Ben Becker: "Das muss man Menschen auch verzeihen"
Berlin/München - Wer sich auf eine Lesung mit Ben Becker einlässt, braucht keine leichte Kost erwarten. Bei Becker stehen Anspruch und Tiefe ganz oben, Inhalte, die sein Publikum noch eine ganze Weile nachdenken lassen. Am 5. September gab der Schauspieler im Renaissance-Theater Berlin eine erste Kostprobe aus "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad (1857 bis 1924), damit geht er ab Oktober auf Tournee. Nach der Werk-Präsentation hatte der 57-Jährige Zeit für ein Gespräch mit TAG24.
TAG24: Herr Becker, wie geht es Ihnen heute?
Ben Becker: Momentan sehen Sie mich lächeln, mir geht es gut. Natürlich ist es immer sehr aufregend, nach so langer Zeit wieder ein neues Programm vorzustellen beziehungsweise wieder hervorzuholen. Leider gab es eine lange Pause. Aber es bereitet mir Freude, es macht Spaß und gibt mir das Gefühl, dass es wieder losgeht.
TAG24: Wie haben Sie die Bühnen-Pause genutzt?
Ben Becker: Ich habe viel gedreht. Allerdings nicht in der ersten Zeit, als es mit Corona anfing. Da war ich wirklich auf mich zurückgeworfen. Erst dachte ich, mein Gott, was soll schon sein. Dann fallen eben mal zwei Vorstellungen aus und ich mache etwas Urlaub.
Nach drei Wochen ist mir doch ein bisschen die Decke auf den Kopf gefallen. Dann beschäftigt man sich mit Blödsinn. Ich hab angefangen, Lego zu puzzeln, danach zu malen.
Irgendwann wurde es doch böse, seinen Beruf nicht ausüben zu dürfen. Also habe ich mit Dreharbeiten für verschiedene Kunstprojekte angefangen, nachdem junge und auch ältere Künstler mit ihren Ideen auf mich zugekommen sind und fragten, ob ich das machen möchte. Das war nicht unanstrengend und sehr fordernd. So habe ich die Zeit ganz gut überbrückt.
Was mir wirklich abhanden kam, ist das, was ich am liebsten tue: Den Leuten Geschichten zu erzählen. Im Theater, in der Kirche, auf der Bühne.
Mit dem Postdampfer hoch in die Lofoten
TAG24: Mir ist aufgefallen, dass sie ihren großen, silberfarbenen Ring nicht tragen.
Ben Becker: An der Stelle bin ich jetzt tätowiert. Irgendwann habe ich ihn abgenommen. Ich weiß nicht, warum. Da hatte ich so eine Phase, wo er mir zu viel war. Neulich habe ich ihn tatsächlich mal wieder getragen. Nun liegt er zu Hause an einem sicheren Ort und bleibt immer bei mir.
TAG24: Woher haben Sie ihn?
Ben Becker: Das ist ein Erbstück von einem Freund. Er hat ihn mir gegeben und sagte 'Jetzt ist es deiner'. Zwei Monate später war er tot. Davon wusste aber niemand etwas. Und deshalb halte ich diesen Ring sehr in Ehren. Angefertigt hat ihn eine Juwelierin in München, es ist ein Einzelstück.
TAG24: Unser letztes Interview im März 2020 endete damit, dass Sie von Dresden schwärmten. Waren Sie inzwischen wieder dort?
Ben Becker: Ich bin oft in Dresden und trete dort auch auf. Das letzte Mal liegt aber schon eine Weile zurück. Dresden steht auf jeden Fall fest in meinem Tourplan. Das Publikum ist wunderbar und aufgeschlossen.
TAG24: In der Lesung ist das Stichwort Landkarte gefallen. Sind Sie dieses Jahr schon verreist?
Ben Becker: Ich habe tatsächlich eine kurze Pause gemacht und bin nach Norwegen gefahren, mit dem Postdampfer hoch in die Lofoten. Das war immer ein Traum von mir und eine gute Vorbereitung auf die Flussfahrt, um die es in Conrads "Herz der Finsternis" geht.
