Fragen an Leipziger Umwelt-Forscherin: Frau Professorin, leisten wir uns die Energiewende auf Kosten der Natur?

Leipzig - Mit Ausbruch des Ukrainekriegs und der daraus resultierenden Energiekrise ist die Energiewende stärker in den politischen Fokus gerückt. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Doch zu welchem Preis? Wachsen Windräder wie Pilze in unseren Wäldern? Zerstören Solarparks unsere Landschaften?

Prof. Dr. Daniela Thrän (54) ist die Leiterin des UFZ-Departments Bioenergie.
Prof. Dr. Daniela Thrän (54) ist die Leiterin des UFZ-Departments Bioenergie.  © UFZ

Ein wissenschaftliches Team des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig beschäftigte sich mit genau diesen Fragen. TAG24 sprach mit Prof. Dr. Daniela Thrän (54), Leiterin des UFZ-Departments Bioenergie.

TAG24: Frau Thrän, Sie haben ein Monitoring entwickelt, mit dem man nachvollziehen kann, ob der Ausbau der Erneuerbaren naturverträglich verläuft. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Man kann schon sagen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung naturverträglich verläuft, weil die Faktoren, so wie wir sie messen können, eingehalten werden.

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Allerdings muss man sagen, dass man einen naturverträglichen Ausbau idealerweise auch an Vögeln oder Fledermäusen messen müsste. Das kann man aber nicht, weil dazu keine Daten da sind.

Wir haben deshalb geschaut: Werden Schutzgebiete, zum Beispiel für Vögel oder Fledermäuse, ausgespart? Gibt es einen Abstand zu diesen Parks? Und das ist der Fall.

TAG24: Worauf kommt es vor allem an, damit die Energiewende umweltverträglich verlaufen kann?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Die Energiewende verläuft ja dezentral, aber dafür braucht man eben auch Flächen und Flächen sind begrenzt. Genau da entscheidet sich die Naturverträglichkeit. Deshalb müssen Anlagen effizient sein. Effizient heißt, dass sie die Energie, die sie erzeugen können, auch wirklich erzeugen und nutzen.

Und für Wind heißt das zum Beispiel, dass größere Anlagen mehr Energie erzeugen. Repowering ist ein wichtiges Element. Und das zweite ist, dass man die Sorgfalt bei der Standortsuche weiterhin sicherstellen muss.

"Mehr Rest- und Abfallstoffe nutzen!"

Positiv: Photovoltaik-Freiflächenanlagen werden effizienter. So hat sich die installierte Anlagenleistung je Hektar seit 1990 vervierfacht. Negativ: Gleichzeitig hat sich die Photovoltaik-Fläche in Schutzgebieten seit 2010 verdreifacht.
Positiv: Photovoltaik-Freiflächenanlagen werden effizienter. So hat sich die installierte Anlagenleistung je Hektar seit 1990 vervierfacht. Negativ: Gleichzeitig hat sich die Photovoltaik-Fläche in Schutzgebieten seit 2010 verdreifacht.  © imago/Emmanuele Contini

TAG24: In welchen Bereichen läuft es bisher vorbildlich?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen werden vor allem neben Autobahnen oder an Bahngleisen aufgestellt. Das ist positiv, weil dort der Naturverträglichkeit sowieso Grenzen gesetzt sind.

Und bei Systemen mit Biomasse oder Biogas kann man sehen, dass über die letzten Jahre neben der Verstromung auch zunehmend Wärme daraus gewonnen wird. So wird aus dem gleichen Rohstoff mehr Energie gewonnen.

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TAG24: Was sollte sich ändern?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Bei der Biomasse sollte das Ziel sein, mehr Rest- und Abfallstoffe zu nutzen und keine weiteren Flächen dafür vorzusehen, sondern eher zu reduzieren. Außerdem entwickeln sich die Erneuerbaren weiter.

Wenn wir zum Beispiel Solaranlagen in der Landschaft bauen, ist die Fläche quasi verbraucht. Da gibt es neue Systeme, die heißen Agri-PV. Diese ermöglichen, dass unter der Solaranlage noch weiterhin Landwirtschaft betrieben werden kann.

Diese Systeme sind interessant, finden aber noch nicht so viel Anwendung. Es wäre eine Fehlentwicklung, wenn man solche neuen Möglichkeiten nicht nutzt. Und dann ist da die Frage: Wo sind die großen Chancen für die naturverträgliche Energiewende auch in den Städten?

TAG24: Welche Möglichkeiten gäbe es denn für eine größere städtische Produktion?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Die Städte müssen tatsächlich auch alle Möglichkeiten nutzen. In den Städten würde ich drei wesentliche Punkte sehen. Man sollte den Bioabfall als Biogas aufbereiten und nutzen. Das wird noch zu wenig gemacht.

