Von der Backstube ins Bergwerk: Diese Christstollen reifen unter Tage
Willingen - In 70 Metern Tiefe wird im nordhessischen Willingen Weihnachtsstollen in einem früheren Schieferbergwerk gelagert. An dem ungewöhnlichen Ort soll das Gebäck saftig bleiben und seine Aromen entfalten.
Im Eingang zur "Grube Christine" hängen dicke Eiszapfen von der Decke. Es ist nasskalt und dunkel in dem stillgelegten Schieferbergwerk in Willingen.
Nur wenige Lampen sorgen für ein fahles Licht. Jan-Christian von der Heide steigt regelmäßig in die Grube hinab, um dort in 70 Metern Tiefe Weihnachtsstollen zu lagern.
"Wir haben den "Stollen aus dem Stollen" als Marke schützen lassen", erklärt der 31-jährige Bäckermeister. Das Gebäck reife unter Tage besonders gut.
Gebacken und eingelagert wird die Weihnachtsspezialität bereits im Sommer, verkauft wird ab September. "Unsere Familie hat immer schon Stollen gebacken, aber in kleinen Mengen für die Willinger Kunden", berichtet von der Heide, der die seit 1861 bestehende Bäckerei mit seinen Brüdern in fünfter Generation weiterführen wird. Inzwischen backe der 20 Mitarbeiter zählende Betrieb 20 Tonnen Christstollen jährlich - nach dem Rezept des Großvaters - und verschicke ihn in die ganze Welt.
"Wir haben unter anderem Bestellungen aus England, Spanien, Japan und Südafrika", zählt der Bäckermeister und geprüfte Brot-Sommelier auf. Werbung macht die Bäckerei dort selbstredend nicht. "Das läuft alles über Mund-zu-Mund-Propaganda." In Deutschland haben Luxuskaufhäuser in Berlin und München das Gebäck im Angebot.
Christstollen werden lange vor Weihnachten gebacken und müssen reifen
Es sei Tradition, den Christstollen lange vor Weihnachten herzustellen und reifen zu lassen. "Dazu hat man ihn früher in kalten und feuchten Räumen gelagert", erklärt von der Heide.
Das brachte seinen Vater Wolfgang vor 24 Jahren auf die Idee, die brotförmige Spezialität in dem ehemaligen Bergwerk im Iberg am Ortsrand von Willingen nicht weit von der Landesgrenze Nordrhein-Westfalens reifen zu lassen.
Über 100 Jahre lang wurde dort Schiefer abgebaut. 1971 war dann Schicht im Schacht - die Grube mit zwei bis 20 Meter dicken Schieferbänken in dem 6000-Einwohner-Dorf wurde zur Besichtigung freigegeben.
"Die Luftfeuchtigkeit beträgt dort ganzjährig konstant 60 bis 80 Prozent, die Temperatur vier bis acht Grad", sagt Jan-Christian von der Heide. Perfekte Bedingungen für den Christstollen, der im Kühlschrank, wo es zwar kalt, aber nicht feucht ist, trocken werden würde.
"In der Grube reift der Stollen, wird saftig und zugleich mürbe und entfaltet seine würzigen Aromen voll", erklärt er.
Beim Reifen der Stollen kommt es auf Zeit, Temperatur und Luftfeuchtigkeit an
"Bei der Reifung des Stollens kommt es auf die Lagerzeit, die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit an", sagt auch Ralf Paetzold vom Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL).
Beim Backen werde Wasser an Stärke gebunden. Nach dem Backvorgang setze die sogenannte Retrogradation ein, erläutert der Lebensmittelchemiker. Dabei gebe die Stärke das beim Backen gebundene Wasser wieder ab. Die Folge: Der Stollen wird trocken. Bei der Lagerung und Reifung im Bergwerk mit gleichbleibender Temperatur und Luftfeuchtigkeit seien die Bedingungen ideal, um das zu verhindern, erklärt Paetzold.
In der "Grube Christine" lagert von der Heide das Gebäck etwa vier Wochen, bevor er es wieder ans Tageslicht holt. Dann wird der "Christinen-Stollen" kistenweise mit dem Handwagen aus dem Bergwerk geschoben, verpackt und verschickt. Allein um den Versand kümmern sich neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, drei sind in der Produktion beschäftigt.
3000 bis 4000 Stollen jährlich verschickt die Bäckerei laut von der Heide an Großabnehmer und Privatkunden. Auch vor Ort ist der Stollen aus dem Stollen eine Attraktion: Im Anschluss an eine Bergwerksführung können angemeldete Besuchergruppen die Spezialität unter Tage probieren - flambiert mit einem Schuss Whiskey.
Titelfoto: Swen Pförtner/dpa