Regisseurin zeigt echte Geburt im Kino: "Ich wusste nicht mal, wie eine Plazenta aussieht"

Hamburg - Mit ihrem Debüt-Spielfilm "Vena" hat Chiara Fleischhacker (31) schon vor dem offiziellen Kinostart am 28. November für viel positives Aufsehen gesorgt – unter anderem erhielt sie den renommierten "First Steps Award". Weltpremiere feierte der Film im Oktober auf dem Filmfest Hamburg, wo TAG24 die Nachwuchs-Regisseurin zum Interview traf.

Chiara Fleischhacker (31, r.) beim Filmfest Hamburg, wo "Vena" Weltpremiere feierte. "Merken Sie sich diesen Namen", sagte Filmfestleiterin Malika Rabahallah (54, l.) über die Nachwuchs-Filmemacherin.  © Tag24/Madita Eggers

In "Vena" wird die Geschichte der werdenden Mutter Jenny (gespielt von Emma Nova) erzählt, die Drogen abhängig ist und aufgrund eines früheren Delikts in Gefängnis muss.

Dabei gelingt es dem Film Klischees aufzubrechen und gleiche mehrere Konfliktthemen auf eine so wertschätzende Art darzustellen, dass es den Zuschauenden leicht fällt, sich mit Jenny zu identifizieren und Empathie für sie zu empfinden.

Insbesondere aufgrund der sehr authentischen Darstellungen von Sucht, Mutterschaft und Geburt. Gerade letztere wird in allen Einzelheiten gezeigt – für die eindrucksvollen Szenen hatte Fleischhacker zuvor extra werdende Mütter gesucht, die bereit sind, ihre Geburt filmen zu lassen.

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TAG24: Chiara, mit welchem Thema hat Jennys Geschichte für Dich begonnen?

Chiara: Ich habe mich viele Jahre mit dem Thema Strafvollzug auseinandergesetzt. Anfänglich im Männerstrafvollzug und dann mit dem Mutterwerden – ich bin alleinerziehende Mutter einer vierjährigen Tochter – habe ich mich in der Schwangerschaft gefragt, wie es für schwangere Inhaftierte ist und das war die Leitfrage, die mich zur thematischen Ebene des Films geführt haben. Aber für mich gibt es zwei Ebenen.

TAG24: Inwiefern?

Chiara: Einmal die thematisch sehr beladene Ebene, wo Strafvollzug, Sucht, Schwangerschaft in Haft, Sozialhilfe und Hebammenmangel eine Rolle spielen. Und dann gibt es die Ebene der emotionalen Entwicklung von Jenny, die konträr zu dem verläuft, was ihr widerfährt. Sie schafft es, sich durch starke Entscheidungen von den Menschen zu lösen, die ihr nicht guttun; für das einzustehen, was sie braucht – wie für eine selbstbestimmte Geburt.

Das sind Entwicklungen, die einen Funken Hoffnung geben und wo sie ganz viel Stärke für sich gewinnt, die ihr auch keiner mehr nehmen kann.

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Trailer zu "Vena"

Chiara Fleischhacker will "Bilder in die Welt zu tragen, die näher an der Realität sind"

Hauptdarstellerin Emma Nova (29) spielt in "Vena" die werdende Mutter Jenny. Der Spielfilm kommt am 28. November bundesweit in die Kinos.  © Neue Bioskop Film

TAG24: Bei der Geburt hast Du viel Wert auf eine realistische Darstellung gelegt – ebenso beim dargestellten Drogenkonsum. Warum war Dir diese Authentizität so wichtig?

Chiara: Ich habe da eigentlich gar nicht viel darüber nachgedacht, wie ich Dinge möglichst authentisch darstelle. Es ist einfach meine Art, die Welt zu sehen. Ich kann mir eher nicht vorstellen, wie man es nicht so machen kann. Ich habe die Themen sehr ernst genommen, viel recherchiert und aufmerksam die Welt beobachtet. Und so sind dann die mehrdimensionalen Charaktere entstanden.

