Besondere Premiere in Hamburg: Ein Film für die Menschen, die sonst keiner sieht
Hamburg - Wie hart die Corona-Pandemie die Kulturbranche wirklich getroffen hat, zeigt der Dokumentarfilm "No Crew Call" von Michael Söth (60). Im Mittelpunkt steht Tournee- und Produktionsleiter Lars "Vegas" Ide (59), der zusammen mit weiteren Akteuren der Live-Szene über drei Jahre von Söth mit der Kamera begleitet wurde – vom ersten Lockdown bis zur Rückkehr auf die Bühnen. Am Dienstagabend feierte der Film seine Club-Premiere im "Knust" in Hamburg.

Die Idee zum Film entstand aus Langeweile, wie Michael Söth gegenüber TAG24 gestand. "Ich hatte ja auch nichts zu tun", so der Filmemacher ("Deichbullen").
Beim Scrollen auf Facebook entdeckt der heute 60-Jährige 2020 einen Post seines alten Bekannten Lars Ide. Er kennt ihn noch aus der Punk-Szene in Elmshorn. Inzwischen ist Ide seit 30 Jahren erfolgreich in der Musikbranche unterwegs und Chef seiner eigenen Produktionsfirma "Rock'n'Roll Hamburg".
"Ich habe ihn dann angeschrieben und meinte 'Hey, wir sind beide Leidtragende, lass uns mal treffen.'" Gesagt, getan. Direkt zum ersten "Kaffee Kippe"-Treffen brachte Söth seine Kamera mit. Der Grundstein für ein jahrelanges Projekt.
"Ich dachte zuerst, ich bin bei versteckte Kamera: eine Doku über mich?", so Ide gegenüber TAG24. "Doch was hatte ich zu verlieren? Ich hatte ja nichts zu tun." Man könnte den Film als Porträt von Lars Ide bezeichnen – doch in Wahrheit steht er stellvertretend für etwas viel Größeres: eine ganze Szene, die oft übersehen wird. Besonders in der Corona-Zeit gerieten sie in Vergessenheit: Die Menschen hinter den Kulissen – "vom Busfahrer bis zum Techniker" –, ohne die kein Event stattfinden würde.
"Die Veranstaltungs- und Filmbranchen sind sich eigentlich sehr ähnlich. Beim Film wundert man sich immer über die langen Abspanne – dabei stecken so viel mehr Leute dahinter, als man auf der Bühne oder Leinwand sieht", so Hannes Gorrissen, der wenig später als Kameramann das Produktionsteam von "No Crew Call" komplementierte.
Trailer zu "No Crew Call"
Michael Söth: "Wir wollen, dass dieses Projekt gesehen wird, dass es in die Öffentlichkeit kommt"

Entstanden ist ein ebenso aufklärender wie berührender Film. Das zeigte sich auch an der Resonanz des Abends: Rund 70 Prozent des Publikums kamen selbst aus der Branche – darunter auch bekannte Gesichter wie Jan Delay (48) und MC Ferris (51), die schon oft mit Ide zusammengearbeitet haben.
"Für mich ist das heute ein sehr emotionaler Abend, weil so viele Wegbegleiter hier sind", so der 59-Jährige. "Wir haben auch einige Verluste zu beklagen, aber zum Glück sind die meisten, die im Film zu sehen sind, durchgekommen."
Corona habe viele Kulturschaffende noch mal enger zusammengeschweißt – zu einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig getragen hat, gerade in Momenten, in denen staatliche Hilfe versagte.
"Auch dieser Abend findet nur statt, weil sich viele Menschen aus Überzeugung engagieren – nicht, weil sie etwas dafür bekommen, sondern weil ihnen die Sache am Herzen liegt", betonte Produzent Söth.
Neben der Intention, den Menschen hinter den Kulissen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, macht der Film auch den politischen Handlungsbedarf deutlich. "So etwas darf nicht noch einmal passieren", forderte Ide. Es brauche gesetzliche Anpassungen – die Neustarthilfe sei zwar ein Anfang gewesen, habe aber längst nicht allen geholfen. "Im Ernstfall ist man immer noch auf sich allein gestellt."
Um diese Botschaft zu verbreiten, soll "No Crew Call" zunächst in weiteren Clubs gezeigt werden – dort, wo die Auswirkungen von Corona immer noch spürbar sind. "Wir wollen, dass dieses Projekt gesehen wird, dass es in die Öffentlichkeit kommt – nicht, weil wir daran beteiligt sind, sondern weil diese Branche zählt."
Titelfoto: Morris Mac Matzen