"Schachnovelle": Monatelange Psycho-Folter hinterlässt tiefe Narben!
Deutschland - Komplette Isolation! Das heftige Drama "Schachnovelle" startet am 23. September in den deutschen Kinos und führt den Zuschauern die brutalen Auswirkungen seelischer Qualen vor Augen. Die TAG24-Kritik.
Wien im Jahre 1938: Der gebildete Notar Dr. Josef Bartok (Oliver Masucci, 52) liest zwar, dass die Nazis um ihren Führer Adolf Hitler immer stärker werden, doch die österreichischen Zeitungen lassen ihn und viele andere im Unklaren darüber, wie nahe die Machtergreifung bereits ist.
Als er und seine Frau Anna (Birgit Minichmayr, 44) zu einer Veranstaltung fahren, werden sie von rechten Demonstranten bedrängt. Sie haben Glück, dass sie im Auto sitzen. Denn einer macht die Kopf-ab-Bewegung und ein anderer hält ein Transparent mit der Aufschrift "Hitler ist unsere einzige Hoffnung" hoch. Auch davon abgesehen schlägt ihnen eine Welle des Hasses entgegen.
Dennoch wollen sie sich ihren Spaß nicht nehmen lassen. Bis Gustav Sailer (Lukas Miko, 50) zu Josef kommt und ihn beiseite zieht: "Heute Nacht marschieren sie ein!"
Der markante Glatzkopf führt weiter aus: "Anna und du, ihr müsst fliehen, sofort! Du stehst auf ihrer Liste." Josef kann das gar nicht glauben und fragt: "Woher sollen die denn wissen, was ich tu?" Gustav erwidert ehrlich: "Das weiß ich nicht, aber eines ist klar: Sie haben ihre Leute überall." Nun sind die Bartoks alarmiert und machen sich schnell auf den Heimweg. Josef springt zu Hause raus, Fahrer Max (Anton Rattinger, 70) bringt Anna zum Bahnhof. Kommt er nicht nach, soll sie alleine fahren. Und dieses Worst-Case-Szenario tritt wenig später ein.
Denn noch während er sich erst wichtige Daten einprägt und dann die Blätter verbrennt, dringen Gestapo-Leute in die Wohnung ein und nehmen ihn fest. Er wird ins Edelhotel Metropole zu Verhörspezialist Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch, 36) gebracht, dem er die entsprechenden Codes geben soll, durch die den Nazis viel Geld in die Hände fallen könnte. Josef weigert sich und wird fortan in einem Zimmer komplett isoliert. Diese Foltermethode setzt dem geselligen Mann sehr zu...
Trailer zu "Schachnovelle" mit Oliver Masucci, Albrecht Schuch und Birgit Minichmayr
Oliver Masucci glänzt in "Schachnovelle" und reißt die Zuschauer in den Film hinein
Diese Geschichte hat Regisseur Philipp Stölzl ("Nordwand", "Der Medicus", "Winnetou - Eine neue Welt") atmosphärisch dicht umgesetzt.
Zwar ist sein Werk nicht frei von Schwächen, reißt aber besonders wegen der überragenden Leistung von Masucci ("Enfant Terrible", "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", "Er ist wieder da") mit.
Der gebürtige Stuttgarter hat seinen Part bis in die kleinsten Details durchdacht, erfasst und stellt die vielen unterschiedlichen Facetten seiner Figur exzellent sowie glaubwürdig dar.
Ob pure Verzweiflung, intime Momente mit seiner Frau oder Augenblicke des Wahnsinns: Masucci meistert all das scheinbar mühelos, was auch an seiner bekannten mimischen Ausdrucksstärke liegt, die hier voll zur Geltung kommt. All das ist ganz große Schauspielkunst!
Dass er nicht für den Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller nominiert wurde, liegt nur daran, dass er sonst gleich zweimal in dieser Kategorie vertreten wäre. Dennoch eine fragwürdige Entscheidung.
An seiner Seite glänzen auch Schuch ("Berlin Alexanderplatz", "Systemsprenger", "Fabian oder Der Gang vor die Hunde") als Gestapo-Folterer mit Tiefgang und Minichmayr ("Nur Gott kann mich richten", "Der Untergang", "Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte") als wichtiger Gegenpol ihres Mannes.
"Schachnovelle" ist nicht perfekt ausgewogen, aber dennoch sehenswert
Zudem hat die Story gute Momente und hält einen durchgehend bei der Stange, obwohl sie nicht perfekt ausbalanciert ist.
Die vielen schnellen Schnitte und Sprünge zwischen der Verhörzeit im Wiener Hotel und der anderen Zeitebene auf einem Schiff in die USA bremsen das Drama manchmal ein wenig aus. An anderen Stellen verleihen sie dem Werk allerdings eine fesselnde Dynamik.
Vollends stimmig kommt die Umsetzung von Stefan Zweigs Dauerbestseller also nicht daher, sehenswert ist sie dennoch. Schließlich zeigt sie die Auswirkungen psychischer Folter hintergründig auf und macht deutlich, wie lange solch grausame Erfahrungen einen Menschen nicht nur begleiten, sondern sogar beherrschen können.
Diesen Kernaspekt der Handlung hat Stölzl mit seiner Crew exzellent herausgearbeitet. So fühlt man mit Masuccis leidgeplagtem Charakter mit und kann gut nachvollziehen, wie es ihm in den jeweiligen Situationen geht.
Obwohl der Ton - typisch deutscher Film - nicht perfekt ausgesteuert ist und einige Aussagen undeutlich sind, überzeugen die schlagfertigen Dialoge ebenso, wie die zeitversetzenden Kostüme, die stimmigen Locations, der untermalende Score und die dynamische Kameraführung. Die Spezialeffekte sind hingegen immer wieder auf den ersten Blick als solche zu erkennen, was aber nur flüchtig auffällt und zum Glück nicht wirklich stört. Dass dieses interessante Drama ausgerechnet auch in dieser Kategorie mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet werden könnte, liegt vorrangig am Mangel an Alternativen.
Die anderen sechs Nominierungen sind nämlich durchaus verständlich (bester Spielfilm, beste weibliche Nebenrolle, bestes Szenenbild, bestes Kostümbild und bestes Maskenbild).
So ist "Schachnovelle" speziell dank Masucci ein lebhaftes, mitreißendes Werk mit Tiefgang geworden, dem allerdings die Ausgewogenheit fehlt. Das wiederum verhindert, dass das vorhandene Potenzial vollends ausgeschöpft wird. Den Folterwahn erlebt man emotional aber hautnah mit, weshalb Stölzls Drama lange Zeit in Erinnerung bleibt.
Titelfoto: PR/Studiocanal/ Walker + Worm Film /Julia Terjung