Weihnachtsmarkt-Besuch mit Hund: "Fast alle zeigen Stress-Symptome"
Deutschland - Dezember ist Weihnachtsmarkt-Zeit! Dort, wo sich viele Menschen für heiße Spezialitäten zusammendrängen, entdeckt man sie hier und dort zwischen zahllosen Beinen und langen Mänteln: Hunde. Dass die Vierbeiner sich dort unwohl und gestresst fühlen, weiß Hundetrainerin Stella Soares (28).
Im Interview mit TAG24 sprach Stella, Coach für bedürfnisorientiertes Hundetraining, über ihre Erfahrungen mit Hunden auf Weihnachtsmärkten.
"In der Regel zeigen fast alle Hunde auf Weihnachtsmärkten mittlere bis starke Stress-Symptome", verriet die 28-Jährige, die niemals ihren eigenen Hund in den Glühwein- und Lebkuchen-Trubel mitnehmen würde.
Podenco-Kangal-Mix Lola (3) kam aus dem bulgarischen Tierschutz zu Stella und "hatte früher viel Angst, sei es vor anderen Hunden, Geräuschen, aber auch vor allem anderen Menschen, sodass sie teilweise gar nicht mehr aus dem Haus gehen wollte", so Stella.
Sie ist der Grund, weshalb ihre Besitzerin die Ausbildung zur Hundetrainerin absolvierte. Stella sieht sich allerdings eher als "Coach für Menschen mit Hund".
Besuch auf dem Weihnachtsmarkt wenig bedürfnisorientiert
"Hinter jedem unerwünschten Verhalten eines Hundes, sei es ein Anbellen von anderen Hunden, ein Leinenziehen oder exzessives Jagdverhalten, steckt ein bzw. stecken ganz oft mehrere unerfüllte hündische Bedürfnisse", erklärt Stella.
Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, welche Bedürfnisse nicht erfüllt werden, und das Mensch-Hund-Team mit ganzheitlichen Lösungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Den Weihnachtsmarkt sieht die Hundetrainerin nicht als Ort, um die Bedürfnisse eines Hundes zu erfüllen. Im Gegenteil: "Die Menge an Reizen, also Menschen, Geräuschen, Gerüchen etc., ist einfach sehr viel auf einmal für Hunde und führt schnell zu Stress und Überforderung", meint Stella.
Gestresste Vierbeiner erkennt man an ihrer Körpersprache: "Hecheln, angelegte Ohren, ein sichtbares Augenweiß, aber auch die lange Maulspalte, die oft als Lächeln fehlinterpretiert wird", sind teilweise zu beobachten.
Wenn Angst hündisches Verhalten frisst
Auch äußert sich akuter Stress durch unerwünschtes Verhalten: "Wenn mein Hund stark an der Leine zieht, bellt oder fiept, in die Leine beißt", zählt Stella ein paar Beispiele auf. Gleichzeitig warnt sie vor dem "stillen Stress", also wenn der Hund in sich gekehrt und ganz still wird.
"Wir TrainerInnen sagen dazu: Angst frisst Verhalten", erklärt die 28-Jährige und rät deshalb, genau auf die Körpersprache der eigenen Fellnase zu achten.
Das sollte man vor dem Weihnachtsmarktbesuch mit Hund unbedingt beachten
Und wenn es doch nicht anders geht und die eigene Fellnase mit muss? "Einen Puffer aufbauen, um den Stress und die Aufregung abzufangen."
Und das geht am besten, indem man vor dem Besuch so viele hündische Bedürfnisse wie möglich befriedigt: "Viel Schnüffeln und Erkunden, freie Bewegung, Futter, Zeit mit der Bezugsperson, Schlaf und Entspannung", so die Hundetrainerin.
Die 28-Jährige rät außerdem dazu, den Besuch mit Fellnase "unter der Woche zu einer ruhigeren Uhrzeit, zu der nicht viel los ist", zu planen.
Kleine Hunde kann man hochnehmen oder in eine Tragetasche setzen und so vor Reizen abschirmen.
Bei einem großen Hund kann man sich abwechseln. "Während der eine über den Weihnachtsmarkt schlendert, bleibt der andere abseits und unterstützt den Hund."
Hundemäntel: Unnötiges Accessoire oder sinnvoll für alle Rassen?
Stellas Tipp für kleine und große Hunde an besonders kalten Weihnachtsmarkt-Tagen: "Ein Hundemantel schützt vor der Kälte." Denn weder in der Tasche noch auf dem Boden können die Vierbeiner sich ausreichend bewegen, um ihre Temperatur zu regulieren.
Vorsicht ist geboten! Auch auf Weihnachtsmärkten für Hunde
Winzlinge wie Chihuahuas oder Yorkshire Terrier werden schneller übersehen als große Hunde.
"Wir Menschen sind um ein Vielfaches größer als sie und wirken dadurch auch noch bedrohlicher", erklärte Stella.
Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland einige Weihnachtsmärkte für Hunde, auf denen die Mitnahme der Vierbeiner durchaus erwünscht ist. Doch den Besuch stuft die Trainerin als "nicht weniger anstrengend" für die Vierbeiner ein.
"Je mehr Artgenossen auf einem Fleck sind, desto schwieriger ist das für viele Hunde", sagt Stella, die auch hier auf die Mitnahme ihrer Hündin Lola verzichten würde.
Hunde-Training auf dem Weihnachtsmarkt: Ist das eine gute Idee?
"Gutes Training findet immer da statt, wo unser Hund
sich sicher fühlt und ein Gefühl von Kontrolle über die Situation hat", erklärt Stella. Eine Menschenmenge, bei der viel Glühwein fließt, ist kein solcher Ort.
Die Hundetrainerin weiß: "Kommen Kontrollverlust, Überforderung und Stress ins Spiel, findet keine positive Verknüpfung mehr mit Menschen bzw. der Menschenmenge statt, eher im Gegenteil: So können Ängste erst entstehen oder sich festigen."
Einem selbstsicheren Hund, der kein Problem mit Menschen hat, würde sie einen Weihnachtsmarkt-Besuch als Trainingsgelegenheit an einem Vormittag unter der Woche aber schon zutrauen - mit einem professionellen Trainer an der Seite.
Sie rät allerdings zu fairen, gewaltfreien Methoden. Ein Training basierend auf Einschüchterung und Angst hat nämlich kein Hund verdient.
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