"Spencer": Bulimie und Halluzinationen! Die große Verzweiflung der Prinzessin Diana
Deutschland - Dieses Drama blickt hinter die royalen Kulissen! "Spencer" läuft am 13. Januar in den (offenen) deutschen Kinos an und lebt von Kristen Stewarts (31) überragender Leistung als Prinzessin Diana. Die TAG24-Kritik.
Direkt zu Beginn wird deutlich gemacht, dass es sich hier um die Fabel einer wahren Tragödie handelt. Der Film steigt an Heiligabend 1991 ein, als Queen Elisabeth II. (Stella Gonet, 61) die Königsfamilie gemäß der jährlichen Tradition auf Gut Sandringham versammelt.
Küchenchef Darren (Sean Harris, 56) und seine Crew bereiten all die erlesenen Speisen für die Royals vor, während Diana Frances Spencer (Kristen Stewart, 31) ihren Porsche selbst fährt, sich dabei aber verirrt hat und die perplexen Bürger und Angestellten in "The Dutch Cafe" um Weghilfe bittet.
Bald trifft sie auf Darren, der ihr zufällig entgegengefahren ist und sie zur Eile drängt, weil die Königin bald eintreffen werde. Diana rennt allerdings lieber aufs angrenzende Feld, um einer Vogelscheuche den Mantel abzunehmen. Auch davon abgesehen verhält sie sich immer wieder merkwürdig.
Sie kommt endlich auf dem Landsitz an, wo sie von Major Alistair Gregory (Timothy Spall, 64) und ihren Söhnen William (Jack Nielen, 12) und Harry (Freddie Spry, 10) in Empfang genommen wird. Selbst Dianas Kindern gelingt es nur kurzzeitig, ihr Gemüt aufzuheitern.
Denn sie ist erkennbar unglücklich und will einfach nur aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen, was sie aufgrund ihres Standes aber nicht kann/darf. Stattdessen entwickeln sich die drei Feiertage für sie zu einer psychischen Tortur, weshalb sie rebelliert, was wiederum zu Spannungen führt ...
Deutscher Trailer zu "Spencer" von Pablo Larrain mit Kristen Stewart, Sean Harris und Sally Hawkins
"Spencer" ist ein ambivalentes, mit der Zeit aber fesselndes Biopic geworden
Diese Geschichte hat der chilenische Regisseur Pablo Larrain (45, "Jackie: Die First Lady", "Ema", "Neruda") klasse umgesetzt. Ihm ist ein nachhallendes Werk gelungen, das ein ambivalentes und etwas anderes Porträt der beliebten Medienikone geworden ist.
Dabei hat man zu Beginn durchaus Schwierigkeiten, das abstrakte Verhalten der Hauptfigur nachzuvollziehen. Erst mit der Zeit lassen sich die Motive und Handlungen von Diana besser nachvollziehen, was an der exzellent ausbalancierten Charakterdarstellung sowie -entwicklung, aber auch am starken Drehbuch von Steven Knight (62, "Peaky Blinders: Gangs of Birmingham", "Tödliche Versprechen - Eastern Promises", "No Turning Back") liegt.
Puzzleteilartig bringen er, Larrain und die Crew dem Publikum das komplexe Seelenleben der "Princess of Wales" näher und treffen mit ihren ausgefeilten Dialogen den Nagel immer wieder auf den Kopf. Etwa, als Diana vielsagend erklärt: "Schönheit ist nutzlos. Nur ein Gewand." Oder: "Ich ziehe den Wahnsinn der anderen Leute an." Sie gibt in einer Sequenz auch an, sich wie ein Insekt zu fühlen, das unter einem Mikroskop genau beobachtet und bewertet wird.
All das setzt ihr psychisch erkennbar zu, sodass sie ihr Essen erbricht und weiter ab-, statt zunimmt. Wie sehr sie unter ihrem Image in der Öffentlichkeit und den vollständig durchgeplanten Tagen ohne einen Hauch von Freiheit leidet, sind die Kernaspekte des Films. Durch ihren Stand kann Diana aber auch nicht einfach aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen, was ihr Leid verstärkt und Psychosen zur Folge hat.
