Erdbeben, Tsunami oder Vulkanausbruch: Können Tiere Katastrophen vorhersagen?
Deutschland - Immer wieder berichten Menschen aus aller Welt von merkwürdigen Begebenheiten in der Tierwelt, kurz bevor es zu einem großen Unglück kam. Aufgeregt jaulende Hunde, Schlangen, die tagsüber ihre Verstecke verlassen oder Vogelschwärme, die eilig das Weite suchen. Doch was ist dran an diesem vermeintliche sechsten Sinn? Können Tiere wirklich eine Naturkatastrophe vorhersehen?
Wissenschaftler sind der Sache bereits seit Jahren auf der Spur und kommen zu spannenden Erkenntnissen.
Kurz vor dem Tsunami in Südostasien, der am 26. Dezember 2004 Tausende von Menschenleben forderte, kam es zu merkwürdigen Verhaltensweisen im Tierreich. Elefanten, Affen, Leoparden, Krokodile, Wasserbüffel und viele weitere Arten flüchteten bereits mehrere Stunden, bevor der Tsunami auf die Küste traf, ins Landesinnere. Kaum ein Tier starb.
Für die Einheimischen erweckte es nach der Katastrophe den Anschein, als hätten die Tiere geahnt, was kommt und so rechtzeitig reagiert.
Dabei handelt es sich um keine Ausnahmeerscheinung. Es gibt noch viel mehr Beispiele, die beweisen, dass Hunde, Vögel, Schlangen, Ziegen und sogar Kröten oft lange im Voraus eine Gefahr erahnen. Seien es nun Erdbeben, Überschwemmungen, Wirbelstürme oder Vulkanausbrüche.
Selbst die Wissenschaft ist mittlerweile sehr daran interessiert, sich die Frühwarnsysteme der Tierwelt zunutze zu machen. Ein Beispiel:
Um rechtzeitig gewarnt zu sein, wann der Vulkan Ätna auf der Insel Sizilien das nächste Mal ausbricht, vertraut man hier seit einigen Jahren auf Ziegen. Der deutsche Biologe Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz stattete die Tiere bereits vor knapp 10 Jahren mit Sendern aus und registrierte ihr ständiges Bewegungsmuster.
Als die Ziegen am 4. Januar 2012 plötzlich vor den Flanken des Vulkans flohen, konnten die Wissenschaftler erahnen, dass Gefahr im Verzug ist. Und tatsächlich: In der Nacht auf den 5. Januar kam es zu einer heftigen Eruption, bei der Lavafontänen aus dem Inneren des Vulkans schossen.
Die Ziegen hatten Recht behalten.
Wieso spüren Tiere Naturkatastrophen eher als Menschen?
Zeitgenössische Berichte, in denen von den besonderen Fähigkeiten einiger Tierarten gesprochen wird, findet man zuhauf. Und tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass einige Tierarten bemerkenswerte Fähigkeiten und Verhaltensmuster entwickelt haben, um auf Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen oder Stürme rechtzeitig zu reagieren.
Kein Wunder, dass auch die Forschung stark daran interessiert ist, dem vermeintlich sechsten Sinn der Tiere auf die Spur zu kommen. Schließlich gibt es bisher noch keine ausgereifte technische Lösung, die zuverlässig Vorhersagen zu drohenden Unglücken macht. So lässt sich ein Erdbeben nur wenige Minuten vorhersagen, während idealerweise Stunden nötig wären, um die Menschen eines betroffenen Gebiets rechtzeitig zu evakuieren.
Umso hilfreicher wäre es, sich an gewissen Tierarten zu orientieren, sozusagen als natürliches Frühwarnsystem für Katastrophen.
Doch zu diesem Zweck musste erst einmal nachgewiesen werden, dass einige Tiere tatsächlich mehr spüren als andere und ihre rechtzeitige Fluchtstrategien in der Vergangenheit nicht nur auf Zufällen beruhten.
Warum die Wissenschaft nicht an einen "sechsten Sinn" glaubt
Auch wenn man die Beobachtungen, die man in der Tierwelt vor einer Katastrophe wahrnimmt, ernst nehmen müsse - ein Mechanismus, der dieses Verhalten zweifelsfrei erklärt, wurde bisher noch nicht gefunden. So zumindest die einhellige Meinung deutscher Forscher.
Um Laborbedingungen zu erzeugen, wäre es nötig, dass man einen Tsunami oder ein Erdbeben künstlich erzeugen kann, um dann bestimmte Tierarten in ihrem Verhalten zu beobachten.
Abgesehen davon, dass sich mit wissenschaftlichen Methoden ein vermeintlicher sechster Sinn nur schwer nachweisen lässt, so wäre der Aufwand dafür mit viel Zeit und Geld verbunden.
