"Pleasure"-Schöpferin Ninja Thyberg über Pornos: "Männer gewalttätig gegenüber Frauenkörpern"!

Berlin - Warum dreht eine Regisseurin einen Spielfilm über die Pornoindustrie? Ninja Thyberg (37) hat genau das mit ihrem Indie-Meisterwerk "Pleasure" getan. Sie stand TAG24 im Interview Rede und Antwort zu ihren Beweggründen sowie ihrer Sichtweise auf die Branche, aber auch das Verhalten der Gesellschaft.

"Pleasure"-Regisseurin Ninja Thyberg (37) beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Sexindustrie.
"Pleasure"-Regisseurin Ninja Thyberg (37) beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Sexindustrie.  © Stefan Bröhl

Die schwedische Filmschaffende erklärte zum Start: "Zuerst war ich mehr an dem Produkt als an der Pornoindustrie interessiert. Ich war 16 Jahre alt und mein damaliger Freund zeigte mir einen Porno. Ich war schockiert, weil ich eine sehr unschuldige Sicht auf Sex hatte."

Sie führte weiter aus: "Ich dachte, ein Porno sei so wie die sexy Frauen in der Werbung oder im Musikvideo, nur nackt. Aber diese Brutalität... Sie waren nicht wie glamouröse Königinnen, supersexy, geschmeidig und elegant."

Stattdessen wurde gezeigt, wie man auf ihr Gesicht kommt. Thyberg stimmte das nachdenklich, entsetzt und wütend zugleich: "Die Männer waren sehr gewalttätig gegenüber den Frauenkörpern, so wie man es in keinem anderen Medium sieht. Wenn ein Mann eine Frau in einem normalen Film so behandelt, ist er der Bösewicht und sie das Opfer."

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Sie schlussfolgerte: "Frauen sind mehr oder weniger nur Sexpuppen und alles konzentrierte sich auf das Vergnügen des Mannes." So seien diese Videos ausschließlich auf die männliche Zielgruppe ausgerichtet.

Thyberg schockierte das auch deshalb, weil sie sich damals bezogen auf ihren Freund fragte: "'Oh mein Gott, erwartet er das von mir?' Ich wurde so wütend, weil ich realisierte, dass wir so unterschiedliche Erwartungen an Sex haben."

Deutscher Trailer zu "Pleasure" von Ninja Thyberg mit Sofia Kappel

"Pleasure"-Regisseurin Ninja Thyberg: "Wurde immer wieder von der Polizei festgenommen"

Ninja Thyberg (37) war jahrelang eine Anti-Porno-Aktivistin.
Ninja Thyberg (37) war jahrelang eine Anti-Porno-Aktivistin.  © Stefan Bröhl

"Ich war so frustriert und wollte darüber mit der Erwachsenen-Welt sprechen. Aber niemand wollte darüber reden, jeder fühlte sich bei diesem Thema super unbehaglich. Ich war schon damals eine Feministin. Deshalb engagierte ich mich in Anti-Porno-Aktivisten-Gruppierungen. Für ein paar Jahre wurde ich immer wieder von der Polizei festgenommen. Wir haben nie Leute verletzt, aber wir warfen Steine auf sechs Clubs und haben ihre Fassaden besprüht."

Zudem habe es damals noch Porno-Magazine in Shops gegeben. Die hätten Thyberg und ihre Mitstreiter "zerstört".

Heute sagt sie: "Ich war damals sehr radikal. Ich konnte Pornos nur als Objektivieren von und männlichen Blick auf Frauen sehen. Ich konnte keine positive Seite von Pornos sehen. Aber je mehr ich das Thema studiert habe und je älter ich wurde, desto mehr verstand ich andere Sichtweisen."

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Thyberg führte weiter aus: "Sex in Filmen musste nicht immer etwas Schlechtes sein. Ich hörte von feministischen Pornos, was zuerst ein Widerspruch war. Denn ich dachte, dass Pornos immer erniedrigend gegenüber Frauen seien, dass das in der Natur der Sache liegen würde."

Doch es war anders: "Ich war sehr neugierig und begann, mich reinzuarbeiten. Das war die Zeit, in der ich anfing, selbst Filme zu drehen. Ich machte keine feministischen Pornos, war aber Teil dieser Gemeinschaft und machte erotische Filme mit andersartigen Bildern, um Alternativen zu kreieren."

Originaltrailer zu "Pleasure" von Ninja Thyberg mit Sofia Kappel

"Pleasure"-Regisseurin Ninja Thyberg arbeitete sich über die Jahre "zum Kern der Industrie" vor

Ninja Thyberg (37) dreht in "Pleasure" den Spieß um und zeigt die männerdominierte Welt aus der Sicht einer jungen Frau.
Ninja Thyberg (37) dreht in "Pleasure" den Spieß um und zeigt die männerdominierte Welt aus der Sicht einer jungen Frau.  © PR/Plattform Produktion

So grub sich die sympathische Regisseurin immer tiefer vor und sprach auch mit Branchen-Insidern, um deren Perspektive zu verstehen. Dadurch verstand sie, dass es auch in der Pornowelt nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern wie überall im Leben viele Grautöne.

