"Invisible Demons": Wenn die Armen "wie Ameisen zertreten werden"

Deutschland - Erschütternd! "Invisible Demons" läuft am 3. November in den deutschen Kinos an und ist ein wichtiger sowie hoffnungslos stimmender Dokumentarfilm geworden. Die TAG24-Kritik.

Viele Menschen müssen sich wegen Atemwegsbeschwerden behandeln lassen. Die Auswirkungen der Luftverschmutzung sind verheerend.
Viele Menschen müssen sich wegen Atemwegsbeschwerden behandeln lassen. Die Auswirkungen der Luftverschmutzung sind verheerend.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

Denn das Werk von Rahul Jain (31, "Machines") deckt schonungslos auf, wie sehr wir Menschen unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Der indische Regisseur konzentriert sich dabei auf seine Heimat, die Region Delhi, in der mittlerweile rund 31 Millionen Personen leben.

Dabei entwickelt der Künstler eine beeindruckende und zugleich verstörende Bildsprache. Seine Aufnahmen erinnern nicht selten an Apokalypse-Filme. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass sie real sind und vor Ort gedreht wurden.

So sieht man zu Beginn, wie giftige Chemiegase in einem Park verteilt werden. Dazu muss man wissen, dass die Luftverschmutzung in Indien ohnehin gewaltig ist.

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Teilweise liegt die Schadstoffbelastung sogar über einem Wert von 400 oder 500. Wenig verwunderlich, dass im Jahr des Drehs 1,2 Millionen (!) Inder infolge dessen gestorben sind. Das sind rund zehn Prozent aller Todesfälle, mehr als beispielsweise durch Rauchen oder Verkehrsunfälle sterben.

In einer Woche kommen also mehr Menschen ums Leben, als es Opfer im Indisch-Pakistanischen Krieg gab. Darüber hinaus sind 50 Prozent der Lungen aller Kinder in Delhi unwiederbringlich geschädigt, außerdem liegen 14 der 50 verschmutztesten Orte der Erde in Indien. Es sind zutiefst alarmierende und bedrückende Fakten sowie optische Eindrücke.

Originaltrailer zum Kino-Dokumentarfilm "Invisible Demons"

"Invisible Demons" arbeitet klar heraus, wie wir Menschen unsere eigene Lebensgrundlage zerstören

Große Feste mit viel Feuerwerk und damit einhergehend hoher Feinstaubbelastung heizen die Luftverschmutzung zusätzlich an.
Große Feste mit viel Feuerwerk und damit einhergehend hoher Feinstaubbelastung heizen die Luftverschmutzung zusätzlich an.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

Doch genau das will und muss Jain mit seiner Doku auch erreichen, wenn sich irgendetwas ändern soll. Das gelingt ihm nachdrücklich, sein Film rüttelt auf und beschäftigt einen auch nach dem Ansehen wochenlang.

Denn selbst, wenn man schon eine negative Grundeinstellung wegen all der Dinge hat, die in der Welt vorgehen bzw. schieflaufen, desillusioniert einen "Invisible Demons" (unsichtbare Dämonen) zusätzlich.

Schließlich wird hier eindringlich herausgearbeitet, wie sehr wir die Klima- und Umweltprobleme befeuern und auf eine Katastrophe zusteuern, wenn sich nichts ändert. Jain unterlegt seinen visuell kraftvollen Film immer wieder mit Fernsehberichten.

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Dort erfährt man, wie die Regierung an besonders schlimmen Tagen der Luftverschmutzung die Menschen bittet, nicht nach draußen zu gehen. Man solle Aktivitäten am frühen Morgen vermeiden und lieber kurz spazieren gehen, anstatt zu joggen.

Als wäre all das noch nicht genug, nehmen auch noch die Hitzewellen zu, ebenso der Wassermangel. Ein gut betuchter Inder sagt, dass er es sich nicht mehr vorstellen kann, ohne Klimaanlage und Luftreiniger zu leben. Die immer verheerender werdenden Auswirkungen des Klimawandels verhindern diese Hilfsmittel allerdings auch nur bedingt. Aber er kann sich diesen kleinen Luxus leisten. Die vielen armen Menschen hingegen nicht.

