Franz Hartwig im Schirach-Eventfilm "Feinde": Monster mit weichem Gesicht

Dresden/Berlin - Was darf der Rechtsstaat? Darf ein Polizist einen mutmaßlichen Entführer foltern, um eventuell dessen Opfer retten zu können? Um diese Frage kreist der zweiteilige Film "Ferdinand von Schirach: Feinde", den die ARD morgen flächendeckend ausstrahlt. Neben den Kontrahenten Bjarne Mädel (52) als Ermittler und Klaus Maria Brandauer (77) als Verteidiger brilliert der Dresdner Schauspieler Franz Hartwig (34) als vermeintlicher Täter und Folteropfer.

Kelz (Franz Hartwig, l.) wird von Biegler (Klaus Maria Brandauer) verteidigt.
Kelz (Franz Hartwig, l.) wird von Biegler (Klaus Maria Brandauer) verteidigt.  © ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan Rabold

Ein Kriminalfall, erzählt aus zwei Perspektiven und ausgestrahlt auf allen ARD-Kanälen – das hat es in dieser Form noch nicht gegeben.

Beide Filme handeln von der Entführung eines zwölfjährigen Mädchens.

Im Teil "Gegen die Zeit" versucht der Ermittler Peter Nadler (Mädel) das Leben des Opfers zu retten und greift zum Mittel des Waterboardings, um dem vermeintlichen Entführer Georg Kelz (Hartwig) den Ort des Verstecks zu entlocken. Später wird ihn der Verteidiger des mutmaßlichen Täters, Konrad Biegler (Brandauer), vor Gericht zerstören.

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"Das Geständnis" erzählt dieselbe Handlung, aber aus Sicht des Anwalts. Darin schildert auch Folteropfer Kelz seine Erlebnisse. Verhandelt wird die Frage, ob der Zweck alle Mittel heiligen darf - ein unauflösbares moralisches Dilemma.

Wie immer bei Schirach-Stoffen ist der Zuschauer gefordert: Musste er bei "Terror" und zuletzt "Gott" per Befragung abstimmen, muss er sich jetzt zumindest auf eine der zwei Seiten schlagen.

Kommissar Nadler (Bjarne Mädel). Im Hintergrund der Verdächtige Georg Kelz (Franz Hartwig, r).
Kommissar Nadler (Bjarne Mädel). Im Hintergrund der Verdächtige Georg Kelz (Franz Hartwig, r).  © WDR/Degeto/Moovie GmbH/Stephan Rabold

Beide Filme, die auf einem realen Fall basieren, ähneln einander sehr, sind über weite Strecken wortwörtlich identisch.

Aber Obacht: Sie sind jeweils eigenständig gedreht. Durch winzige Nuancen - anderes Licht, differierende Kameraeinstellungen - werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Ist der Polizist in der einen Version "der Gute" auf der Suche nach Gerechtigkeit, während der Anwalt "der Böse" ist, kehren sich diese Verhältnisse in der jeweils anderen Version irritierend ins Gegenteil.

Das ist faszinierend.

Die Darstellerleistungen haben es in sich!

Vor allem die Darstellerleistungen haben es in sich. Brandauer gibt seinen Anwalt als mit allen Wassern gewaschenen juristischen Vollprofi, dessen joviale Gemütlichkeit blitzschnell in schneidende Schärfe umschlagen kann. Nicht schwer, hinter dem kettenrauchenden Verteidiger ein Alter Ego von Schirachs zu entdecken.

Ebenso stark Bjarne Mädel, der mit Bravour gegen sein Komödienimage anspielt. Die Intensität, mit der sein Ermittler hier zum Mittel der "Wahrheits-Folter" greift, schnürt schier den Atem ab. Mädel zwingt seine eigentlich freundliche Figur zu unerbittlicher Härte, bricht zwischendurch in Weinkrämpfe aus – eine zermürbende Szene.

Aber sie kann nur funktionieren durch die Figur des vermeintlichen Täters, die Franz Hartwig mit irritierender Unergründlichkeit auskleidet. Wie es bei Mädel herausbricht, könnte auch hinter seinen weichen Zügen ein Monster lauern.

