Stollen: Das ist erlaubt – und das ist verboten!
Dresden - Oh, es riecht gut! Am ersten Wochenende im Advent wird in vielen Familien traditionell die Vorweihnachtszeit eingeläutet mit Musik, Kerzen, Weihnachtsschmuck und Tannengrün. Der Höhepunkt an der festlichen Kaffeetafel ist dann vielerorts der Anschnitt des ersten Stollens.
Was darf es da sein? Mohn- oder Rosinenstollen? Oder doch lieber Mandel-, Nuss-, Mohn-, Marzipan-, Butter- oder Quarkstollen?
Für viele ist dies nicht nur eine Geschmacksache. Es ist fast eine Glaubensfrage!
Am Stollen scheiden sich in Sachsen und in ganz Deutschland die Geister. Die Dresdner schwören auf ihren Dresdner Christstollen. Mit dem Stollensiegel geben die Bäcker der Landeshauptstadt und des Umlandes ein Qualitätsversprechen ab.
Dresdner Christstollen wird in und um Dresden streng nach überlieferten Rezepturen und Vorgaben handgefertigt.
Als Dresdner Stollen dürfen nur jene Striezel bezeichnet werden, die lokal hergestellt wurden und - bezogen auf die Mehlmenge - mindestens 65 Prozent Rosinen/Sultaninen, 50 Prozent Butter oder Butterfett, 20 Prozent Orangeat und/oder Zitronat sowie 15 Prozent süße und bittere Mandeln enthalten.
Die Verwendung von Margarine, künstlichen Aromen oder Konservierungsstoffen ist nicht erlaubt!
"Wir sind da schon ziemlich krümelig unterwegs", räumt Bäckermeister Ralf Ullrich (44) vom Vorstand des Schutzverbandes ein. Den Bäckern ist diese Tradition heilig.
Ullrichs Berufskollege Frank Gehre sagt gar im Hinblick auf "Interpretationen" des Kultobjekts mit einem Augenzwinkern: "Das ist Blasphemie."
Immer mehr Dresdner Bäcker experimentieren beim Stollenbacken
Wahrlich nur echt mit dem Siegel? Nein, sagen immer mehr Bäcker (auch im Elbtal) und experimentieren kreativ dem Zeitgeist folgend.
Es gibt schon Stollen mit Whisky, Gin, Schokolade, Nugat und Cranberrys. Dresdens verrücktester Bäcker Rüdiger Zopp (60) präsentierte jüngst gar eine Pils-Edition. "Statt Wasser verwenden wir Bier", bringt es Zopp auf den Nenner. Der Gerstensaft verleiht dem Gebäck eine leicht herbe Note.
Auch bei der wichtigen Lagerung der Striezel gehen einige Bäcker heute lange Wege, um die Geschmacksnerven ihrer Kunden zu kitzeln.
Die Handwerker schleppen ihr Weihnachtsgebäck zum Ruhen vor dem Verkauf in alte Bergwerksstollen, tiefe Keller von Schlössern oder hoch in den Glockenturm der Frauenkirche - für mehr Genuss und Spirit.
Der Kult um den Stollen scheint inzwischen zu gären wie Hefeteig. Er wird Jahr ums Jahr größer und größer.
Stollenfest würdigt Dresdner Backtradition
Dresden feiert alljährlich am Samstag vor dem 2. Advent beim Stollenfest die Backtradition mit einem Festumzug und einem tonnenschweren Riesenstollen (Termin 2023: 9. Dezember).
Schon Wochen vor dem Advent macht das alljährlich gekürte Stollenmädchen als kulinarische Botschafterin Appetit.
In diesem Jahr nun bekam das Event Konkurrenz. Am vergangenen Samstag wurde in Blockhausen (in Dorfchemnitz) das erste Sächsische Stollenfest zelebriert. Bäcker aus dem Erzgebirge, dem Vogtland, Meißen und Dresden fertigen dafür in ihren Backstuben Stollen-Einzelstücke, die auf dem größten Tisch der Welt zu einem über 40 Meter langen Weihnachtsgebäck zusammengefügt wurden.
Mitglieder der Freiberger Berg- und Hüttenknappschaft präsentierten stimmungsvoll den Gaumenschmaus.
Vom Papst verfeinert!
Striezel, Weihnachts-, Christstollen oder einfach nur Stollen - ohne ihn sind der Advent und das Fest der Liebe für viele undenkbar.
Erstmalig erwähnt wird Stollen im Innungsprivileg der Naumburger Bäcker von 1329. Der Name des Gebäcks leitet sich vermutlich vom althochdeutschen Begriff "stollo" für Pfosten ab.
Die Form des weiß gezuckerten Gebäcks erinnert nicht nur Gläubige an das Jesuskind in Windeln.
Im Mittelalter verbot die Kirche in der Vorweihnachtszeit den Verzehr von Butter. Der fade Ur-Stollen bestand daher lediglich aus Wasser, Hefe, Mehl und Öl.
Im sogenannten "Butterbrief" erlaubte Papst Innozenz VIII. 1491 den Sachsen die Verwendung von Butter.
Umfrage: Und wie mögt Ihr es am liebsten?
Sandro (22), Fachschüler aus Dresden: "Ich esse keinen Stollen. Warum? Weil mir Kekse und Weihnachtsplätzchen einfach viel besser schmecken. Am liebsten nasche ich in der Vorweihnachtszeit Mürbeteigplätzchen und gefüllte Spitzen aus Pulsnitz. Die gibt es bei uns daheim, seit ich denken kann."
Nathalie (23), Bürokauffrau aus Unterfranken: "Der Stollen in Bayern schmeckt nicht. Aber der Rosinenstollen, den ich hier in Dresden gekostet habe, der war lecker. Schön saftig, mit vielen Rosinen und Puderzucker. Ich werde auf alle Fälle Dresdner Stollen mit nach Hause nehmen und nachmittags zum Kaffee im Advent genießen."
Petra (65), Rentnerin aus Dresden: "Ich mag Stollen sehr, aber er darf nicht so gehaltvoll und deftig sein. Ich bevorzuge Striezel mit wenig Rosinen und wenig Zucker. Das Gebäck ditsche ich dann in den Kaffee. Ich probiere gern Neues. Stollen mit Schokolade oder Beeren statt Rosinen sind für mich kein Tabubruch."
Wilfried (72) und Brigitte (71), Rentner aus Magdeburg: "Wir bevorzugen Thüringer Butterstollen. Der ist saftiger als der Dresdner. Stollen essen wir nur in der Vorweihnachtszeit - zum Kaffee. Das reicht dann auch, finden wir. Nach dem Fest wird bei uns kein Stollen mehr aufgetischt."
Steffen (64), Rentner aus Stuttgart: "Ich liebe den traditionellen Dresdner Christstollen. Den ersten Rosinenstollen schneide ich im Advent an - nicht vorher. Ein Zwei-Kilo-Stollen reicht für mich und meine Familie bis Weihnachten. Meinen Stollen kaufe ich immer in Dresden-Trachenberge beim Bäcker. Die Schwaben können nicht backen, ganz ehrlich."
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