"Belle": Schüchternes Mädchen wird zum Superstar, dann erscheint ein Monster!
Deutschland - Futuristische "Die Schöne und das Biest"-Version! Mit "Belle" läuft am 9. Juni endlich der nächste, heiß erwartete Anime des Filmverleihs Tōhō in den deutschen Kinos an und überzeugt audiovisuell auf ganzer Ebene - seine Message ist hingegen fragwürdig. Die TAG24-Filmkritik.
Die 17-jährige Schülerin Suzu Naito lebt mit ihrem Vater in einer kleinen Stadt in der Präfektur Kochi im Süden Japans. Der Tod ihrer Mutter beschäftigt die schüchterne Teenagerin auch noch Jahre später und belastet die Beziehung zu ihrem Vater.
Hatte sie einst eine wunderschöne Stimme - das Singen war eine Leidenschaft, die sie mit ihrer Mutter teilte - verschwand ihr Talent scheinbar für immer, nachdem sie ihre Mutter auf tragische Weise verloren hatte.
Auch sonst steht Suzu seitdem nicht gerne im Mittelpunkt und hat nur wenig soziale Kontakte. Eine Gruppe älterer Musiklehrerinnen und eine Handvoll guter Freunde stehen ihr jedoch treu zur Seite.
Es ist schließlich ihre beste Freundin Hiroka Betsuyaku, die Suzu dazu überredet, sich im gigantischen Metaverse von "U" anzumelden. In der virtuellen Welt wird sie zu ihrem Avatar - der wunderschönen Belle - die genau wie Suzu markante Sommersprossen im Gesicht trägt.
Die große Überraschung: In "U" kann sie als Belle plötzlich wieder singen und wird schnell zum virtuellen Superstar. Doch während eines ihrer Konzerte kommt es zu Aufruhr. Der berüchtigte, übermächtige Charakter "Drache" kreuzt auf und stellt Belles (virtuelle) Welt auf den Kopf.
Deutscher Trailer zum Anime-Kinofilm "Belle"
Ton und Bild sind in "Belle" von Mamoru Hosoda meisterlich inszeniert
Für Regisseur Mamoru Hosoda (54, "Der Junge und das Biest", "Ame & Yuki – Die Wolfskinder") ist "Belle" bereits der vierte Film, den er über das von ihm mitgegründete Filmstudio "Studio Chizu" produzierte. Der Anime knüpft dabei qualitativ direkt an Hosodas Vorgänger "Mirai" (2018) an.
Den Vertrieb übernimmt die auch hierzulande inzwischen sehr bekannte Verleih- und Produktionsfirma "Tōhō".
Wie keine andere steht sie für hochwertige, schön anzusehende Animes, wie zum Beispiel "Your Name" (2016). Die Einzigartigkeit, Emotionalität und optische Brillanz von "Your Name" erreicht "Belle" allerdings nicht - so viel sei schon mal vorweggenommen.
Doch zuerst das Positive, denn vor allem in puncto audiovisueller Umsetzung muss sich "Belle" vor keinem anderen Genrewerk verstecken. Sowohl das dörfliche Leben von Suzu als auch das virtuelle Dasein von Belle wurden wunderschön und detailreich inszeniert.
Überhaupt ist die Darstellung von "U" sehr gelungen. Gemeinsam mit Suzu bzw. Belle lernt der Zuschauende eine spektakuläre, künstliche Welt kennen. Im Vergleich zu anderen filmischen Umsetzungen dieser Idee besticht der virtuelle Kosmos in "Belle" trotz seines fantastischen und futuristischen Wesens durch eine gewisse Authentizität.
Japanischer Originaltrailer zu "Belle"
In "Belle" ist nicht alles Gold, was glänzt
Die kraftvollen Originalsongs sowie der Soundtrack allgemein übertreffen zudem die musikalische Qualität einiger großer Disney-Filme wie zum Beispiel "Encanto" (2021).
Es ist erfrischend, dass unser digitales Zeitalter in "Belle" zur Abwechslung mal nicht absolut medienkritisch aufgearbeitet wurde. Suzu wird durch den Einsatz virtueller Hilfe auf den Weg der Trauma-Therapie gebracht. In "U" lernt sie mit ihrem Schmerz umzugehen und wieder etwas freier zu sein.
Auch Hosodas Verknüpfung von realer und digitaler Welt ist zeitgemäß und wichtig. Bell begreift, dass sie dem "Drachen" nicht nur in der virtuellen Welt helfen muss, sondern auch in der realen. Andersrum wird gezeigt, dass ein großer Teil des menschlichen Lebens bald (wenn nicht schon heute) im Virtuellen stattfindet.
Die Freuden, aber auch Probleme des Menschen übertragen sich auf die zwei Ebenen. Es gibt kein "Du wirst im Internet gemobbt? Dann mach doch den PC einfach aus" - zu sehr sind die beiden Welten längst verschmolzen.
Und doch drückt der Schuh irgendwo. Wie kann ein Film so schön sein, Selbstliebe und Zusammenhalt thematisieren und das Publikum trotzdem etwas unbefriedigt zurücklassen? Die Message des Animes gibt Antworten. Denn bei aller Liebe für den optimistischen Umgang mit dem Thema greift der Film doch an vielen Stellen viel zu kurz und verliert sich hier und da in einer Utopie.
Botschaft von "Belle" ist zweifelhaft
Das ist gar nicht mal auf den technischen Aspekt bezogen, sondern auf den gesellschaftlichen. Wie in einem Kinderfilm - was der Anime gewiss nicht sein soll - rückt die zunächst gehässige (virtuelle) Gesellschaft plötzlich zusammen, als Belle Hilfe benötigt.
Es wird suggeriert, dass die totale Vernetzung und die damit einhergehende Möglichkeit der Überwachung etwas durchweg Erstrebenswertes wäre. Suzu findet online zu sich selbst und kann als Teil einer großen Gemeinschaft sogar anderen helfen.
Jeder mit einem Account bei Instagram, Twitter und Co. weiß, dass die Realität anders aussieht. Und selbst, wenn "Belle" sich als reine Utopie verstehen will, so ist die Digital-Euphorie doch gerade für die Rezeption durch ein jüngeres Publikum bedenklich.
Nichtsdestotrotz ist dem Anime auf der Handlungsebene ein charmanter, neuer Dreh von "Die Schöne und das Biest" gelungen. Hosoda wärmt das alte französische Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont (1711 - 1780) nicht zum x-ten Mal auf und überträgt es auch nicht nur plump in eine modernere Zeit - wie Disney es so gerne tut - sondern gibt der Story neue Elemente.
Fans von "Die Schöne und das Biest" kommen dabei besonders auf ihre Kosten. Der Film bietet Wendungen, die die Anhänger und Anhängerinnen des Originals überraschen werden, zollt dem Disney-Klassiker aber auch mit einigen Anspielungen Respekt.
Titelfoto: STUDIO CHIZU