Das Zweite ist: Die Städte müssen mehr Dachflächen für Photovoltaik-Anlagen nutzbar machen. Das hat noch viel Potenzial. Und dann kann man auch über Kleinwindanlagen nachdenken.

Biomasse hat die naturverträgliche Grenze in Deutschland erreicht. In Sachsen wächst auf etwa 13 Prozent (2020) der Ackerflächen Silomais.
Biomasse hat die naturverträgliche Grenze in Deutschland erreicht. In Sachsen wächst auf etwa 13 Prozent (2020) der Ackerflächen Silomais.  © 123RF/Animaflora

"Wollen wir das 2-Grad-Ziel von Paris schaffen, bleiben uns weniger als zehn Jahre"

Das Monitoring von Vögeln und Fledermäusen muss sich verbessern, um die Standortwahl von Windenergieanlagen (WEA) optimieren zu können.
Das Monitoring von Vögeln und Fledermäusen muss sich verbessern, um die Standortwahl von Windenergieanlagen (WEA) optimieren zu können.  © imago/imagebroker

TAG24: Werden wir mit dem Ukrainekrieg und der Energiekrise nun ein Voranbringen der Energiewende um jeden Preis erleben?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Eigentlich hat man in den 1990er-Jahren schon erkannt, dass man die Energiewende dringend braucht, um das Klima zu schützen.

Wollen wir das 2-Grad-Ziel von Paris noch schaffen, bleiben uns weniger als zehn Jahre. Wir brauchen also die Energiewende um jeden Preis. Dabei müssen Sonne und Wind einen großen Anteil liefern, auch weil sie gut bezahlbar sind. Dafür hat man sich nun darauf verständigt, dass alle Länder zwei Prozent ihrer Fläche zur Verfügung stellen müssen.

Durch die Ukrainekrise hat man aber auch erkannt, dass erneuerbare Energien ein Standortvorteil sind. Da Regionen mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien weniger stark von den hohen Preisen betroffen waren. Das wird in Zukunft noch wichtiger werden.

TAG24: Ist eine naturverträgliche 100-prozentige Energieversorgung aus erneuerbaren Energieträgern möglich?

Prof. Dr. Daniela Thrän: Ja, es ist möglich. Strom wird dabei der Energieträger der Zukunft sein, vor allem aus Sonne und Wind. Dabei brauchen wir E-Mobilität, wo es geht, und beim Heizen Wärmepumpen. Aber am Ende werden wir die Energiewende nur schaffen, wenn wir weniger Energie verbrauchen.

Die Industrie ist da schon ganz gut, die ist sehr effizient geworden. Aber die Haushalte verbrauchen noch zu viel Strom und Wärme. Wenn wir da nicht sparsamer werden, kriegen wir keine naturverträgliche Energiewende hin.

Windenergie? Sachsen hat noch viel Luft nach oben

2020 standen über acht Prozent aller Windräder in Wäldern. Für die Natur ist das kein optimaler Zustand, aber der dichten Besiedlung in Deutschland geschuldet.
2020 standen über acht Prozent aller Windräder in Wäldern. Für die Natur ist das kein optimaler Zustand, aber der dichten Besiedlung in Deutschland geschuldet.  © imago images/Westend61

Wie steht es um die Energiewende in Sachsen? Die Expertin konstatiert deutlichen Aufholbedarf.

So haben nur Thüringen und Baden-Württemberg (neben Saarland und den Stadtstaaten) weniger Windenergieanlagen (WEA) als Sachsen (2020: 879 WEA mit 1,267 MW), dafür aber mehr installierte Leistung.

Immerhin: Bei der Sonnenenergie bewegt sich Sachsen mit 412 Flächen-Anlagen und 920 MW installierter Leistung (Stand 2020) im Mittelfeld.

Der umweltfreundliche Ausbau finde hingegen in Deutschland in allen Bundesländern gleichermaßen Beachtung, erklärt Expertin Thrän.

Aber: Ein zunehmender Zubau von Erneuerbaren ist vor allem in Gebieten mit geringem Schutzstatus (Naturparks und Landschaftsschutzgebiete) zu beobachten.

In Sachsen finden sich zum Beispiel 61 Windenergieanlagen in Schutzgebieten, davon die überwiegende Zahl in Naturparks und Landschaftsschutzgebieten. Der Abstand von WEA beträgt im Mittel 950 Meter zu Schutzgebieten und wird mit steigendem Schutzstatus deutlich größer.

In sächsischen Wäldern finden sich kaum Anlagen. Bei Photovoltaik-Freiflächen befinden sich etwa 87 Hektar in Schutzgebieten, auch hier meist in Naturparks und Landschaftsschutzgebieten.

Titelfoto: UFZ

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