Dieser gut betuchte Inder kann sich Klimaanlagen und Luftfilter kaufen sowie installieren. Viele seiner Landsleute allerdings nicht.
Dieser gut betuchte Inder kann sich Klimaanlagen und Luftfilter kaufen sowie installieren. Viele seiner Landsleute allerdings nicht.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

"Invisible Demons" zeigt Delhi und damit auch Indien in der Krise

Durch den Smog ist die Sicht oft extrem eingeschränkt.
Durch den Smog ist die Sicht oft extrem eingeschränkt.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

Der reiche Inder erzählt, wie er 1991 geboren wurde - in dem Jahr, in dem sich das Land dem freien Weltmarkt geöffnet hat. Seitdem gilt die hiesige Ökonomie als die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt. Mit diesem rasanten Tempo konnten allerdings viele andere Bereiche nicht mithalten.

Jain macht deutlich, wie sehr die Stadt bzw. Metropolregion aus Alt- und Neu-Delhi in der Krise steckt. Er zeigt die offenen Müllhalden, die die höchsten Punkte sind. Deren schwer zu ertragender Gestank vermag man beinahe durch die Leinwand zu riechen. Wer schon mal an einem Abfallwagen vorbeigelaufen ist, der weiß, wie unangenehm dieser Geruch ist. Auf den endlosen Deponien müssen die Ausdünstungen bestialisch sein.

Hier suchen streunende Hunde, Vögel sowie andere Tiere nach Nahrung und auch Menschen ohne Schutzkleidung halten nach verwertbaren Dingen Ausschau. In der Stadt selbst herrscht Verkehrschaos. Ob Autos, Rikschas, Fußgänger, alles fährt, läuft und rennt wild durcheinander. Auf die Umwelt wird dabei so gut wie gar keine Rücksicht genommen.

Stattdessen gibt es vielerorts dichtes Gedränge. Ein Bild, das sich während der 66 Minuten Laufzeit regelmäßig wiederholt. Man hat das Gefühl, dass Delhi wirklich aus allen Nähten platzt. Dabei ist klar, dass die einfachen Menschen nicht von dem Wachstum des Landes profitieren. So werden sie mehr und mehr abgehängt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.

Pures Chaos: Menschen, Rikschas und Autos laufen und fahren in Delhi wild durcheinander.
Pures Chaos: Menschen, Rikschas und Autos laufen und fahren in Delhi wild durcheinander.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

"Invisible Demons" zeigt, wie die Auswirkungen des Klimawandels immer stärker werden

Perfekte Bedingungen für Moskitos, die dann wiederum mit lebensvernichtenden Chemikalien bekämpft werden (müssen).
Perfekte Bedingungen für Moskitos, die dann wiederum mit lebensvernichtenden Chemikalien bekämpft werden (müssen).  © PR/GMfilms/Michael Höfner

Dabei spielen die immer heftiger werdenden Wetterextreme eine entscheidende Rolle. In Delhi leiden alle Lebewesen an einem Juni-Tag unter Höchsttemperaturen von 49,2 Grad Celsius. Im TV wird berichtet, dass es damit acht Grad wärmer ist als gewöhnlich. Und dabei ist der Juni in Indien schon der heißeste Monat des Jahres.

Ein großes Problem ist auch, dass die Hitzewellen immer länger dauern. Statt vier oder fünf Tage mit anschließender Abkühlung durch Regen oder Wind dauerte die drückende Schwüle dieses Mal 30 Tage an.

2010 gab es 21 Fälle von solchen Hitzewellen, 2017 waren es schon 500. Wenn der Monsun dann doch kommt, überschwemmt er das Land geradezu. Es schneite sogar, was in der jüngeren Vergangenheit überhaupt nicht vorgekommen ist.

Zu allem Überfluss bringt das Hochwasser weitere Probleme mit sich. Denn für Moskitos ist das der perfekte Ort, um sich zu vermehren. Die Menschen gehen mit giftiger Chemie gegen die Stechmücken vor. Doch damit töten sie nicht nur die Krankheitsüberträger, sondern auch alles weitere Leben.

