Alleine im Wald: Wie eine Frau seit mehr als 70 Jahren in der Wildnis Sibiriens überlebt
Abakan (Russland) - In der Wildnis Sibiriens lebt eine von vielen Russen hochverehrte Frau. Die Einsiedlerin Agafja Lykowa (79) bewohnt dort seit jeher eine Holzhütte - ganz allein, nur auf sich gestellt. Nun wurde die rüstige Dame von einer Expedition besucht.
Weil sie sich vom Sowjet-Regime verfolgt fühlte, flüchtete Agafja Lykowas Familie irgendwann in den 1930er Jahren in die Ödnis Sibiriens, ins Abakangebirge. Dort bauten sie sich eine bescheidene Hütte, lebten fortan völlig isoliert von anderen Menschen.
Erst 1978 wurde die Familie von Geologen entdeckt, die auf der Suche nach Bodenschätzen waren. Mittlerweile sind ihre Eltern und auch ihre Geschwister verstorben. Seit 1988 lebt die Einsiedlerin ganz alleine in ihrer Hütte im Wald.
Gelegentlich kommen Geistliche, Naturfreunde und Neugierige auf einen Tee und Plausch vorbei. Manchmal bleiben die Gäste auch länger. Doch das passiert selten.
Nun gab es große Sorge um die Einsiedlerin. Die Menge an Schmelzwasser aus den Bergen war dieses Jahr ungewöhnlich hoch, sagten Vertreter der Russischen Technischen Universität von Moskau, in einer Mitteilung. Eine beispiellose Flut habe im Frühling Agafajas Schuppen, in dem sie ihr Werkzeug aufbewahrt, hinfort gerissen. Auch ihre Vorräte an Brennholz waren weg. Der Weg zur Wasserstelle blockiert.
Man habe deswegen im August eine Expedition aus Studenten und Forschern organisiert, um die Einsiedlerin mit dem Nötigsten auszustatten und um nach dem Rechten zu sehen. Eine Anreise mit Boot oder Hubschrauber war nicht möglich, die Helfer kamen stattdessen zu Fuß.
Nach dem Besuch bei Agafja Lykowa berichten die Expeditionsteilnehmer
Nun kehrten die Expeditionsteilnehmer wieder heim, berichtet aktuell die Zeitung "KP".
Die Flut habe sie ganz gut überstanden, machte die 79-Jährige deutlich. Doch die letzten Monate waren wahrlich kein Zuckerschlecken für die rüstige Einsiedlerin. Zuerst die Flut, dann tobte ein heftiger Sturm, riss Bäume wie Streichhölzer um.
Und dann war da noch der hungrige Braunbär, berichten die Forscher. Das Tier habe sie ordentlich auf Trab gehalten, kam ständig an die Hütte, lungerte auf dem Hof herum. Die Einsiedlerin musste gar Warnschüsse mit ihrer Pistole abgeben.
Agafja war verständlicherweise sehr besorgt, rief mit dem Satellitentelefon, das sie für Notfälle vorhält, bei den Behörden an. Die eintreffenden Helfer konnten die Bärendame verscheuchen. Inzwischen kann die 79-Jährige wieder ganz entspannt durch die Wälder um ihre Hütte streifen, um Pilze und Beeren zu sammeln. Die fünf Ziegen, die sich hält und aus deren Milch sie Käse zubereitet, blöken vergnügt vor sich hin.
Auch einen neuen Zaezdiok, einen traditionellen Angelzaun, bauten die Freiwilligen mit der Einsiedlerin. Den alten spülte die Flut weg.
Doch auf jeden Fall braucht die Einsiedlerin Hilfe, berichten die Expeditionsteilnehmer.
Agafja Lykowa hätte gerne eine helfende Hand
Es gehe ihr zwar blendend, doch das Alter macht ihr zu schaffen. Agafja Lykowa hätte gerne eine helfende Hand, sie sucht nach einem Assistenten. Doch der muss den Segen der Kirche haben.
Darauf besteht die überzeugte Christin, die der Gemeinschaft der Altgläubigen innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche angehört.
Bewerber gebe es dem Vernehmen nach einige, doch die Einsiedlerin gilt als eigensinnig.
Finanziell ist die 79-Jährige übrigens gut abgesichert. Der bekannte Oligarch Oleg Deripaska (55) gilt als ihr Gönner und soll die Expedition finanziert haben.
Titelfoto: Russische Technische Universität (MIREA) via YouTube/ТВ МИРЭА