistesstörung zu zweit" trägt? Popkultur-Papst Diedrich Diederichsen (67) hat in der "FAZ" die Antwort: ein Mordmusikfilm.
Titelfoto: Niko Tavernise/Warner Bros. Pictures/dpa