Interview im Kreml-Fernsehen: Zweifelt "Putins Beichtvater" etwa am Krieg?

Moskau - Der als "Putins Beichtvater" bekannte orthodoxe Bischof Tichon hat im russischen Staatsfernsehen seine Sicht der Dinge auf die russische Invasion der Ukraine dargelegt. Er sprach von einer "Tragödie", die aber "nur durch den Willen des allmächtigen Gottes" zu lösen sei.

Metropolit Tichon (64) gilt als enger Putin-Vertrauter. Doch im Interview deutet er Zweifel an der Kreml-Führung an.
Metropolit Tichon (64) gilt als enger Putin-Vertrauter. Doch im Interview deutet er Zweifel an der Kreml-Führung an.  © Russisches Staatsfernsehen "Rossija 1"

Metropolit Tichon (Bürgerlich: Georgij Schewkunow) und Wladimir Putin (70) kennen sich schon seit Jahren. Eine innige Freundschaft soll die beiden verbinden. Inzwischen ist Tichon aber weit mehr als nur der Vorsteher eines Klosters, der Mann hat sich ein regelrechtes Medienimperium aufgebaut, mit seinem Nachrichtenportal "Pravoslavie" erreicht er Millionen.

Bislang war der "Influencer Gottes" stets auf der Linie des Kremls. Doch das hat sich nun offenbar geändert. Unlängst gab der 64-Jährige dem Staatssender Rossija1 ein ausführliches interview, auch Daily Mail berichtete. Darin äußerte er sich äußerst besorgt über den Krieg, den sein Freund Putin entfesselte.

"Wir müssen darüber sprechen, womit wir aufwachen, was wir den ganzen Tag im Kopf haben und womit wir ins Bett gehen - es ist die Ukraine", sagte er mit Blick auf die wachsende Unzufriedenheit im eigenen Land.

Ukraine-Gipfel in Ramstein wird verschoben
Ukraine Ukraine-Gipfel in Ramstein wird verschoben

Und ergänzt, wie der Krieg Russland verändert: "Die Tatsache, dass wir eine noch nie dagewesene Tragödie erleben, dass dies eine absolut grundlegende und schicksalhafte Phase im Leben unseres Volkes, unseres Landes und der Ukraine ist, steht außer Frage."

Tichon hofft auf Frieden und sprach von einem "hasserfüllten Konflikt unter Brüdern" - "Auch wenn sie jetzt nicht mehr unsere Brüder sein wollen."

"Vatikan der Russich-Orthodoxen Kirche" - Die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau.
"Vatikan der Russich-Orthodoxen Kirche" - Die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau.  © ANDREY SMIRNOV / AFP

Will Putin nach der Niederlage von Cherson verhandeln?

Wladimir Putin und Metropolit Tichon besichtigen ein Kloster. (Archivbild)
Wladimir Putin und Metropolit Tichon besichtigen ein Kloster. (Archivbild)  © SERGEI KARPUKHIN / POOL / AFP

Nach der Niederlage bei Cherson, sieht sich die Putin-Armee heftigen Vorwürfen im eigenen Land ausgesetzt.

Offenbar hadert auch der mächtige Medien-Bischof Tichon mit dem Krieg. Der Frage nach der Notwendigkeit der Invasion (Im Kreml-Sprech: "Spezialoperation"), weicht er aus. Lapidar erklärte Tichon, dass sein Freund Wladimir Putin "gute Gründe" für die Entscheidung zum Krieg gehabt habe.

Bedenklich für Putin: Der Metropolit vergleicht den Kreml-Machthaber im Interview mit Zar Peter dem Großen (1672 bis 1725), der trotz seiner erfolgreichen Kriege für viele russisch-orthodoxen Kleriker der Antichrist schlechthin ist.

Orthodoxe Kirche ist ein Machtfaktor in Russland, ihr Wohlwollen könnte für den Kreml entscheidend werden

Viele Russen sind tief-gläubig. Die Orthodoxe Kirche soll nach eigenen Angaben rund 100 Millionen Mitglieder haben - Das wären mehr als 60 Prozent aller Russen.
Viele Russen sind tief-gläubig. Die Orthodoxe Kirche soll nach eigenen Angaben rund 100 Millionen Mitglieder haben - Das wären mehr als 60 Prozent aller Russen.  © Yasuyoshi CHIBA / AFP

Ein baldiges Ende der Feindseligkeiten sieht Tichon indes (noch) nicht. "Wie kann das Problem gelöst werden, nach allem, was geschehen ist?", fragte er sich und antwortete sogleich selbst: "Nur Gott, der Allmächtige, kann das alles lösen, daran habe ich keinen Zweifel." Er bete, dass alles "glücklich und friedlich" endet.

Bislang schweigt Putin zu den jüngsten Geschehnissen. Doch Beobachter wollen mittlerweile Verhandlungsbereitschaft bei der russischen Führung erkennen. Tichons Interview passt in dieses Bild.

Die Russisch-Orthodoxe Kirch ist seit jeher eng mit dem Staat verbunden. Mehr als 100 Millionen Gläubige soll sie umfassen. Für viele ist sie eine der mächtigsten Organisationen in Russland überhaupt, mit dem Potenzial Millionen zu mobilisieren.

Titelfoto: Montage: ANDREY SMIRNOV / AFP, SERGEI KARPUKHIN / POOL / AFP

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