Filmfest Hamburg endet mit Rekord, Kinosaal-Karaoke und "zwei lachenden Augen"
Hamburg – Schon im Vorfeld der Preisverleihung des 31. Filmfest Hamburgs hat Moderatorin Siri Keil einen "sehr bewegenden Abend" prophezeit. Das lag zum einen natürlich an den großen Emotionen der Preisträger und der preisgekrönten Filme, aber vor allem an der symbolisch letzten Klappe, die am Samstagabend für Festivalleiter Albert Wiederspiel fiel.
Der 62-Jährige übergibt die Leitung in der kommenden Filmfest-Saison an seine Nachfolgerin Malika Rabahallah (52).
Traurig zeigte er sich am Samstag gegenüber TAG24 aber nicht: "Wir hatten dieses Jahr die höchsten Besucherzahlen, die wir jemals hatten und mit so einem Ergebnis aufzuhören, ist natürlich super. Wäre es nicht so, wäre ich heute sehr traurig, aber ich gehe mit zwei lachenden Augen."
Das eine oder andere Tränchen glitzerte dann aber doch in seinen Augen, vor allem als er seinem Team und seiner langjährigen Programmdirektorin Kathrin Kohlstedde dankte, mit der er – wie er selbst betonte – eine längere Beziehung als mit seinem Ehemann Gustav Peter Wöhler (67) führe.
Im Gegenzug ließ es sich sein Team nicht nehmen, ihrem so geschätzten Chef kurz die Kontrolle über die Bühne zu nehmen und überraschte Wiederspiel mit warmen Worten, Kuchen und einer Karaoke-Einlage der Extraklasse.
Thank you for the Movies! Publikum und Team verabschiedet sich von Albert Wiederspiel
Auf der großen Leinwand lief der umgedichtete Songtext von Abbas "Thank you for the Music", welcher kurzerhand zu "Thank you for the Movies" wurde, und der ganze Saal sang mit. Die Performance endete in Standing Ovations für Wiederspiel, dem anschließend die Worte für seine Abschlussrede fehlten.
Aus Mangel an Vorbereitung holte der 62-Jährige einfach seine Nachfolgerin Malika Rabahallah auf die Bühne und ließ sich von ihr das Versprechen abnehmen, auf jeden Fall politisch zu bleiben.
Politisches Kino war und ist Wiederspiels Markenzeichen. Außerdem habe er Hamburg, das redensartliche "Tor zur Welt", zu einem attraktiven und internationalen Filmstandort gemacht und die Welt nach Hamburg geholt, sagte Helge Albers, Geschäftsführer der "MOIN Filmförderung" am Samstag.
Aber: "20 Jahre jüdischer Humor reichen auch, jetzt ist mal etwas anderes dran", scherzte Wiederspiel am Samstagabend. Und riet Rabahallah, dass Publikum immer zum Lachen zu bringen.
Diese versprach ihm wiederum, auf sein inzwischen "sehr große Baby" gut aufzupassen: "Ich werde es genauso gut machen wie du, aber anders!", betonte Rabahallah und richtete ihre letzten Worte direkt ans Publikum: "Ich freue mich auf 2024 und verspreche, dass wir weiterhin die Welt nach Hamburg holen."
"Heaven Can Wait – Wir leben jetzt" gewinnt Publikumspreis
Neben Albert Wiederspiels Abschied kamen die Preisträger aber natürlich nicht zu kurz. Während die Produzenten-Preise schon am Freitag vergeben worden sind, wurden am Samstag unter anderem der Publikumspreis und der NDR Nachwuchspreis feierlich verliehen.
Letzterer wurde dieses Jahr von einer ganz besonderen Jury an den Debütfilm "Shayda" der Regisseurin Noora Niasari verliehen. Diese bestand aus fünf Studenten aus Journalismus und Medien geprägten Studiengängen. "Eine Idee des Filmfestes, wirklich Stimmen aus dem Publikum über diesen Preis bestimmen zu lassen", betonte Katja Marx, Programmdirektorin des NDR, am Samstag.
Ebenfalls vom Publikum als bester Film des Festivals – dieses Jahr erstmals via QR-Code und nicht mit Stimmzetteln – gewählt, wurde "Heaven Can Wait - Wir leben jetzt" von Regisseur Sven Halfar. Sichtlich bewegt nahm der 51-Jährige den vielleicht wichtigsten Preis des Abends persönlich entgegen: "Ich wollte ein Film darüber machen, dass das Leben im Alter nicht vorbei ist. Er soll eine Erinnerung an alle sein, im Jetzt zu leben!"
Sein Film dokumentiert die Mitglieder des Hamburger Chors "Heaven Can Wait", die alle über 70 sind und keine Angst vorm Älterwerden haben, sondern dieses regelrecht genießen.
Albert Wiederspiels Worte zum Abschied: "Das Festival muss sich neu erfinden!"
Als Abschlussfilm lief am Samstagabend "Paradise is Burning": "Wir haben angefangen mit so einer altbackenen, patriarchalen Familienstruktur in Jordanien und hören mit einer völlig gebrochenen, modernen Familienstruktur auf. Insofern ist eine richtige Dramaturgie dahinter", so Wiederspiel gegenüber TAG24 über das gewohnt politische Kino.
Aber nicht nur Politik ist dem 62-Jährigen wichtig, sondern auch das Klima und die Zukunft, deswegen äußerte er gegenüber TAG24 noch einen weiteren Wunsch an seine Nachfolgerin.
"Das Festival muss sich, was Nachhaltigkeit angeht, neu erfinden. Wir leben in einer Transition Period – wie ich es nennen würde –, weil einerseits das Festival von den Gästen genauso sehr wie von den Filmen lebt, wir andererseits aber Regisseure quer durch die Welt für ein 20-minütiges Q&A fliegen. Nachhaltig ist das nicht", so der scheidende Festivalleiter.
"Man muss das überdenken und sich mit anderen Festivals zusammenschließen, dass wenn Leute zum Beispiel aus Argentinien kommen, sie gleich vier Festivals in Europa besuchen. Der Prozess ist schon im Gange und ich wünsche mir, dass meine Nachfolgerin – und das wird sie auch mache, davon bin ich überzeugt – diesen fortsetzt und wirklich neu überlegt, wie man das in Zukunft machen kann."
Titelfoto: Madita Eggers/TAG24