Ich habe mir eine Außenkabine gemietet und dann die Fjorde angekuckt. Es ist sehr beeindruckend, wenn man da reinfährt. Ich lag den ganzen Tag mit einem Fernglas im Liegestuhl an Deck. Gucken, das reicht. Das war mir aktiv genug.
Große Literatur für das Publikum
TAG24: Wann sind Sie das erste Mal auf Joseph Conrad aufmerksam geworden?
Ben Becker: Das weiß ich nicht mehr, das ist so lange her. Da war ich noch auf der Schauspielschule, als ich ihn für mich entdeckt habe und nicht viel älter als 20. Plötzlich habe ich alles von ihm verschlungen.
TAG24: Auch auf das Werk bezogen: Welche sind Ihre Zerreißpunkte und wie gehen Sie damit um?
Ben Becker: Am besten lässt man sie gar nicht zu. Nah an einem Zerreißpunkt zu sein kennt wohl jeder von uns. Ob das in einer Beziehung oder Freundschaft oder beruflicher Natur ist, oder wann man an seine Grenzen kommt und sagt, jetzt kann ich nicht mehr.
Als Künstler und Schauspieler tanze ich gerne auf dem Drahtseil. Das sorgt natürlich für Spannung und große Faszination beim Publikum - und auch beim Tänzer selbst. Nur ist das alles vorbei, wenn man runterfällt. Deswegen sollte man sich doch möglichst oben halten, und wenn es mit einer Hand ist, mit der man sich wieder hochzieht.
Den Punkt des Zerreißens als solchen habe ich noch nicht überschritten. Sonst würde ich hier so nicht sitzen. Aber... gefühlt, gerochen, geschmeckt habe ich ihn. Ich weiß, dass es ihn gibt. Mit diesem Zerreißpunkt im ersten Satz als Opener hat Joseph Conrad wohl alles richtig gemacht, wenn er uns so auf eine Reise ins Grauen mitnimmt. Das zeugt von literarischer Größe.
Tourneestart, Tickets und Termine
TAG24: Noch eine Frage zu Ihrer Schwester, Meret Becker. Während des Lockdowns beteiligte sie sich an einer Künstleraktion, die zunächst sehr umstritten war. Damals haben Sie sehr schön reagiert und sie in Schutz genommen. Wie geht es Ihrer Schwester?
Ben Becker: Der geht es gut. Sie ist in Frankreich, dort hat sie ein Haus, an dem sie rumbastelt, sofern es ihre Zeit erlaubt. Und sie dressiert ihren Pudel. Inzwischen reist sie mit ihrem eigenen Zirkus und hat einen neuen Partner auf der Bühne: das ist der Pudel. Der heißt Taxi und wenn man ihn ruft, dann kommt er auch sofort (lacht). Sie ist sehr, sehr glücklich.
Dass ich sie damals so in Schutz genommen habe, ist klar. Wenn man meine Schwester angeht, auch in der Öffentlichkeit, werde ich fuchsig. Für meine Reaktion habe ich unheimlich viel Zuspruch bekommen, was auch der etwas übereilten Aktion damals den Wind aus den Segeln genommen hat.
Die Künstler waren eben alle traurig, dass ihnen während des Lockdowns ein Arbeitsverbot auferlegt wurde. Dass sie da vielleicht einen Purzelbaum zu viel geschlagen haben, das mag sein, aber das muss man Menschen auch verzeihen, finde ich.
Wenn man meiner Schwester da einen Knüppel zwischen die Beine wirft, werde ich böse. Dann kommen wir an den Zerreißpunkt des Ben Becker.
Das neue Programm von Ben Becker kann sich sehen und hören lassen: Wenn der Charakterschauspieler das Buch aufschlägt, zieht er das Publikum mit seiner rauchigen Stimme in den Bann. Auf der Theaterbühne ist er zu Hause. Dieses Mal ist Joseph Conrads Buch seine Inspirationsquelle. Seine Reise ins "Herz der Finsternis" beginnt am 11. Oktober in München (Premiere), die Tournee schließt sich vom 8. November 2022 bis 28. Mai 2023 an. Termine und Tickets unter benbecker.de.
Titelfoto: Jens Wazel