Christoph Maria Herbst begeistert in "Contra": Gesellschaftskritik mit "Feel-Good"-Problem
Frankfurt - "In meinem Kulturkreis bedeutet Pünktlichkeit noch etwas" - mit dieser Bemerkung rügt Juraprofessor Richard Pohl Studentin Naima. Ein zynischer Kommentar oder doch ein rassistischer Ausrutscher? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Komödie "Contra", die Christoph Maria Herbst (55) in seiner wohl besten Rolle seit "Stromberg" zeigt. Doch der Film hat eklatante Schwächen.
In "Contra" stehen sich zwei Figuren gegenüber, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Studentin Naima (Nilam Farooq, 32) hat einen marokkanischen Migrationshintergrund, lebt in einer Frankfurter Plattenbau-Siedlung und muss schwer schuften, um mit ihrer Familie in Deutschland bleiben zu dürfen.
Richard Pohl, gespielt von Christoph Maria Herbst, ist hingegen ein ehemaliger Spitzen-Anwalt und Juraprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Er isst nur in feinen Restaurants und legt größten Wert auf sein Auftreten und seine Rhetorik.
Die beiden geraten in Naimas erster Vorlesung sofort aneinander. Denn die Studentin kommt zu spät. Professor Pohl konfrontiert sie vorm versammelten Hörsaal mit heftigen Bemerkungen. Für viele Kommilitonen von Naima ist klar: Der Jurist geht zu weit - seine Bemerkungen überqueren die Grenze zum Rassismus.
Um Pohl, der sowieso schon nicht unumstritten ist, droht sich ein Skandal zu entwickeln. Uni-Präsident Lambrecht (Ernst Stötzner, 69) schreitet ein und drängt den Professor zu einer besonderen Aufgabe.
Trailer zur Jura-Komödie "Contra"
Pohl soll Naima unter seine Fittiche nehmen und sie auf einen prestigeträchtigen Debattier-Wettbewerb vorbereiten, um seinen Ruf wieder sauber zu polieren.
Nachdem die verärgerte Studentin zunächst zornig ablehnt, willigt sie schlussendlich doch zur Zusammenarbeit ein. Denn für Naima würde ein gutes Abschneiden im Wettbewerb die Tür zu einem Praktikumsplatz wahrscheinlich weit aufstoßen.
Bislang musste sie eine Absage nach der anderen entgegennehmen. Damit ihre Familie nicht nach Jahrzehnten wieder nach Marokko abgeschoben wird, braucht sie aber dringend eine bezahlte Tätigkeit.
Doch der Weg dahin ist schwer. Das ungleiche Lehrer-Schüler-Gespann stößt immer wieder an seine Grenzen.
Ein guter deutscher Film mit einigen Schwächen
Regisseur Sönke Wortmann (62) ist mit "Contra" etwas Beachtliches gelungen: Ein amüsanter deutscher Film, der sich gesellschaftlich hochrelevanten Themen widmet, ohne dabei zu bieder-pädagogisch oder aber zu albern zu werden.
In der deutschen Version der französischen Komödie "Die brillante Mademoiselle Neïla" (2017) überzeugt auch der Cast. Vor allem Herbst und Farooq spielen stark und sorgen für eine nahezu perfekte Dynamik zwischen ihren Figuren.
Erst zum Ende rutschen sie etwas zu stark in eine Art Stiefvater-Tochter-Beziehung.
Ansonsten ist dem Stromberg-Star die Rolle des zynischen, "alten, weißen Mannes" wie auf den Leib geschrieben. Wenige Schauspieler haben hierzulande so ein feines Händchen, wenn es darum geht, innerhalb eines Filmes Dramatik und Komik in Abwechslung angemessen zu nuancieren.
Auch Farooq weiß als moderne Eliza Doolittle zu überzeugen und stellt authentisch die Schwierigkeiten einer jungen Frau mit Migrationshintergrund dar, die weder die Probleme ihres sozialen Umfelds vergessen noch ihre eigenen Perspektiven verbauen will.
Reale Probleme werden simplifiziert
Doch im Kernthema des Films liegt leider auch das größte Problem. Zwar ist es richtig und wichtig, auch mal locker an harte Themen wie Alltagsrassismus oder "Cancel-Culture" ranzugehen, doch greift "Contra" hier zu kurz.
Nicht hinter jedem "alten, weißen" Mann, der zynische bis rassistische Bemerkungen macht, verbirgt sich in Wirklichkeit ein weltoffener, liebenswerter Mensch, den man nur etwas aus seiner Komfortzone locken muss.
Nicht jeder Prügelknabe aus einem schwierigen Viertel braucht nur mal einen sanften Stupser in die richtige Richtung - und zack, schon bessert er sich. Und auch ist nicht jede Verkäuferin mit Migrationshintergrund eigentlich gelernte Biochemikerin, wie es der Film suggeriert.
Es könnten an dieser Stelle noch einige weitere Wandlungen und Offenbarungen genannt werden, die auf verklärten Klischees beruhen. Die Message ist zwar nett gemeint, vereinfacht aber die tatsächlichen, komplexen gesellschaftlichen Probleme und Fragen, die der Story als Grundlage dienen.
Den Zuschauern soll ein gutes Gefühl mitgegeben werden, egal wie sehr sich die Realität vom Film unterscheidet.
Im Storytelling finden sich weitere Ungereimtheiten. Es ist erfrischend, dass der Film nur kurzweilige 90 Minuten dauert, allerdings können in der kurzen Zeit nicht alle Handlungsstränge vernünftig aufgebaut werden.
Die Beziehung zwischen Naima und Pohl vertieft sich manchmal rasant schnell, ohne dass wirklich klar wird, wo die (professionelle) Intimität herkommt.
Außerdem macht die Studentin von der einen Szene zur anderen massive Fortschritte im Debattieren - auch hierbei erklärt sich dem Publikum nicht, wie sie urplötzlich von der unsicheren Rednerin zur Rhetorik-Meisterin geworden ist.
Der Kinobesuch lohnt sich trotzdem
Trotzdem ist "Contra" auf jeden Fall einen Kinobesuch wert. Jeder reflektiert denkende Mensch sollte sich bewusst sein, dass diese Komödie kein Spiegel für das echte Leben ist.
Und auch wenn der Film mit seiner "Feel-Good"-Attitüde der Komplexität der realen Welt nicht gerecht wird, so glaubt er immerhin an das Gute im Menschen und fordert, dass niemand wegen seines Äußeren, seiner Herkunft oder seiner Vergangenheit verurteilt wird.
Kritiker des deutschen Films werden von der guten Inszenierung, dem Cast und dem Humor von "Contra" überrascht.
Der Film läuft ab diesem Donnerstag (28. Oktober) in vielen Lichtspielhäusern im ganzen Land.
Titelfoto: Fotomontage: dpa/Constantin Film