"Niemand ist bei den Kälbern": Mann drückt Zigarette im Intimbereich seiner Affäre aus

Deutschland - Dieser Film kennt keine Tabus: In "Niemand ist bei den Kälbern", der am 20. Januar in den deutschen Kinos startet, wird das Leben in der norddeutschen Provinz ungeschönt und trist gezeigt. Von Idylle fehlt hier jede Spur. Warum Schauspielerin Saskia Rosendahl (28) ihre bisher beste Leistung abliefert, lest Ihr in der TAG24-Kritik.

Christins Freund Jan (Rick Okon, 32) interessiert sich nur noch für den eigenen Familienbetrieb.
Christins Freund Jan (Rick Okon, 32) interessiert sich nur noch für den eigenen Familienbetrieb.  © Filmwelt Verleihagentur GmbH

Mecklenburg-Vorpommern irgendwo im Nirgendwo: Christin (Saskia Rosendahl) Mitte zwanzig, lebt mit ihrem gleichaltrigen Freund Jan (Rick Okon, "Tatort") auf dem Milchviehhof seines Vaters (Peter Moltzen, 51, "Berlin Calling").

In Schattin gibt es weit und breit nichts außer fünf Häusern, einer Bushaltestelle und sehr vielen Kühen. Es ist Hochsommer, die Temperaturen schießen in die Höhe, die Felder sind ausgedörrt. Die vermeintliche Dorfidylle sucht man vergebens.

Für Christin gibt es hier nichts mehr zu holen: Zwischen Kuhstall, Scheune und Bauernhof bewegt sich ihr Leben in immer gleichen Bahnen.

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Ihre beste Freundin Caro (Elisa Schlott, 27, "Ein Hauch von Amerika") hat schon das Weite gesucht, ihr Vater (Andreas Döhler, 48, "Tatort"), ein Alkoholiker, sich längst aufgegeben.

Und auch die Beziehung zu Jan ist nicht mehr so, wie sie mal war. Sämtliche Leidenschaft ist dahin. Beide leben nur noch nebeneinander her, Tag für Tag derselbe Ablauf. Christin will einfach nur weg, weiß aber nicht, wie und wohin.

Dann kommt der Windkraftingenieur Klaus (Godehard Giese, 49, "Totgeschwiegen") aus Hamburg für einige Zeit zum Arbeiten in die abgelegene Provinz. Die junge Frau fühlt sich schnell zu dem deutlich älteren und erfahreneren Mann hingezogen. Ist er ihr Ticket in die Freiheit?

Trailer zu "Niemand ist bei den Kälbern" mit Saskia Rosendahl, Rick Okon, Godehard Giese

"Niemand ist bei den Kälbern" nimmt das Klischee vom idyllischen Dorfleben auseinander

Der verheiratete Klaus (Godehard Giese, 49) macht Christin Avancen.
Der verheiratete Klaus (Godehard Giese, 49) macht Christin Avancen.  © Filmwelt Verleihagentur GmbH

"Fährst du in die Stadt? Weil du so angezogen bist." Dass Christin nicht so recht in die Dorfgemeinschaft passen will, sieht man ihr sofort an.

Anstatt praktische Latzhosen und Gummistiefel anzuziehen, trägt sie kurze Hotpants und bauchfreie Tops in knalligen Neonfarben. Die aufreizende Kleidung ist für sie eine Art Befreiungsakt, bringt sie dem unabhängigen Leben, von dem sie träumt, ein Stück näher.

Generell macht sich die junge Frau in "Niemand ist bei den Kälbern" nicht viel aus den gängigen Dorfkonventionen. Auf eigene Kinder hat sie keine Lust und die Hofarbeit lässt sie auch gern mal links liegen, während sie heimlich davon träumt, einfach abzuhauen.

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Es sind vor allem die kleinen Details, die Regisseurin Sabrina Sarabi (39, "Prélude") nach und nach in die Geschichte von "Niemand ist bei den Kälbern" einwebt, die mit der Zeit ein immer vielschichtigeres Bild von Hauptfigur Christin zeigen.

Denn diese redet nicht besonders viel und schon gar nicht gern über ihre Gefühle. Vermutlich hat sie es nie gelernt, weil sie schlichtweg keiner gefragt hat. Erst als Klaus in ihr Leben tritt und wissen will, "Wovon träumst du?", scheint sie regelrecht aufzublühen.

"Niemand ist bei den Kälbern" liefert Saskia Rosendahl ihre bisher beste Leistung ab

Christin (Saskia Rosendahl, 28) weiß nichts mit ihrem Leben anzufangen.
Christin (Saskia Rosendahl, 28) weiß nichts mit ihrem Leben anzufangen.  © Filmwelt Verleihagentur GmbH

Ihre Dorfkumpels, mit denen sie sich regelmäßig zum Alkoholabsturz trifft, haben sich nie danach erkundigt. Ihr Vater ist sowieso nur mit sich selbst beschäftigt und das Leben ihres Freundes Jan dreht sich einzig und allein um den Milchviehhof.

Dass die Beziehung zu Klaus nicht die erhoffte Rettung ist, wird spätestens dann klar, als er nach dem ersten Sex seine Zigarette zwischen ihren Beinen ausdrückt.

In derart irritierenden Szenen, die es zuhauf in dem deutschen Drama gibt, ist es vor allem Saskia Rosendahls ("Fabian oder der Gang vor die Hunde") Spiel, das für die nötige Glaubhaftigkeit sorgt. Ihr leerer, gelangweilter Blick funktioniert perfekt als Kommentar für den Stillstand, der sie umgibt.

Deshalb braucht es auch nicht viele Worte, um sich schnell in ihrer Figur hineinzufühlen. Ohne Scheu präsentiert sich Rosendahl auch in den unangenehmsten Momenten - etwa wenn Christin auf dem Klo sitzt und ihren Klebe-BH langsam abzieht - und schafft damit die nötige Nähe, die es braucht, um mit der jungen Frau mitzufiebern und dem Streifen einen fast dokumentarischen Charakter zu verleihen.

Sarabi gelingt es mit ihrem erst zweiten Spielfilm, eine regelrechte Sogwirkung zu entwickeln, obwohl die Story, die auf dem gleichnamigen Roman von 2017 beruht, wenige Überraschungen bereithält und manchmal ein wenig vor sich hin plätschert.

Am Ende ist es aber gerade diese Gleichförmigkeit, die das nach außen hin oft romantisch verklärte Landleben als Sackgasse entlarvt und "Niemand ist bei den Kälbern" schon jetzt zu einem der spannendsten deutschen Filme des noch jungen Kinojahres macht.

Titelfoto: Filmwelt Verleihagentur GmbH

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