Nominell ist Hartwigs Figur des Sicherheitsbediensteten Georg Kelz – von dem nie klar wird, ob er wirklich Täter oder vielleicht nur ein Mitwisser ist – eine Nebenrolle, doch funktioniert sie als das dunkle Zentrum dieses Doppelfilm-Experiments.

Es zahlt sich aus, dass der hochdekorierte Schauspieler bislang noch relativ selten auf den TV-Bildschirmen zu sehen war.

Hartwig machte sich vor allem als Theaterschauspieler einen Namen

Der 1986 in Dresden geborene Hartwig hat sich vor allem als Theaterschauspieler einen Namen gemacht. Als Jugendlicher gehörte er zur Nachwuchstruppe des Theaters Junge Generation, Jahre später absolvierte er seine Ausbildung an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, bevor er an der Schaubühne unter so unterschiedlichen Regiestars wie Thomas Ostermeier oder Michael Thalheimer spielte.

Seltener agiert er vor der Filmkamera, beweist dann aber große Bandbreite: Hartwig ist als komödiantischer Sketch-Partner von Maren Kroymann so überzeugend wie als freundlich wirkender Killer mit Babyface, wie etwa in der hochdekorierten Serie "Der Pass".

Für seinen Serienmörder in dieser deutsch-österreichischen Sky-ZDF-Koproduktion wurde Hartwig Anfang 2020 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Strafverteidiger Biegler nimmt Kommissar Nadler (Bjarne Mädel, li.) in die Mangel.
Strafverteidiger Biegler nimmt Kommissar Nadler (Bjarne Mädel, li.) in die Mangel.  © ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan Rabold

Hartwigs Rolle ist denkbar unsympathisch und doch erschüttert sie

Diesmal verkörpert Hartwig einen scheinbar leeren Charakter, einen Mann ohne Eigenschaften, der harmlos aussieht, obwohl es hinter glatter Fassade zu brodeln scheint.

Hartwigs Georg Kelz ist ein denkbar unsympathischer Mensch, verschlossen und mürrisch. Vielleicht auch, mit krimineller Energie, bis zum Äußersten entschlossen? Man erfährt es nie.

Die große Leistung: Man will diesen zwielichtigen Typen einfach nur schütteln und ist doch erschüttert, wenn er im Verhör misshandelt wird.

In der Ermittler-Variante "Gegen die Zeit" ist Hartwig der sinistre Böse, den es zu brechen gilt; in der Anwalts-Version "Das Geständnis" erscheint er im Gespräch mit seinem Verteidiger als zu Unrecht gebrochenes Opfer.

Beide Varianten nimmt man ihm ab – obwohl sie nur hauchzart voneinander variieren. Diese Zweideutigkeit kann Hartwig.

Die ARD zeigt "Ferdinand von Schirach: Feinde – Gegen die Zeit" morgen um 20.15 Uhr im Ersten, "Das Geständnis" folgt im Anschluss. Auf allen dritten Programmen sowie auf "ONE" laufen beide Filme in der anderen Reihenfolge. Der Vergleich lohnt. Mag man nur einen der Teile sehen, sei "Gegen die Zeit" empfohlen.

Der reale Hintergrund

Das Film-Projekt beruht auf dem Fall um den Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler, der elfjährig 2002 entführt und ermordet wurde.

Der Täter Magnus Gäfgen erpresste gleichwohl von den Eltern das Lösegeld. Er wurde kurz darauf gefasst, schwieg aber über den Verbleib des Jungen.

Weil die Polizei davon ausging, dass dieser noch am Leben sein könnte, ordnete der stellvertretende Polizeipräsident Wolfgang Daschner an, Gäfgen Schmerzen anzudrohen, um ihn zur Aussage zu zwingen.

Gäfgen erhielt später vor Gericht lebenslänglich, mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Auch Daschner musste sich vor Gericht verantworten.

Titelfoto: ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan Rabold

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