Wer hat Schuld am tödlichen Zugunglück? Ärger über Deutsche Bahn
Garmisch-Partenkirchen - Die Bilder der zerschmetterten Waggons vor der Kulisse der Zugspitze haben sich in das kollektive Gedächtnis des Werdenfelser Landes eingebrannt. "Es war damals ein Riesenschock, dass das bei uns passiert", sagt Landrat Anton Speer (Freie Wähler) vor dem Jahrestag des Zugunglücks mit fünf Toten am 3. Juni.
Er koordinierte damals als Leiter des Katastrophenschutzes auch die 250 Einsatzkräfte. Ein Jahr nach dem Unglück von Garmisch-Partenkirchen gleichen juristische Aufarbeitung und Ursachenforschung weiter einer Sisyphusarbeit.
Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt weiter gegen vier beschuldigte Bahnmitarbeiter wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Ein Sachverständigengutachten solle klären, ob die Bahnschwellen, die Beschaffenheit des Bahndamms oder andere Umstände für das Entgleisen des Regionalzugs ursächlich waren, erklärte Oberstaatsanwältin Andrea Grape.
Der ursprünglich zu Jahresbeginn angekündigte Zwischenbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung soll nun bis zum Jahrestag des Unglücks am 3. Juni veröffentlicht werden, teilte die Bundesstelle in Bonn auf Anfrage mit.
Auch die Deutsche Bahn hält sich weiter bedeckt. "Die genaue Unfallursache ist derzeit noch nicht final geklärt", sagte eine Sprecherin.
Recherchen decken mögliche alternative Ursache für Zugunglück auf
Über Monate plagten die Bahnnutzer in der Region umfangreiche Streckensperrungen - so ist noch bis mindestens Dezember etwa die Strecke nach Mittenwald gesperrt. "Nur teilweise" funktioniert laut Landrat Speer der Schienenersatzverkehr.
"Oft kommen die Schülerinnen und Schüler nicht rechtzeitig zur Schule. Mit der Bahn haben wir immer einen Kontakt und es ist schwierig. Wir brauchen sichere Bahnstrecken, wir müssen Vertrauen in die Bahn haben", sagte Speer und klagte über Busfahrer, "die nicht wissen, wie die Fahrstrecke zu bewerkstelligen ist".
Die Bahn verweist auf ihr Investitionsprogramm für die Strecken im Werdenfelser Land über 100 Millionen Euro bis 2025. Allein 2023 würden rund 45 Kilometer Gleis erneuert. "Wie nehmen die Hinweise zum Beispiel zum Schienenersatzverkehr sehr ernst. Wo Verbesserungsbedarf besteht, versuchen wir schnellstmöglich nachzusteuern", so eine Sprecherin.
Die Bahn bleibt "nach dem aktuellen Kenntnisstand" dabei, dass der Unfall eine Folge des "Versagens von Betonschwellen" war. Das ZDF-Magazin "Frontal 21" hingegen recherchierte jüngst erneut zu einer anderen möglichen Ursache: Durch die Verlegung des Katzenbachs im Zuge des Ausbaus der Bundesstraße 2 könne der steile Bahndamm nach und nach teils unterspült worden sein.
"An Spekulationen zu angeblichen Alternativursachen wird sich die DB nicht beteiligen", sagte eine Bahn-Sprecherin dazu.
Experten: Systematische Sanierungen hätten viel früher beginnen müssen
Ein Experte hingegen hält den Umbau des Bahndamms oder eine Neugestaltung der engen Bachkurve für sinnvoll. "Im Nachhinein ist das keine Frage. Die Frage ist eher, warum das nicht vorher erkannt wurde", sagt Markus Hecht, Professor für das Fachgebiet Schienenfahrzeuge an der TU Berlin.
Zum Jahrestag an diesem Samstag will die Gemeinde mit einem Gottesdienst an die Opfer erinnern. Am 3. Juni 2022 war ein Regionalzug nach München entgleist. Dabei starben vier Frauen und ein 13-Jähriger. Dutzende Menschen wurden verletzt, einige davon schwer.
Mitte November war der Zugverkehr an der Unglücksstelle wieder angelaufen. Allein auf der Hauptstrecke zwischen Murnau und Garmisch-Partenkirchen wurden auf einer Länge von insgesamt mehr als elf Kilometern Schienen, Schotter und Schwellen erneuert. Die Bahn begann als Konsequenz des Unglücks zudem damit, bundesweit rund 200.000 Betonschwellen zu überprüfen.
Für Experten hätten systematische Sanierungen viel früher beginnen müssen.
"Die gesamte Eisenbahninfrastruktur in Deutschland wurde jahrelang vernachlässigt. Das rächt sich irgendwann. Neben der Frage der Finanzierung betrifft das auch Aspekte wie die Personalplanung, die betrieblichen Abläufe und nicht zuletzt die Fehlerkultur", sagt etwa Thomas Strang, Experte für Kommunikation und Navigation am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Titelfoto: Sven Hoppe/dpa