So hat sich auch das Bild gewandelt, dass der Monsun für die Menschen früher ein Grund zum Feiern war. Vor wenigen Jahrzehnten konnten sie durch ihn die Kraft der Natur spüren. Mittlerweile ist er zu einer Epidemie geworden. Doch nicht nur er. Auch der Yamuna, der lange Zeit die Lebensader der Stadt war.

Der Monsun überflutet das Land immer stärker, die Menschen haben deshalb nicht nur mit Hitzewellen-, sondern auch mit extremen Wassermassen zu kämpfen.
Der Monsun überflutet das Land immer stärker, die Menschen haben deshalb nicht nur mit Hitzewellen-, sondern auch mit extremen Wassermassen zu kämpfen.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

"Invisible Demons": Delhis Lebensader Yamuna ist mittlerweile eine giftig-verdreckte, stinkende Brühe

Schnee? Keinesfalls, das weiße Etwas in der einstigen Stadt-Lebensader Yamuna ist eine schmutzige Brühe aus verschiedensten Abfällen. Das hindert diese drei Frauen trotzdem nicht daran, ein religiöses Ritual abzuhalten.
Schnee? Keinesfalls, das weiße Etwas in der einstigen Stadt-Lebensader Yamuna ist eine schmutzige Brühe aus verschiedensten Abfällen. Das hindert diese drei Frauen trotzdem nicht daran, ein religiöses Ritual abzuhalten.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

Inzwischen ist der Fluss so verdreckt, dass einem schon beim Ansehen der Bilder schlecht wird und sich ein Brechreiz die Kehle hinaufarbeitet. Essen sollte man kurz vor und während des Filmes daher lieber nicht. Denn man bekommt den Yamuna tiefschwarz, voller Abfälle und übersät mit einer dampfenden weißen Brühe gezeigt, die man aus der Entfernung für Schnee halten könnte.

Es wird gezeigt, wie ein nicht enden wollender Fluss aus eklig-dunkelbraunem Wasser in den Strom gepumpt wird. Dann erzählt ein Fährmann: "Vor 30 Jahren war das Wasser so sauber, dass die Leute es tranken."

Doch es wurde immer schmutziger. Früher gab es zwei Abwasserkanäle, mittlerweile sind es 32. "Wir haben die Umwelt zerstört. Wir Menschen waren das." Pflanzen und Tiere wie Schildkröten sind alle längst verschwunden. "Jetzt ist die Hitze unerträglich. Der Regen kommt nicht pünktlich. Nichts ist pünktlich", so der verzweifelt wirkende Herr.

Auch drei Autofahrer erleben die Umweltprobleme hautnah mit. Durch den Smog ist die Sicht extrem eingeschränkt. Dazu kommen gesundheitliche Probleme. Einer sagt: "Ich habe einen viereinhalbjährigen Sohn. Seit er hier ist, ist er immer krank." Er müsse jeden Tag behandelt werden, erbreche sich, sobald er etwas isst. Auf dem Dorf ging es ihm hingegen gut.

Der besorgte Mann führt weiter aus: "Es sind immer die Armen, die wie Ameisen zertreten werden." Gerade die Obdachlosen sind der Verpestung der Luft durchgehend ausgesetzt. Eine Mutter mit mehreren Kindern sagt: "Meine Augen tun weh, sie brennen. Ich habe das Gefühl zu ersticken." So fühlt man sich nach diesem herausragenden, bedeutsamen und aufwühlenden Film auch.

Da wird einem schon beim Zuschauen schlecht: Dieses eklig-braune Abwasser läuft in vollen Strömen in den Fluss.
Da wird einem schon beim Zuschauen schlecht: Dieses eklig-braune Abwasser läuft in vollen Strömen in den Fluss.  © PR/GMfilms/Michael Höfner

Zusammengenommen ist "Invisible Demons" eine der stärksten und heftigsten Dokus der vergangenen Jahre geworden, die aufgrund ihrer erstklassigen Bildsprache auch in große Kinosäle gehört. Leicht zu verdauen ist sie allerdings nicht. Schließlich zeigt sie anhand eines klaren Beispiels auf, wie viel in der Welt falsch läuft und wie erstaunlich es eigentlich ist, dass sich das erst nach und nach zeigt ...

Titelfoto: PR/GMfilms/Michael Höfner

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