"Annette": Comedian zieht sich nackt auf der Bühne aus und beleidigt sein Publikum
Deutschland - Der schrägste Film des Jahres! Im Musical "Annette", das am 16. Dezember in den (offenen) deutschen Kinos startet, spielen Adam Driver (38) und Marion Cotillard (46) ein Hollywood-Paar zwischen Liebe und Wahnsinn. Was eine singende Puppe damit zu tun, lest Ihr in der TAG24-Kritik.
Hollywood in der Gegenwart: Henry (Adam Driver, "The Last Duel") steht als Stand-up-Comedian auf der Bühne, polarisiert die Zuschauer, lässt dabei auch gerne mal die Hüllen fallen und schlägt immer wieder über die Stränge.
Seine Frau Ann (Marion Cotillard, "Inception") ist hingegen der Liebling der Medien, wird für ihre Leistung als Opernsängerin gefeiert und auf der ganzen Welt verehrt.
Die Beziehung des ungleichen Paares steht regelmäßig unter Beobachtung, doch daran haben sich beide schon gewöhnt. Ihre Gesichter erscheinen immer wieder auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen, ihre Namen füllen die Promi-Ticker der Fernsehsender.
Erst, als sie Eltern einer Tochter werden, ändert sich ihr Leben schlagartig, denn die kleine Annette ist kein gewöhnliches Mädchen, schließlich hat sie die bezaubernde Stimme ihrer Mutter geerbt.
Henry kommt mit diesem Wandel nur schwer zurecht, wird immer mehr von seinen eigenen Dämonen und der Sucht nach Ruhm, Erfolg und der Eifersucht auf Ann sowie Annette getrieben. Ein Ausflug auf hoher See soll die Beziehung kitten, doch dort kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall...
Originaltrailer zu "Annette" mit Marion Cotillard und Adam Driver
In "Annette" singen Adam Driver und Marion Cotillard um die Wette
Regisseur Leos Carax (61) ist schon seit 1980 im Filmgeschäft unterwegs. Trotzdem hat es der Franzose gerade mal auf eine Handvoll Filme gebracht. Dazwischen tauchte er jahrelang ab und ließ kaum etwas von sich hören.
Mit seinem letzten Streifen "Holy Motors", der 2012 erschien, bewies Carax allerdings, dass seine unkonventionelle Arbeitsweise auch wahre Perlen hervorbringen kann. Umso gespannter wurde die erste Hollywood-Produktion des Franzosen erwartet - ein Star-besetztes Musical.
Sowohl der Score als auch die beiden Hauptdarsteller zählen definitiv zu den Stärken von "Annette". Ron und Russell Mael, alias "The Sparks", spielen gleich zu Beginn auf und leiten den Film sogar selbst ein.
Ihre Songs haben ein hohes Ohrwurmpotential und versetzen die Zuschauer in freudige Erwartung auf die kommenden knapp zwei Stunden. Draußen auf den Straßen von Los Angeles gesellen sich Adam Driver und Marion Cotillard dazu, beginnen ebenfalls zu trällern. Beide sind Abziehbilder des modernen Promikults. Sie ist "Everybody's Darling" und er der selbstzerstörerische "Bad Boy". Carax spielt in "Annette" bewusst mit Klischees und kritisiert damit vermeintliche Normen.
Wenn Ann und Henry etwa in einer Szene Sex haben, singen beide immer wieder davon, wie sehr sie sich doch lieben ("We love each other so much"). Dabei hält sich Cotillard zunächst ihre Hände schützend auf ihre Brüste. Im Anschluss übernimmt Driver für sie, als er sich hinter sie legt. Ein ziemlich eindeutiger Verweis auf die Prüderie von Social Media, in der nackte Haut weitestgehend verbannt wird.
In "Annette" verarbeitet Regisseur Leos Carax seine eigene Biografie
Solch mehr oder weniger versteckte Kritik gibt es in dem Musical zuhauf zu entdecken. Hätte es Carax dabei belassen, wäre "Annette" ein spannender Meta-Kommentar auf unser aktuelles Zeitgeschehen geworden. Eine herrliche Gratwanderung zwischen überzeichnetem Kitsch und bissigem Gesellschaftskommentar.
Leider entschied sich der Regisseur aber dazu, noch eine zweite, persönliche Ebene in den Film zu integrieren. Gleich in der ersten Szene fragt der Franzose "Wollen wir also beginnen?". Gewidmet ist das Drama seiner 16-jährigen Tochter, Nastya Golubeva. Und das merkt man auch am Drehbuch, das voller Selbstreferenzen auf die eigene Familiengeschichte ist.
In der Rolle des Henry hat er sich sein eigenes Ebenbild geschaffen. Driver nimmt bisweilen sogar Carax' Gang an. "Annette" bekommt dadurch den komischen Beigeschmack einer öffentlichen Rechtfertigung. Auch die Entscheidung, die titelgebende Hauptfigur als Puppe auftreten zu lassen, ist zumindest gewöhnungsbedürftig und lässt sich nur stellenweise anhand des Drehbuchs erklären.
Wenn man darüber jedoch hinwegsieht, kann man durchaus Spaß an diesem über weite Teile unterhaltsamen Musical finden, das sich keinerlei Konventionen beugt und mit voller Wucht von den Licht- und Schattenseiten eines Promi-Lebens erzählt. Die beiden Hauptakteure tragen den Film fast komplett allein und beweisen, dass sie nicht nur schauspielern, sondern auch singen können.
In Cannes wurde Leos Carax für den Film mit dem Regiepreis geehrt. Ins Kino sollten sich allerdings nur diejenigen wagen, die Freude an Musicals oder an den bisherigen Arbeiten des französischen Provokateurs haben.
Titelfoto: UGC Distribution