Mythos Jakobsweg: Wo die Strecke das Ziel fast in den Schatten stellt
Santiago de Compostela - Herausragende Zeugnisse der Menschheits- und Naturgeschichte, von unschätzbarem Wert und unersetzlich - das ist das UNESCO-Welterbe. Insgesamt 1154 Kultur- und Naturdenkmäler in 167 Ländern, davon 51 in Deutschland, tragen bisher den Titel. In unserer Reihe "Welterbe entdecken" widmen wir uns diesen einmaligen Denkmälern. Diesmal begeben wir uns auf Pilgerreise - entlang des Jakobswegs und des Kumano Kodo.
Im Mittelalter galten Rom und Jerusalem als die wichtigsten Pilgerzentren. Doch bald entwickelte sich auch das spanische Santiago de Compostela zu einem bedeutenden Pilgerziel.
So glaubte man Anfang des 9. Jahrhunderts, die Gebeine des Apostels Jakobus in Galicien gefunden zu haben. Der Legende nach soll dieser auf der iberischen Halbinsel das Christentum gepredigt haben. Als er nach Palästina zurückkehrte, wurde er 44 nach Christus enthauptet.
Seine Jünger sollen den Leichnam auf ein unbemanntes Boot gebracht haben, das nach sieben Tagen in Galicien anlandete. Wo heute die berühmte Kathedrale in Santiago de Compostela steht, soll einst sein Körper bestattet worden sein und ein göttliches Licht später den Weg zum Grab gewiesen haben.
So viel zur Legende. Was danach geschah, ist Geschichte. Um dem wachsenden Pilgerstrom gerecht zu werden, wurde zunächst eine Kapelle, dann eine Kirche und schließlich ab 1075 eine Kathedrale errichtet.
Die Pilger kamen dabei von überall. Deshalb gab es nicht den einen Jakobsweg, sondern ein weit verzweigtes Wegenetz in Europa. Welchen Weg die Pilger nahmen, war egal. Einzig das Ziel war nach dem Codex "Liber Sancti Jacobi" klar definiert: Santiago de Compostela. Die galicische Stadt erhielt bereits 1985 den Welterbetitel verliehen, genauer die Altstadt mit ihren romanischen, gotischen und barocken Bauwerken.
Im Jahr 2015 kamen fast 1500 Kilometer Strecke zum Welterbe dazu
Als bekanntester und meistbesuchter Jakobsweg gilt der etwa 760 Kilometer lange Camino Francés, der sich von den Pyrenäen bis nach Santiago erstreckt und seit 1993 den Welterbetitel trägt. Traditionelle Startpunkte sind Saint Jean Pied de Port (Frankreich) oder Roncesvalles (Spanien).
Unterwegs münden weitere Pilgerwege in den "klassischen Jakobsweg" bzw. können alternative Abzweigungen gewählt werden. Zu den schönsten Sehenswürdigkeiten unterwegs zählen die mittelalterliche Brücke Puente la Reina über dem Fluss Agra, die Stadt Astorga mit Kathedrale und Bischofspalast sowie die Burg in Ponferrada.
1998 erhielten schließlich auch die vier französischen Zubringer Via Lemovicensis (von Vézelay), Via Podiensis (von Le Puy), Via Tolosana (von Arles) und Via Turonensis (von Paris) als "Wege der Jakobspilger in Frankreich" den Weltkulturerbestatus zugesprochen.
Erweitert wurde auch der spanische Titel 2015 um wichtige, historische Routen in Nordspanien, die insgesamt ein Wegenetz von fast 1500 Kilometern umfassen. Darunter der Camino Primitivo und der Camino del Norte, die zu den ältesten Jakobswegen zählen.
Die "Compostela" gibt es nur unter diesen Bedingungen
Besonders der Camino del Norte mit seinen gut 800 Kilometern gehört zu den anspruchsvollsten, aber auch schönsten Jakobswegen. Er verläuft auf weiten Strecken parallel zur kantabrischen Küste und gibt atemberaubende Ausblicke aufs Meer preis.
Der Camino Primitivo, mit Ausgangspunkt in Oviedo, gilt hingegen als ursprünglichste Strecke. Um 830 soll ihn König Alfons II. für die überhaupt erste Pilgerfahrt zum Grab Jakobus' genutzt haben. Die gut 300 Kilometer führen dabei kaum über Asphaltstraßen und mitten durch die Natur.
Heute weisen die traditionelle Jakobsmuschel und seit 1984 auch ein gelber Pfeil den Weg nach Santiago de Compostela. Die Muschel wurde bereits im Mittelalter zum Symbol der Pilger, nachdem sie posthum als Erkennungsmerkmal für den Heiligen Jakobus eingeführt worden war. So war es Brauch, nach der Ankunft in Santiago noch weiter zum 60 Kilometer entfernten Cap Finisterre zu gehen, um dort eine echte Jakobsmuschel aus dem Meer zu fischen.
Übrigens erhalten Pilger nur dann die begehrte "Compostela", also Urkunde, wenn sie mit ihrem ausgefüllten Pilgerpass nachweisen können, dass sie die letzten 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Rad bzw. Pferd nach Santiago de Compostela zurückgelegt haben.
Auch in Japan wird gepilgert
Neben dem Jakobsweg gibt es nur einen weiteren UNESCO-prämierten Pilgerweg, den Kumano Kodo in Japan. Er ist Teil des Ensembles "Heilige Stätten und Pilgerwege in der Kii-Bergkette". Seit über 1000 Jahren gilt die Bergregion von Kumano als mystische und "heilige Gegend, in der die Götter verweilen".
Schon während der Heian-Zeit (794–1185) war es Tradition, dass sich die Mitglieder des Kaiserhofes auf die 30- bis 40-tägige Pilgerreise von Kyoto (damals Hauptstadt) bis in die Kii-Berge begeben. Im Laufe der Zeit wurden an diesem Ort die drei Großschreine Kumano Sanzan und der Tempel Nachisan Seiganto-ji errichtet, die seitdem Ziel der Wallfahrt sind.
Der Kumano-Glaube verschmilzt dabei die shintoistische und buddhistische Religion zu Shinbutsu-shugo und geht davon aus, dass Gottheiten in allen Dingen gegenwärtig sind. Zudem steht Kumano jedem offen, unabhängig von Klasse, Geschlecht oder Behinderung.
Entsprechend viele Menschen wagten deshalb die Pilgerfahrt, sodass man vom "Ameisenmarsch nach Kumano" sprach. Doch wie auch beim Jakobsweg ist der Kumano Kodo kein einzelner Pilgerweg. Vielmehr gibt es sieben Routen, von denen der Nakahechi-Weg als Hauptroute gilt, sowie zwei beschwerliche Bergpfade, die nur von erfahrenen Wanderern begangen werden sollten.
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