"Pleasure" blickt hinter die Kulissen der Pornoindustrie und zeigt explizite Sexszenen!
Deutschland - Ein Ausnahmefilm! "Pleasure" von Regisseurin Ninja Thyberg (37) hat sich in den vergangenen Monaten völlig zu Recht zu einem echten Festivalhit entwickelt, lief am 13. Januar 2022 regulär in den deutschen Lichtspielhäusern an und ist seit dem 11. März auf Blu-ray, DVD sowie als VoD zu erwerben. Lest hier noch einmal die TAG24-Kritik zum Kinostart.
Die bekennende schwedische Feministin macht direkt zu Beginn klar, dass es hier ordentlich zur Sache geht. In den ersten Sekunden hört man nur typisch übertriebenes Porno-Gestöhne.
Dann setzt ein orchestraler Frauenchor ein und die Handlung beginnt. Bella Cherry (Sofia Kappel, 23) kommt am Flughafen in Los Angeles an, wo sie gefragt wird, ob sie beruflich oder zum Vergnügen ("pleasure") hier ist. Sie entscheidet sich für Letzteres.
Direkt danach ist zu sehen, wie sich die 19-Jährige unter der Dusche den Schambereich rasiert, verrenkt, um an alle Stellen zu kommen, und sich leicht schneidet. Doch für die junge Nordeuropäerin ist es die Mühe wert, schließlich fährt sie anschließend mit dem Auto zu ihrem ersten Pornodreh, für den sie auf Video mehrere Fragen beantworten und einige Formulare ausfüllen muss.
Sie macht sich schick und erhält für ihre Rolle als "unschuldiges Mädchen aus der Nachbarschaft" 900 US-Dollar Gage. Als sie nicht weiß, was eine Intimdusche ist, lachen der Regisseur Joe (Reza Akar), Hauptdarsteller Brian (John Strong) und Set-Helfer Bear (Chris Cock) allerdings über sie. Das wiederum verunsichert Bella Cherry, sodass Joe ihr Mut zusprechen muss, was ihm auch gelingt. So hat sie zwar Lampenfieber, spielt ihre Rolle jedoch und zieht den Shoot durch.
Denn sie hat ein Ziel vor Augen, will in den USA der nächste große Pornostar werden und ist bereit, dafür alles zu tun. Der Weg dahin ist in dieser männerdominierten Branche allerdings weit, steinig und mit vielen sexuellen Überwindungen verbunden ...
Deutscher Trailer zu "Pleasure" von Ninja Thyberg mit Sofia Kappel
"Pleasure" ist ein Indie-Meisterwerk, das das Thema Pornos in den Fokus der Öffentlichkeit rückt
Diese Geschichte hat Thyberg überragend umgesetzt. Ihr ist einer der besten und vor allem auch wichtigsten Filme des Jahres gelungen, der ein Schattenthema ins Licht der Öffentlichkeit rückt, den Diskurs über Pornos anstößt und unsere Sehgewohnheiten kritisch hinterfragt.
Dazu hält "Pleasure" der Gesellschaft mit seiner entlarvenden und feministischen Machart geschickt den Spiegel vor. In der Sex-Branche werden logischerweise vornehmlich Dinge gedreht, die auch klicken bzw. Geld einbringen. Was immer sich die Menschen angucken, wird deshalb auch gemacht, egal, was die Verantwortlichen davon halten und wie sexistisch sowie rassistisch jene sind. Sie sind schlichtweg ein Abbild der Bevölkerung.
Darüber hinaus gelingt es Thyberg schon zu Beginn, Neugier sowie Interesse zu wecken und mit einem sehr hohen künstlerischen Anspruch zu beeindrucken, der durchgehend dank starker Einstellungen und einem smarten Schnitt auffällt.
Obwohl sie hier viele Sex-Praktiken sehr explizit zeigt, gelingt es ihr erstaunlich gut, Bella Cherrys Figur sowie deren inneren Zwiespalt hintergründig darzustellen und ihr so die Oberflächlichkeit zu nehmen.
Stattdessen fühlt man (auch als Mann) mit der Protagonistin mit und durchlebt dabei eine emotionale Achterbahnfahrt, weil sie so universell und nachvollziehbar gestaltet wurde. Auch die Nebenrollen haben Substanz, Eigenheiten und Tiefe, weshalb Thybergs Werk von der ersten bis zur letzten Minute mitreißt und sich nachhaltig ins Gedächtnis einbrennt.
Originaltrailer zu "Pleasure" von Ninja Thyberg mit Sofia Kappel
Sofia Kappel begeistert bei ihrem Schauspieldebüt in "Pleasure" mit einer überragenden Leistung
All das gelingt aber nur, weil Thyberg nach über eineinhalb Jahren Casting und unzähligen Bewerberinnen Kappel fand, die bei ihrem Schauspieldebüt eine imposante und vor allem extrem mutige Leistung mit vollem Körpereinsatz zeigt. Die junge Schwedin meistert extrem aufwühlende Szenen ebenso wie subtile Momente. Selten konnte eine Darstellerin in ihrer ersten Rolle so überzeugen!
