Katholiken fragen sich: "Wer braucht die Kirche noch?"

Stuttgart - Inmitten einer Kirchenkrise wird am Donnerstag in Stuttgart der 102. Deutsche Katholikentag fortgesetzt.

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (73, CDU) verwies darauf, dass erstmals eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr Mitglied in einer der beiden großen Kirchen sei.
Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (73, CDU) verwies darauf, dass erstmals eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr Mitglied in einer der beiden großen Kirchen sei.  © Christoph Soeder/dpa

Unter anderem diskutieren der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing (61), und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert (32) über das Thema "Wer braucht noch die Kirche?".

Der Katholikentag mit 1500 Veranstaltungen findet erstmals seit vier Jahren wieder in Präsenz statt. Allerdings werden bis Sonntag viel weniger Teilnehmer erwartet als sonst, etwa 25.000. Darunter sind allein 7000 Mitwirkende.

Zum Katholikentag 2018 in Münster waren noch 90.000 Menschen gekommen. Ein Grund für den Rückgang dürfte die Corona-Pandemie sein.

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Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp (66), sagte jedoch, die niedrigeren Anmeldezahlen hätten auch damit zu tun, dass dieƒbrauch katholische Kirche durch eine "krisenhafte Situation" gehe.

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (73, CDU) verwies am Mittwochabend darauf, dass neuerdings erstmals eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr Mitglied in einer der beiden großen Kirchen sei.

Viele Menschen träten aus der Kirche aus, weil sie der Meinung seien, dass sie ihren Glauben auch ohne sie leben könnten. An den Bischofskonferenz-Vorsitzenden Bätzing gewandt, sagte Lammert: "Sie werden meinem Eindruck nicht völlig widersprechen wollen, dass neben denen, die seit langem keine Bindung zur Institution Kirche mehr hatten, jetzt zunehmend die gehen, die eine solche Bindung hatten."

Frauen belästigt: Bätzing verteidigt Beförderung von Pfarrer

Georg Bätzing (61), der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Georg Bätzing (61), der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.  © Sebastian Gollnow/dpa

Bätzing verteidigte am Mittwochabend die umstrittene Beförderung eines Pfarrers, der Jahre zuvor zwei Frauen belästigt haben soll. Der Vorfall liege schon viele Jahre zurück, und der Priester habe Reue gezeigt und sich entschuldigt, sagte Bätzing der Deutschen Presse-Agentur.

Gleichzeitig betonte er: "Jede Art von Belästigung, von Übergriffigkeit, sowohl verbal als auch körperlich, ist ein No-Go. Und das akzeptiere ich in keinster Weise."

Durch die Zeit-Beilage "Christ & Welt" war am Dienstag bekanntgeworden, dass Bätzing in seinem Limburger Bistum einen Pfarrer trotz Vorwürfen sexueller Belästigung zum Bezirksdekan berufen hatte.

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Der Priester soll im Jahr 2000 eine evangelische Pfarrerin in Ausbildung sexuell belästigt haben, später auch eine angehende Gemeindereferentin.

Auf die Frage, warum er ausgerechnet diesen Pfarrer befördert habe, antwortete Bätzing: "Kann ich einen Priester, der vor 15 Jahren einen Fehler begangen hat, den er einsieht, für den er Reue zeigt, für den er um Entschuldigung gebeten hat und eine Strafe gezahlt hat - kann ich die unendlich lange vorhalten?"

Der hochbeliebte Pfarrer sei von der großen Mehrheit der Seelsorgerinnen und Seelsorger in seinem Bezirk für die Funktion des Dekans vorgeschlagen worden. Als Bischof sei er diesem Votum letztlich gefolgt. "Es ist kein Fauxpas. Sondern ich habe im Abwägen der Gesamtsituation diese Entscheidung getroffen."