Im Rahmen ihres Studiums schrieb sie dann sogar ein Essay über Pornos, was Inspiration für ihren Kurzfilm "Pleasure" war, den sie 2012 drehte und der 2013 auf dem renommierten Filmfestival in Cannes seine Weltpremiere feierte. Zu der Zeit wuchs auch ihr Interesse an der Industrie, während sie sich zuvor hauptsächlich auf das Produkt selbst konzentriert hatte.

2013 führte sie ihr Weg dabei schon einmal nach Berlin. Damals zeigte sie ihren Kurzfilm auf dem Porno-Filmfestival und sprach mit Sexarbeitern: "Sie beschrieben ihre Arbeit ganz anders, als ich dachte. Deshalb wollte ich das selbst sehen. So ging ich 2014 das erste Mal nach Los Angeles, um Nachforschungen anzustellen."

Fünf Jahre lang pendelte sie zwischen L.A. und Stockholm hin und her, arbeitete sich "zum Kern der Industrie" vor.

Ninja Thyberg wurde für "Pleasure" bereits mehrfach ausgezeichnet

Pornostars sind für Ninja Thyberg "wie Sex-Athleten"

Zwei weibliche "Pleasure"-Pornostars, die im Film Rivalinnen sind: Bella Cherry (Sofia Kappel, 23, l.) und Ava (Evelyn Claire, 25).
Zwei weibliche "Pleasure"-Pornostars, die im Film Rivalinnen sind: Bella Cherry (Sofia Kappel, 23, l.) und Ava (Evelyn Claire, 25).  © PR/Plattform Produktion

Thyberg teilte ihre Eindrücke: "Frauen sind nicht schwach. Frauen sind stark." Auch das lernte sie in dieser Zeit. Denn die Menschen in der Branche sind nicht "kaputt", sondern arbeiten beispielsweise hart im Gym an ihren Körpern.

"Sie sind wie Sex-Athleten. Natürlich haben sie es mit dem Patriarchat und einer sehr männlich dominierten Industrie zu tun. Aber das macht sie auch tough", so die Regisseurin.

Dann nennt sie ein interessantes Beispiel: "Mixed-Martial-Arts-Kämpfer tun einem nicht leid, weil sie verprügelt werden. Denn sie wollen das tun und haben sich dafür entschieden. Sie können Dinge tun, zu denen man selbst nicht in der Lage ist."

So bedauerte sie nach einer gewissen Anlaufzeit auch ihre Geschlechtsgenossinnen nicht mehr: "Meine Absicht war immer, loyal zu den Frauen zu stehen. Ich dachte anfangs, sie müssten gerettet werden und wären Opfer. Stattdessen war ich beeindruckt, mit wie viel Scheiße sie umgehen konnten."

Thyberg verdeutlichte außerdem: "Es ist leicht, es als eine Sache zu verallgemeinern und so zu tun, als hätte jeder dieselbe Hintergrundgeschichte. Einige Dokumentationen zeigen die dunkle Porno-Seite. Das ist wahr, aber es sind auch andere Dinge richtig."

Ninja Thyberg testete bei den Dreh-Vorbereitungen zu "Pleasure" selbst Sex-Stellungen aus

Ninja Thyberg über die Pornobranche: "Sie denken, dass wir die Perversen sind"

Die Sexindustrie befriedigt viele unterschiedliche Fantasien der zuschauenden Menschen, macht sich laut Ninja Thybergs Aussagen aber genau darüber lustig.
Die Sexindustrie befriedigt viele unterschiedliche Fantasien der zuschauenden Menschen, macht sich laut Ninja Thybergs Aussagen aber genau darüber lustig.  © PR/Plattform Produktion

Die Branche sei sehr vielfältig und habe "viele unterschiedliche Fraktionen" mit politischem Ansatz und um Sachen zu verändern.

Thyberg sagte: "Ich habe die Inhalte von Pornos immer als Resultat von der Kultur der Industrie gesehen." Das sei aber nicht der Fall.

Dann erinnerte sie sich an einen ihrer ersten Pornodreh-Besuche zurück: "Es waren zwei farbige Männer und ein kleines weißes Mädchen. Sie hatte ein Schulmädchen-Outfit oder sowas an. Und der Regisseur gab Anweisungen wie: 'Oh, guck ängstlich. Du hast Angst vor den großen schwarzen Schwänzen, die dich belästigen.'"

Sie führte weiter aus: "Ich schrieb in mein Notizbuch und fand das so sexistisch und rassistisch. Dann drehte sich der Regisseur um, schaute mich an und sagte: 'Was stimmt nicht mit euch Leuten? Warum müssen wir so eine Scheiße machen?'"