Dazu hat sich Thyberg für einen weiteren klugen Kniff entschieden. Sie heuerte weitestgehend echte Pornostars an, die sich selbst spielen, und ließ sie beim Dreh improvisieren. Das trägt erkennbar zur Authentizität von "Pleasure" bei.
Ebenso wie die tiefschürfende, jahrzehntelange Recherche der 37-Jährigen, die sich seit mehr als 20 Jahren auf unterschiedlichste Weise mit der Thematik beschäftigt und ab 2014 in die Sex-Industrie von Los Angeles abtauchte, sodass sie nach und nach das Vertrauen der handelnden Personen wie Mark Spiegler gewann. Deshalb gelingt es ihr so überzeugend, hinter die Kulissen zu blicken und den vermeintlich anregenden Erotik-Sequenzen ihre übersexualisierte Wirkung zu nehmen.
Das hängt auch damit zusammen, dass sie gekonnt aufzeigt, wie wenig stimulierend es mitunter am Set zugeht. Zudem wird durch ihre fast schon dokumentarische Herangehensweise deutlich, wie sehr Pornodarsteller eine Rolle spielen. Geht es vor der Kamera im wahrsten Sinne des Wortes noch ordentlich zur Sache, wird mit dem "Cut"-Ruf über ganz normale Dinge wie berufliche Probleme gesprochen, Bella Cherry beispielsweise für ihren ersten Auftritt als "Naturtalent" gelobt.
Ninja Thybergs Recherche und Beobachtungsgabe machen "Pleasure" zu einem Indie-Hit
Gerade Thybergs exzellente Beobachtungsgabe fließt in ihr Werk mit ein und macht es zu einem hochgradig spannenden Kino-Erlebnis, das visuell viel zu bieten hat - auch abseits der nackten Penisse, Brüste, Hinterteile und Körper.
Die Kostüme sind nämlich großartig, weil farbenfroh, vielfältig und unverfälscht. Ein ganz besonderes Augenmerk legen die Macherinnen auf das Make-up, das Bella Cherry wie eine Rüstung trägt. Bei den Dreharbeiten und auf Partys ist sie aufgetakelt, vorher sowie danach kommt sie ohne aus, wirkt dann viel verletzlicher und mehr wie sie selbst.
Dieser Kernaspekt wird ebenfalls sehr gelungen und ausgewogen inszeniert. Denn Bella Cherry ist nicht etwa nur Opfer, sondern eine ambivalente Erscheinung, die erkennbar für sich selbst sorgen kann, aus ihren Fehlern sowie Erfahrungen lernt, reflektiert daherkommt und neben sensiblen Momenten auch viele Augenblicke der inneren Stärke hat.
Sie steht damit sinnbildlich für die weiblichen Stars der Branche, die mit sehr viel Mist umgehen können. Dazu fungiert Kappel mit ihrer empathischen Herangehensweise als erdender Anker und Identifikationsfigur zugleich. Wie sie dieses Drama mithilfe von Thyberg scheinbar mühelos trägt, ist wahrlich beeindruckend!
Score von "Pleasure" fetzt, Kameraführung sorgt für eindringliche Bilder, die im Gedächtnis bleiben
Zur dichten Atmosphäre trägt auch die fetzige Musikuntermalung von Karl Frid (42, "Human Affairs") bei. Die Mischung aus Frauenchor-Elementen und coolen Hip-Hop-Beats passt bestens zur epischen Storyline und verstärkt die Stimmungslage je nach Situation geschickt.
Die abwechslungsreichen sowie prägnanten Locations und besonders die dynamische Kameraführung von Sophie Winqvist (44) voll eindringlicher Aufnahmen tragen ebenfalls viel zum Gelingen dieses großartigen Werkes bei, das nur eine kleine Schwäche hat.
Der Antrieb und die Motivation für Bella Cherrys Gang aus einem schwedischen Dorf in die Sexbranche wird nicht genannt, was laut Thyberg und Kappel aber ganz bewusst so entschieden wurde. Dennoch fragt man sich natürlich, weshalb sie sich ausgerechnet für diese Industrie entschied.
Wer das Fehlen einer Auflösung in dieser Hinsicht akzeptieren kann, der erlebt einen nachhallenden Film mit humorvollen, aber auch emotional sehr heftigen Sequenzen, der aufzeigt, wie schwer es ist, aufzusteigen und was man dafür alles tun muss.
Deshalb ist "Pleasure" zusammengenommen ein Indie-Meisterwerk, das rund um den Globus gezeigt wird und international Preise gewinnt, weil es in die Tiefe geht, eine überragende Regie-Führung von Thyberg hat und Kappel in ihrer ersten schauspielerischen Rolle überhaupt brilliert. Da auch die vielschichtige Story, der weibliche Blick auf die Branche und die Sexszenen überzeugen, ist dieses schwedische Drama unbedingt sehenswert, sofern man die explizite Darstellung und Themen wie Ausbeutung sowie Objektifizierung von Frauen abkann.
Titelfoto: PR/Plattform Produktion