"Der schlimmste Mensch der Welt": Oralsex, Liebe, Freiheit und Beziehungen
Deutschland - Einer der wahrhaftigsten und besten Filme des Jahres! "Der schlimmste Mensch der Welt" läuft am 2. Juni in den deutschen Kinos an und setzt im Genre der romantischen Komödie neue Standards, weshalb er auch für Männer interessant ist. Die TAG24-Kritik.
Zu Beginn ist Julie (Renate Reinsve, 34) zu sehen, die in einem edlen schwarzen Abendkleid vor einem malerischen Stadtpanorama in Oslo raucht. In einem Prolog, zwölf Kapiteln und einem Epilog wird fortan ihre Geschichte erzählt.
Die junge Studentin zählt zu den rastlosen Menschen. Erst studiert sie Medizin, weil ihre sehr guten Noten hier eine Rolle spielen. Doch schon bald fühlt sie sich nicht wohl und ist sogar enttäuscht von sich. Die vielen Nachrichten, Updates, Feeds und globalen Probleme ohne Lösung überfordern sie bei der Suche nach sich selbst.
So will sie bald Psychologin werden, entscheidet sich nach einer Affäre mit ihrem Professor aber um und wird Fotografin, ehe sie als Verkäuferin in einer Buchhandlung landet.
Auch in ihren Beziehungen ist sie sprunghaft. Die mit ihrem Professor, dem Mann davor und danach beendet sie kurzerhand und bandelt mit dem Comiczeichner Aksel (Anders Danielsen Lie, 43) an, für den sie die große Liebe ist. Auch sie verliert ihr Herz an ihn, will aber weiter etwas erleben und nicht feststecken.
Sie schreibt einen starken Text über "Oralsex in Zeiten von #MeToo", der für erhitzte Diskussionen sorgt, und lernt auf einer Party, zu der sie sich spontan reinschleicht, Eivind (Herbert Nordrum, 34) kennen, bleibt Aksel aber trotz erkennbarer gegenseitiger Anziehung gerade so treu. Doch einige Zeit später trifft sie Eivind wieder. Wie wird sich die junge Dame entscheiden?
Deutscher Trailer zu "Der schlimmste Mensch der Welt" mit Renate Reinsve und Anders Danielsen Lie
"Der schlimmste Mensch der Welt" ist eine der menschlichsten Komödien des Jahres
Diese Story hat Joachim Trier (48, "Louder Than Bombs", "Thelma", "Oslo, 31. August") meisterlich umgesetzt. Dem vielfach preisgekrönten norwegischen Regisseur ist es gelungen, eine der menschlichsten und hintergründigsten Komödien des Jahres zu erschaffen.
Selten wurden Figuren so gut, ambivalent und substanziell ausgeschrieben, wirkte ein Skript so durchdacht, waren die Dialoge so präzise und natürlich. Sie wirken, als wären sie aus den jeweiligen Situationen heraus entstanden und überhaupt nicht gekünstelt wie in vielen anderen Filmen.
Wenig verwunderlich, dass "The Worst Person in the World" bei der diesjährigen "Oscar"-Verleihung für gleich zwei Academy-Awards nominiert war - als bester internationaler Film und für das beste Drehbuch. Hier gewann er zwar nicht, dafür aber 19 andere Trophäen. Dazukommen 82 weitere Nominierungen.
Das hängt auch mit der universellen Themenauswahl und zutiefst menschlichen Bedürfnissen bzw. Problemen zusammen. Julie weiß noch nicht genau, was sie will. Wer kennt dieses Gefühl nicht? Sie möchte sich treiben lassen, neue Menschen kennenlernen, genießt trotz #MeToo Oralsex mit Männern, ist in Sachen Liebe hin- und hergerissen, will frei sein und sich ausleben - wer möchte die beiden letztgenannten Punkte nicht auch für sich beanspruchen?
OmU-Trailer zu "Verdens verste menneske" von Joachim Trier mit Herbert Nordrum
Renate Reinsve zeigt in "Der schlimmste Mensch der Welt" eine brillante Leistung
Zudem hat sie Probleme mit ihrem Vater und damit, ihren Platz in der komplexen Welt zu finden. All diese Aspekte arbeitet Trier genial heraus und verleiht ihnen in 121 Minuten Tiefgang, ohne sein teilweise dramatisches Werk zu überfrachten.
Gerade die Ambivalenz von zwischenmenschlichen Beziehungen stellt der großartige Künstler gekonnt zur Schau und kann sich auf seinen überragenden Cast dabei verlassen. Dass Reinsve ("Welcome to Norway") in Cannes als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde, verwundert nicht.
Sie zeigt eine feinfühlige sowie bewegende Performance und ist die Person, die das Publikum in das Geschehen hineinzieht. Dazu erdet sie die Komödie mit ihrer Bodenständigkeit, emotionalen sowie mimischen Vielfältigkeit und ihrem Timing.
An ihrer Seite überzeugen auch Danielsen Lie ("Bergman Island") und Nordrum ("The King's Choice - Angriff auf Norwegen").
Sie alle haben viele Momente, in denen sie glänzen und ihre Klasse unter Beweis stellen dürfen, woran Trier entscheidenden Anteil hat, weil er mit seinem Werk neue Standards für die romantischen Komödien setzt. "Der schlimmste Mensch der Welt" hat durch seine weitgehend realistische Art nämlich auch die Gabe, Männer mitzureißen.
"Der schlimmste Mensch der Welt" setzt im Genre romantische Komödien neue Standards
Schließlich bekommt man hier keinen Hollywood-Klischee-Film vorgesetzt, sondern einen spannenden sowie frischen Genremix mit einem erkennbar eigenen Stil, der eine interessante Geschichte zu erzählen weiß und dabei ohne Klischees auskommt.
Trier und seine Crew spielen sogar mit ihnen, was sein Werk umso schöner und sympathischer macht. Selten hat sich eine Rom-Com so gut wegsehen lassen wie "Der schlimmste Mensch der Welt".
Daran haben auch die vielfältigen Locations, die kluge Kameraführung, die stimmige Musikuntermalung, die abwechslungsreichen Kostüme und der exzellente Schnitt ihren Anteil, denn das Zusammenspiel all dieser Kategorien sorgt auch für eine dichte Atmosphäre, durch die man die Handlung aufmerksam und gebannt verfolgt.
Das hängt auch mit dem ausgewogenen Erzähltempo zusammen. Weil die Balance stimmt, ist der Film ein echtes Erlebnis mit vielen Höhepunkten wie einem authentischen Streitgespräch zwischen Julie und Aksel geworden, das die hohe Qualität dieses Ausnahmewerkes unterstreicht.
Zusammengenommen zählt "Der schlimmste Mensch der Welt" zu den besten Filmen des Jahres, weil er mit einer brillanten Reinsve, einer gehaltvollen Story, Tiefgang und vielen universellen Themen aufwartet. Regisseur Trier setzt mit seinem Werk sogar neue Standards für romantische Komödien. Imposant und unbedingt sehenswert!
Titelfoto: PR/Koch Films