Das überraschte sie damals: "Ich habe das so verstanden, dass er mich angucke, als wäre ich dafür verantwortlich, dass sie sowas drehen müssen. Sie sehen die Probleme und fühlen sich nicht unbedingt von solchen Sachen angezogen. Sie denken, dass wir die Perversen sind."

Ninja Thyberg war an vielen Porno-Sets zu Gast und traf dabei auch Stars der Branche

Ninja Thyberg suchte eineinhalb Jahre nach einer Hauptdarstellerin, bis sie endlich Sofia Kappel fand

Hauptdarstellerin Sofia Kappel (23) zeigt bei ihrem Schauspieldebüt in "Pleasure" eine überragende Leistung.
Hauptdarstellerin Sofia Kappel (23) zeigt bei ihrem Schauspieldebüt in "Pleasure" eine überragende Leistung.  © Stefan Bröhl

Thyberg ergänzte: "Sie schütteln wirklich ihren Kopf über die Mainstream-Menschen und denken sich: 'Oh mein Gott, die Leute sind im Kopf wirklich so gestört.' Sie lachen über all diese dummen Fantasien, die sie erfüllen müssen."

Die intelligente Dame führte weiter aus: "Denn das ist das, wonach die Leute online suchen. Sie sehen sich selbst hauptsächlich als Arbeiter, die dem Publikum nur das geben, was es haben will."

Das sei für Thyberg ein "wirklich wichtiger Perspektivenwechsel" gewesen. "Es ist ein System und jeder spielt seine Rolle. Sie verteidigen es nicht, nur, weil sie dort mitmachen. Jeder denkt sich: 'Ich muss meine Rechnungen bezahlen.' Die Welt ist ein gestörter Ort."

Deshalb ist die Industrie für Thyberg "sehr zynisch". Auch das sei ein Grund gewesen, nun ihren ersten Langspielfilm zu drehen. Doch die Suche nach einer Hauptdarstellerin gestaltete sich schwierig.

Bis sie endlich Sofia Kappel (23) fand. Doch was sah sie in der jungen Frau ohne Schauspielerfahrung? "Viele verschiedene Dinge. Ich habe eineinhalb Jahre nach der perfekten Person für diese Rolle gesucht. Denn ich brauchte jemanden, der die Kombination aus sehr intelligent und stark sowie ein bisschen Verletzlichkeit ist, sodass sich das Publikum emotional mit ihr identifizieren kann. Aber nicht zu viel, damit wir nicht denken, dass sie Schutz braucht oder dass sie unfähig ist, für sich selbst zu sorgen."

Ninja Thyberg vertraute Sofia Kappel, was sich auszahlen sollte

Ninja Thyberg war für die "Pleasure"-Hauptrolle "mit Tausenden in Kontakt"

Sofia Kappel (23) hält als Bella Cherry auch jungen Sex-Influencerinnen und deren Fans den Spiegel vor.
Sofia Kappel (23) hält als Bella Cherry auch jungen Sex-Influencerinnen und deren Fans den Spiegel vor.  © PR/Plattform Produktion

Die Balance musste stimmen. Zudem sei auch Humor wichtig gewesen, um Sympathien zu gewinnen: "Der Film ist ihr gegenüber loyal. Wir verstehen ihre Motivation und sehen sie nicht als Objekt an."

Darüber hinaus musste sie natürlich auch darstellerische Fähigkeiten mitbringen, was in Kappels Fall "superselten" sei, weil sie "noch nie zuvor geschauspielert hat".

Daher dauerte die Suche so lange. Thyberg erklärte, in ganz Schweden gesucht zu haben: "Wir waren mit Tausenden in Kontakt. Ich traf ständig Leute, die sagten: 'Oh, ich war beim Vorsprechen' oder 'Mein bester Freund war bei deiner Audition'."

Dann habe sie Kappel gefunden und war darüber extrem glücklich, denn die junge Schwedin "trägt den ganzen Film". Damit hat Thyberg völlig recht. Kappel zeigt eine überragende Leistung!

Auch auf die fetzige und auffällige Musikuntermalung kam sie zu sprechen: "Ich wollte einen epischen Score. Denn ich wollte das Statement setzen, dass ihre Reise ein Epos der großen Fragen im Leben war. Es ist metaphorisch gesprochen eine Geschichte über Himmel und Hölle."

Die "schwedische Gruppe" um Ninja Thyberg (M.) und Sofia Kappel (r.) auf einer Party

Dazu spielt auch das Make-up eine wichtige Rolle: "Es funktioniert im Film wie im wahren Leben. Wenn sie performt, trägt sie eine Maske. Sie ist eine Vorstellung und konzentriert sich auf die Oberfläche. Wenn sie nicht performt, ist sie mehr sie selbst und das sehen wir im Film. Denn er behandelt Stereotypen und Medienimages. Wir blicken aber unter die Oberfläche und schauen, was dahintersteckt. Im Film wird der männliche Blick von der weiblichen Sichtweise bloßgestellt", verdeutlichte Thyberg zum Schluss.

Titelfoto: Stefan Bröhl

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