Originaltrailer zu "Spencer" von Pablo Larrain mit Timothy Spall und Jack Farthing
Kristen Stewart zeigt in "Spencer" die bisher beste Leistung ihrer Karriere
All das fängt die französische Kamerafrau Claire Mathon (47, "Porträt einer jungen Frau in Flammen") in wunderschönen Aufnahmen voll poetischer Schönheit und hohem künstlerischen Niveau ein.
Gerade die abwechslungsreichen Landschaften - gedreht wurde die deutsch-englische Koproduktion unter anderem in Berlin und Brandenburg - tragen viel zur dichten Atmosphäre des Dramas bei.
Die Crew holt dabei wahrlich das Maximum aus den Locations heraus - besonders aber aus Stewart ("Jean Seberg - Against All Enemies", "3 Engel für Charlie", Bella Swan in "Twillight"), die die beste Leistung ihrer beeindruckenden Karriere zeigt und als eine der "Oscar"-Favoritinnen in der Kategorie "beste Hauptdarstellerin" ins Rennen gehen dürfte.
Die Ausnahmekünstlerin trägt "Spencer" scheinbar mühelos und verkörpert Diana mit all ihren Widersprüchlichkeiten auf grandiose Art und Weise. Mal verletzlich, mal stark, mal durchschauend, mal verwirrt - Stewart gelingt der Balanceakt, all diese Aspekte mit ihrer Körpersprache, aber auch ihrer ausgefeilten Mimik glaubwürdig darzustellen. So hat sie entscheidenden Anteil daran, dass man mit ihrer Protagonistin mitfiebert und immer besser versteht, wie unglücklich Diana gewesen sein muss.
Ohnehin liegt der Fokus ausschließlich auf ihr. Sally Hawkins (45, "Maudie"), Spall (Wurmschwanz in "Harry Potter") und Harris ("Mission: Impossible - Rogue Nation") stellen ihren Fähigkeiten in vergleichsweise wenigen Szenen trotzdem unter Beweis und runden das große Schauspielkino ab.
"Spencer" besticht mit einer betörenden Bildsprache und behandelt universelle Themen
Dass sie alle so glänzen können, haben sie jedoch auch der Arbeit der erstklassigen Künstler im Hintergrund zu verdanken. Das Szenebild strotzt beispielsweise nur so vor Details und zeigt damit den Kontrast zwischen prunkvollem Schein und dem zerrissenen Innenleben von Diana sehr gut auf.
Die prächtigen Kostüme sind dank ihrer Feinheiten sogar eine eigene Filmfigur und spielen für die Handlung eine entscheidende Rolle. Auch die großartige Musikuntermalung von Jonny Greenwood (50, "The Power of the Dog") muss hervorgehoben werden, weil sie die Stimmung je nach Situation gekonnt verstärkt.
Zudem wird die deprimierende Ausgangslage regelmäßig von typisch englischem Humor aufgelockert. Etwa, wenn gezeigt wird, wie steif und förmlich ein royales Essen abläuft. Das sorgte bei der Berliner Pressevorführung im Zoo Palast aufgrund der Situationskomik für einige Lacher. Zu der trägt der Schnitt ebenfalls seinen Teil bei. Er ist zwar nicht perfekt, weil der Beginn ein wenig schleppend geraten ist, steigert sich im weiteren Verlauf allerdings erheblich.
Da einen das Drama mit der Zeit auch emotional packt, ist es trotz der erwähnten kleinen Schwächen mitreißend, stimmt während und im Anschluss des 117 Minuten langen Werkes nachdenklich und behandelt mit Themen wie Einsamkeit und dem Drang nach Freiheit universelle Aspekte, mit denen wohl jeder etwas anfangen kann.
Zusammengenommen ist "Spencer" ein hochinteressantes, spannendes und wichtiges Biopic geworden, das mit einer fantastischen Stewart in der Hauptrolle, einer betörenden Bildsprache und aussagekräftigen Dialogen zu glänzen vermag. Sehenswert!
Titelfoto: PR/Pablo Larraín/DCM