Unwahrscheinlich, dass in Zukunft diese ohnehin knappen Ressourcen für das Forschungsgebiet zur Verfügung stehen.
Dennoch kommen die Wissenschaftler auf Grundlage ihrer bisherigen Erkenntnisse zu einem wichtigen Schluss.
Dass Tiere einen sechsten Sinn für drohende Naturkatastrophen haben, halten sie für ausgeschlossen. Vielmehr ist es so, dass Elefanten, Vögel und Kröten ihre fünf Sinne einfach anders und dadurch viel besser nutzen als wir Menschen.
Hochempfindliche Sensoren warnen Tiere vor drohendem Unglück
Der Wiener Professor Helmut Kratovil hegt die Vermutung, dass die geflüchteten asiatischen Elefanten den Tsunami spüren konnten, lange bevor dieser auf die Küste traf.
Elefanten sind dazu in der Lage, Infraschalllaute, die unter der menschlichen Hörschwelle liegen, wahrzunehmen. Dabei hören sie den Infraschall weniger über ihre Ohren, sondern spüren ihn vielmehr über Druckrezeptoren in ihren Füßen und der Rüsselspitze. Um als Mensch Vergleichbares wahrnehmen zu können, bräuchte man sehr empfindliche Messinstrumente.
Gut möglich also, dass der heranrollenden Welle im Ozean seismische Wellen vorausgingen, die die Elefanten als Infraschall spürten und richtig einzuschätzen wussten.
Und auch bei ähnlichen, vibrationsempfindlichen Tieren wie Kröten und Schlangen besteht die Vermutung, dass sie durch ihre feine Sensorik ungewöhnliche Veränderungen der Terristik wahrnehmen können.
Bei Erdbeben könnte das Ganze etwas anders aussehen. Eine Theorie, die Helmut Tributsch, Professor für Physikalische Chemie an der FU Berlin hegt, hängt mit elektrostatischer Aufladung in der Luft zusammen. So ließen sich vor einem Erdbeben in der Regel Veränderungen in der Atmosphäre nachweisen, da warme Gase aus dem Boden gepresst werden, die positiv geladene Schwebstoffe in hoher Konzentration freisetzen. Diesen könnten demnach einige Tiere wahrnehmen und mit Unruhe oder Flucht reagieren.
Icarus - Tierbeobachtung aus dem All
Auch wenn nicht zweifelsfrei die Ursache geklärt ist, warum sich Tiere schon Stunden oder Tage vor einem Unglück merkwürdig verhalten, so wollen Forscher dieses Potenzial zum Katastrophenschutz nicht ungenutzt lassen.
Das deutsch-russische Projekt Icarus versucht, sich das Frühwarnsystem der Tiere effektiv zunutze zu machen.
Dabei statten Forscher Tiere mit Mini-Sendern aus, die anschließend mit Hilfe der Internationalen Raumstation (ISS) beobachtet werden.
Bisher werden unter anderem Ziegen, Zugvögel, Bären und Papageien in Nicaragua mit einem solchen Sender ausgestattet.
"Das System erlaubt uns nicht nur zu beobachten, wo ein Tier ist, sondern auch, was es gerade tut", meint Martin Wikelski, der auch schon das Ziegenprojekt am Ätna leitete.
"Wir könnten ein globales System intelligenter Sensoren einsetzen, um die Welt zu beobachten."
Schwarmintelligenz spielt hierbei eine große Rolle. Durch die große Menge an Daten, die entsteht, kann der Mensch grundlegend neue Erkenntnisse gewinnen. Von der Forschung am Icarus-Projekt sollen der Tierschutz, die Medizin sowie der Katastrophenschutz profitieren.
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Fazit: Können Tiere Naturkatastrophen zuverlässig vorhersagen?
Obwohl vieles darauf hindeutet, dass bestimmte Tiere Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis und ähnliches bereits lange zuvor spüren, konnte bisher ein abschließender wissenschaftlicher Beweis nie gegeben werden. Häufig aus dem Grund, weil sich bestimmte Ereignisse unter Laborbedingungen nicht wiederholen lassen. So konnte man letztlich nicht genau nachweisen, ob Zufall oder ein tief verankertes Wissen über die drohende Gefahr zur rechtzeitigen Flucht führten.
Mit dem Projekt Icarus zeigt sich jedoch, dass Forscher sehr wohl daran interessiert sind, sich die Intelligenz und das sensorische Bewusstsein einiger Tierarten zum Tier- und Katastrophenschutz zunutze zu machen.
Man darf gespannt bleiben, zu welchen Erkenntnissen die Wissenschaft in den kommenden Jahren noch kommen wird.
Titelfoto: Unsplash/Matt Hardy/Gautam Arora/TAG24-Fotomontage