TAG24: Warum denkst Du, hatten bzw. haben nicht auch andere Filmschaffende den Anspruch eine Geburt realistischer darzustellen?

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Chiara: Also diese Frage gebe ich ab, weil genau das würde mich auch mal interessieren, wie man so weit an der Realität vorbei inszenieren kann. Und dabei geht es nicht darum, ob man selbst schon einmal eine Geburt erlebt hat oder nicht: Mit einem wertschätzenden Anspruch können auch Menschen, die nicht geboren haben, authentischere Geburtsszenen inszenieren. Oft fehlt aber der Zugang zum Thema oder die notwendige Neugier und das ist natürlich ein großes Problem, weil wir unser Bild von Geburt aus Filmen beziehen.

Ich habe das auch gemacht: Ich habe mir die Geburt meiner Tochter so vorgestellt, wie ich sie aus Filmen kannte, was auch mit einem Bild von Mutterschaft einhergeht, welches total romantisiert wird. Ich wusste nicht mal, wie eine Plazenta aussieht und das als Ende 20-jährige schwangere Frau. Es gibt so einen Clash von einem realistischen Bild von Mutterschaft in allen Facetten und dem was gezeigt wird.

Es war mir ein ganz großes Anliegen, Bilder in die Welt zu tragen, die näher an der Realität sind. Damit man sich wiedererkennt, sein Frauenbild prägt und die Stärke und Schönheit einer Geburt wertschätzt.

Fleischhacker: "Wir können nichts ungesehen machen, was man einmal gesehen hat"

"Vena" ist Chiara Fleischhackers (m.) Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo sie seit 2015 Regie und Dokumentarfilm studierte.  © Isabell Kessler

TAG24: Was muss sich Deiner Meinung nach ändern?

Chiara: Es geht ja um ein allgemein mangelhaftes Frauenbild in Filmen – nicht nur beim Thema Schwangerschaft. Frauen werden oft immer noch über ihr Aussehen definiert und nicht darüber, was sie fühlen oder tun. In vielen Bereichen gibt es eine dringende Not, Sachen komplexer und schöner darzustellen.

Ältere Schauspielerinnen werden beispielsweise immer weniger, dabei fängt doch gerade dann eine ganz neue Schönheit und sehr viel Potenzial an, weil es auch ein großes Identifikationsbedürfnis in der Gesellschaft gibt. Nur wenn das umgesetzt wird, kann es einen sehr kraftvollen Deutschen Film geben, aber dafür muss Geld fließen.

TAG24: Warum ist gerade Film ein gutes Medium für gesellschaftlichen Wandel?

Chiara: Film ist eine sehr dankbare Kunstform und ein wahnsinnig starkes Medium, weil es Bilder in die Welt trägt. Unser Selbstbild ist so nah an die filmische Realität geknüpft, mit der wir aufwachsen, dass die Verantwortung mit den Bildern, die wir produzieren, enorm hoch ist. Wir können nichts ungesehen machen, was man einmal gesehen hat. Der Reichtum an und die Stärke von Bildern hat einen Einfluss darauf, was wir werden, vor allem für junge Menschen. Im besten Fall im positiven, aber eben auch im negativen Sinne.

TAG24: Was erhoffst Du Dir, dass die Zuschauenden aus Deinem Film mitnehmen?

Chiara: Was mir ganz besonders am Herzen liegt, ist, dass junge Frauen, deren Selbstwert so tief angesetzt ist, sehen, was sie für wundervolle Menschen sind und dass sie sich nicht mit destruktiven Menschen oder Lebenssituationen abfinden müssen, weil sie sich nicht wertvoll genug fühlen, sondern, dass sie wunderschön sind und ganz tolle Leben führen können.

Im Rahmen der bundesweiten Kinotour wird Chiara Fleischhacker zusammen Emma Nova am 21. November erneut mit "Vena" eine Woche vor Kinostart in Hamburg zu Gast sein. Im Anschluss der Vorführung im Abatan-Kino wird es ein Nachgespräch mit Dr. Reyhan Şahin geben. Tickets gibt es auf abaton.de.

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