Widerstand gegen deutschenAktualisiert: Reformprozess

"Es ist relativ leicht, uns Spaltung vorzuwerfen und auf der anderen Seite nicht bereit zu sein, mit uns ins Gespräch zu gehen", sagt Irme Stetter-Karp (66), die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
"Es ist relativ leicht, uns Spaltung vorzuwerfen und auf der anderen Seite nicht bereit zu sein, mit uns ins Gespräch zu gehen", sagt Irme Stetter-Karp (66), die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.  © Marijan Murat/dpa

Gegen den derzeitigen Reformprozess der deutschen Katholiken gibt es nach den Worten von Georg Bätzing, "massive Gegenbewegungen" in der katholischen Weltkirche.

"Ich bekomme all die schönen Briefe und beantworte sie auch freundlich, höflich, aber hoffentlich auch entschieden", sagte Bätzing am Donnerstag in einer Diskussion über den Zustand der Kirche beim Katholikentag in Stuttgart.

Zuletzt hatten konservative Bischöfe aus den USA und anderen Ländern in einem Offenen Brief gegen den "Synodalen Weg" in Deutschland protestiert.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp (66), sagte, den deutschen Katholiken werde vorgeworfen, die Weltkirche zu spalten.

Sie kritisierte jedoch: "Es ist relativ leicht, uns Spaltung vorzuwerfen und auf der anderen Seite nicht bereit zu sein, mit uns ins Gespräch zu gehen." Der Vatikan akzeptiert als Gesprächspartner nur die Bischöfe und nicht die im ZdK vertretenen Laien.

Der Synodale Weg ist ein seit 2019 laufender Reformprozess. Dabei geht es um vier Themenbereiche: die katholische Sexualmoral, den Umgang mit Macht, die Stellung der Frau und die priesterliche Pflicht zur Ehelosigkeit (Zölibat).

Kritik an Umgang der Kirche mit Ukraine-Krieg

Kramatorsk (Ukraine): Ein Anwohner geht an einem durch russischen Beschuss zerstörten Haus vorbei.
Kramatorsk (Ukraine): Ein Anwohner geht an einem durch russischen Beschuss zerstörten Haus vorbei.  © Andriy Andriyenko/AP/dpa

Die Haltung der Kirche zum russischen Angriff auf die Ukraine ist beim Katholikentag in Stuttgart auf Kritik gestoßen. Die Theologin Regina Elsner warf Papst Franziskus am Donnerstag Zögerlichkeit vor.

"Der Papst traut sich nicht, in die Ukraine zu reisen", sagte Elsner und vertrat die Ansicht, der Papst nehme damit Rücksicht auf die Russisch-Orthodoxe Kirche.

Es sollte weiterhin einen Dialog geben, aber keine freundlichen Grußworte des Vatikans an Russland, forderte die Wissenschaftlerin vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin.

Zugleich forderte sie einen neuen Umgang deutscher Kirchenvertreter mit der Russisch-Orthodoxen Kirche.

Diese unterstütze den Krieg gegen die Ukraine und missbrauche zudem zynisch die Ökumene, die eigentlich das Ziel der Versöhnung habe, sagte Elsner. "Wir müssen überprüfen, mit wem wir dort künftig sprechen."

Der Beauftragte für Humanitäre Hilfe vom Weltkongress der Ukraine, Andrij Waskowycz, zeigte Verständnis für die Forderungen seines Landes nach Waffenlieferungen. Die Ukraine kämpfe um ihr Überleben, sagte der ehemalige Präsident der Caritas Ukraine.

Im Westen sei das Bewusstsein für die Grausamkeiten des Krieges erst seit den Verbrechen von Butscha angekommen. Dabei herrsche in der Ukraine bereits seit Jahren Krieg, sagte Waskowycz. Bei Kirchenvertretern in Deutschland nehme er dagegen unterschiedliche Strömungen im Umgang mit dem Ukraine-Krieg wahr.

Die Theologin Elsner betonte, niemand mache es sich leicht bei der Frage nach Waffenlieferungen. Der Krieg sei auch für die Kirchen eine Herausforderung. Die Friedensethik müsse sich künftig neu aufstellen.

Aktualisiert: 15.04 Uhr

Titelfoto: Christoph Soeder/dpa

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