Hunde als Pädagogen: Labrador Rocky erobert die Kita!
Memmingen/Poing - Für Besitzerin Luisa Fischer ist der zweijährige Labrador-Rüde Rocky ein seltenes Goldstück, ein festes Familienmitglied. Für viele Kinder ist das Tier wichtiger Bestandteil ihres Alltags, ein täglicher Grund zur Freude. Damit nicht genug: Sogar auf offizieller Ebene ist der Vierbeiner etwas Besonderes, eine Rarität. Seit wenigen Monaten ist der grau-braune Hund im städtischen Heinrich-Galm-Kindergarten in Memmingen als Kita-Hund tätig.
Tierische Mitarbeiter dieser Art werden bundesweit seit einigen Jahren in einzelnen Kindertagesstätten eingesetzt - in Bayern sind sie bisher eher ungewöhnlich. "Ich wüsste im Allgäu keinen zweiten", sagt Luisa Fischer. Bis ihr Rocky Teammitglied in der Einrichtung wurde, war es jedoch ein langer Weg.
"Den Traum von einem Kita-Hund hatte ich schon weit, bevor Rocky bei mir eingezogen ist", sagt Fischer. Die staatlich geprüfte Erzieherin schrieb schon ihre Facharbeit über tiergestützte Pädagogik. Zentral geht es dabei darum, welchen Mehrwert Tiere in der Kinderbetreuung bieten.
Als Fischer vor zwei Jahren die Leitung des Memminger Kindergartens übernahm, begann sie, ihr Wunschprojekt zu realisieren. "Zunächst galt es, den Träger - die Stadt - ins Boot zu holen", berichtet die 30-Jährige.
Sie erarbeitete ein pädagogisches Konzept, in dem sie die Vorteile für ihre Kindergartenkinder ebenso beschrieb wie den Alltag mit Hund.
Stadt übernimmt Teil der Haltungskosten
Und damit hatte sie Erfolg: "Das Konzept hat uns überzeugt. Wo die Ressourcen da sind, da kann Neues geschaffen werden", sagt Bernhard Hölzle, der Leiter des Amts für Kindertageseinrichtungen der Stadt Memmingen.
Die Stadt übernimmt auch 30 Prozent der Kosten, die für die Haltung des Vierbeiners anfallen. "Er ist ja ein Mitarbeiter", sagt Hölzle mit einem Lachen.
Er plädiert dafür, Neuerungen offen gegenüberzustehen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Und das sind bei einem Kita-Hund nicht wenige: Das Tier braucht auch grünes Licht vom Veterinäramt, dem Gesundheitsamt und der Versicherung der Einrichtung, um in den Dienst starten zu können - die Zustimmung der Eltern vorausgesetzt.
"Aber da hatten wir Glück. In fast allen Fällen haben die Eltern den Vorschlag positiv aufgenommen", erzählt Fischer. Den anderen machte sie das Angebot, innerhalb des Hauses in eine andere Gruppe zu wechseln.
Zwei Jahre Eingewöhnung für den Kita-Hund
"Nachdem all diese Hürden genommen sind, heißt es aber noch lange nicht, dass alles funktioniert", sagt Fischer. Das hänge individuell von jedem Tier ab - davon, wie es auf Kinder und Lärm reagiere oder sich erziehen lasse.
Zwei Jahre lang gewöhnte Fischer Rocky deswegen im Kindergarten ein und besuchte zahllose Kurse in der Hundeschule. Nun kommt der Hund an vier Tagen mit in die Einrichtung und absolviert pro Arbeitstag zwei Einsätze von je 45 Minuten Dauer.
Darin geht Fischer gemeinsam mit Hund und Kindern spazieren, spielt im Garten oder lässt den Nachwuchs das Verhalten des Tieres beobachten. "Für die Kinder, die nicht neu im Kindergarten sind, wollen wir künftig auch einen Hundeführerschein anbieten, in dem sie mehr über Rocky lernen können", sagt Fischer.
Vom Mehrwert tiergestützter Pädagogik ist Fischer ebenso überzeugt wie Daniela Märkl. Die Erzieherin des Kindergartens "Kleine Hände - große Taten" im oberbayerischen Poing (Landkreis Ebersberg) hält mit dem vierjährigen Mini Australian Shepherd Bjarki ebenfalls einen Kita-Hund und ist sich sicher:
"Gerade für Kinder, die keine Tiere zu Hause haben, ist ein Kita-Hund gut. Sie lernen, mit dem Tier umzugehen und empathisch auf es zu reagieren."
Hund hat beruhigende Wirkung auf die Kinder
Seit vier Jahren ist Märkls Hund bereits im Dienst. "Ich habe klar beobachtet, dass das Tier eine beruhigende Wirkung auf die Kinder hat", sagt die Poingerin, die einen ebenso langen Weg wie Fischer hinter sich gebracht hat, bevor aus Bjarki ein Kita-Hund wurde.
"Gerade anfangs war es schwierig. Es gibt keine konkreten Vorgaben, keinen einheitlich vorgeschriebenen Weg, den man gehen muss, um einen Kita-Hund heranzuziehen."
Zwar müssen alle Kita-Hunde vor Dienstantritt die genannten Kriterien erfüllen. Bei dem Thema tiergestützte Pädagogik handle es sich aber um Einzelfallentscheidungen vor Ort, bestätigt Bayerns Sozialministerium. Auch eine übergeordnete Stelle, die die Tiere erfasst, gibt es laut beiden Erzieherinnen nicht.
Das Ministerium wiederum verweist auf die jeweils für die Region zuständigen Jugendämter, steht Kita-Hunden aber nicht ablehnend gegenüber.
"Der Einsatz eines Hundes im pädagogischen Alltag kann bei einzelnen Kindern zur Beruhigung oder Verhaltensregulation beitragen", heißt es vonseiten des Ministeriums.
Kita-Hund stärkt Verantwortungsgefühl der Kinder
Märkl entschied sich aufgrund fehlender offizieller Strukturen dazu, ein Seminar zum Thema Kita-Hunde im hessischen Groß-Gerau zu besuchen.
"In anderen Bundesländern ist man schon weiter als hier", sagt die 25-Jährige. Beispielsweise auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Brandenburg gibt es Einrichtungen, die spezielle Fortbildungen anbieten.
Die Stadt Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt setzt in zwei ihrer Kitas regelmäßig Hunde ein. "Die tiergestützte Pädagogik nutzt die positive und einmalige Wirkung der Tiere", berichtet der Kita-Betreiber.
Durch den täglichen Umgang mit Hunden werden bei den Kindern das Selbstvertrauen und das Verantwortungsgefühl gestärkt. Zudem würden kommunikative und motorische Fähigkeiten auf ganz natürliche Weise gefördert.
Hundebesitzerin Fischer spürte schon öfter das Interesse, aber auch die Unsicherheit von Kolleginnen. Nachdem bekannt wurde, dass sie einen Kita-Hund hat, hätten sich einige interessierte Erzieherinnen bei ihr gemeldet, "um zu erfahren, wie ich das gemacht habe", sagt sie.
Für die Zukunft haben beide Erzieherinnen Luisa Fischer und Daniela Märkl den gleichen Wunsch: dass Kita-Hunde auch in ihrer bayerischen Heimat keine Rarität mehr sind.
Titelfoto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa