"Reichsbürger"-Prozess: Astrologin berichtet von den Machenschaften der Gruppe Reuß

München - Eine harmlose Astrologin und Esoterikerin – oder eine Putschistin und Verschwörerin, die gemeinsam mit Gleichgesinnten den Sturz der Bundesregierung plante? Das ist die Kernfrage, um die es in diesen Tagen im Münchner "Reichsbürger"-Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß (72) geht.

In München wird acht mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe Reuß der Prozess gemacht.
In München wird acht mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe Reuß der Prozess gemacht.  © Sven Hoppe/dpa

Im Zentrum: die selbst ernannte Astrologin Hildegard L., die aktuell als einzige der in München Angeklagten aussagen will. Zwei Tage lang hat sie aus ihrem Leben berichtet, nun kommt sie zur Sache.

In einer von ihren Anwälten vor dem Münchner Oberlandesgericht verlesenen Erklärung wehrt sie sich gegen zentrale Anklagevorwürfe: Sie bestreitet insbesondere, eine terroristische Vereinigung mitgegründet zu haben und gezielt Kontakte zur Ausspähung des Deutschen Bundestages vermittelt zu haben.

Zudem weist sie zurück, dass die Gruppe einen gewaltsamen Umsturz vorbereitet habe: "Wir hatten keinen Putsch geplant."

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L. und sieben weitere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Reuß stehen seit Juni in München vor Gericht. Das ist die Gruppe, die nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia Ende 2022 bekanntgeworden war. In Frankfurt stehen Reuß und die mutmaßlichen Rädelsführer vor Gericht, in Stuttgart mutmaßliche Mitglieder des "militärischen Arms".

Die insgesamt 26 Beschuldigten sollen laut Anklage einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant und dabei bewusst Tote in Kauf genommen haben. L. soll zu den Gründungsmitgliedern gehört und später immer wieder neue Mitglieder rekrutiert haben, etwa die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann (59), deren "astrologische Beraterin" sie war.

"Reichsbürger"-Prozess in München: "Aktivität" im Bundestag?

Einsatzkräfte führen in Frankfurt den mutmaßlichen Rädelsführer der Vereinigung, Heinrich XIII Prinz Reuß (71, 2.v.r.), zum Polizeifahrzeug. (Archiv)
Einsatzkräfte führen in Frankfurt den mutmaßlichen Rädelsführer der Vereinigung, Heinrich XIII Prinz Reuß (71, 2.v.r.), zum Polizeifahrzeug. (Archiv)  © Boris Roessler/dpa

L. argumentiert in ihrer Erklärung vor Gericht, man habe keinen Putsch geplant – vielmehr sei man davon ausgegangen, dass eine sogenannte "Allianz" mehrerer Nationen gegen die Regierung vorgehen und eine "richtige Demokratie" errichten würde.

Sie räumt aber ein, gehört zu haben, dass dem Einschreiten der "Allianz" wohl auch eine "Aktivität" eines in Frankfurt angeklagten Ex-Militärs im Bundestag gefolgt wäre. Die Bundesanwaltschaft betrachtet Behauptungen von Mitgliedern der Gruppe - man habe selbst keine Gewalt ausüben wollen, sondern ausschließlich die "Allianz" - nach ihren Ermittlungen als widerlegt.

Insbesondere weist L. zurück, dass sie die Vereinigung Ende Juli 2021 mitgegründet habe. Hintergrund des damaligen Treffens sei die Ablehnung der staatlichen Anti-Corona-Politik gewesen und die Sorge vor einer zwangsweisen Impfung von Kindern.

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"Wir wähnten uns damals in Not wegen der Corona-Maßnahmen." Sie habe sich aber mit niemandem zu irgendetwas verabredet, sie habe nichts gegründet, sie habe deshalb auch niemanden für irgendein Vorhaben rekrutieren können.

Und sie habe auch niemandem gezielt den Kontakt zu Malsack-Winkemann vermittelt, um so eine Ausspähung des Bundestages zu ermöglichen.

"Reichsbürger"-Gruppe Reuß: Ein Schießtraining als "Bubensache"?

Die Vorsitzende Richterin Dagmar Illini im Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe Reuß.
Die Vorsitzende Richterin Dagmar Illini im Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe Reuß.  © Sven Hoppe/dpa

Allerdings: Von einem späteren Schießtraining habe sie gewusst, räumt L. in ihrer Erklärung ein – dies aber für eine "Bubensache" gehalten, der sie nichts habe abgewinnen können.

Und sie wusste demnach auch von Plänen für Heimatschutzkompanien, die die Polizei hätten ersetzen sollen, hörte bei Treffen außerdem von angedachten "Säuberungen". "Und ich habe es unreflektiert wiedergegeben. Ich wünschte, ich hätte solche Dinge nie gesagt."

Immer wieder heißt es in L.'s Erklärung, sie habe Darstellungen und Verschwörungstheorien auf einschlägigen Telegram- und anderen Kanälen damals für bare Münze genommen und "irgendwann für die alleinige Wahrheit" gehalten.

So soll sie auch daran geglaubt haben, dass staatliche Eliten Kinder in unterirdischen Tunnelsystemen gefangen halten, um aus ihren Körpern ein Verjüngungselixier zu gewinnen.

"Ich bedaure heute mit reichlich Abstand, dass ich all diese Dinge unkritisch übernommen und weiterverbreitet habe", trug ihr Anwalt nun vor. Sie habe die Corona-Maßnahmen als Angriff auf Freiheit und Gesundheit wahrgenommen. "So hat sich das hochgeschaukelt."

Tatsächlich bestreitet L. aber dann nicht, an mehreren Sitzungen des "Rats" der Vereinigung (ähnlich einem Kabinett einer rechtmäßigen Regierung) teilgenommen zu haben, aber nicht als "vollwertiges Mitglied".

Die Treffen, Gespräche, Chats, die die Anklage akribisch aufgelistet hat, kann sie kaum bestreiten, tut dies auch nicht.

Und dennoch bleiben Fragen offen. Etwa: Warum blieb sie bis zum Ende dabei, wenn sie doch Dinge erfuhr, von denen sie sich heute zu distanzieren versucht? Oder war sie eben doch nicht die harmlose, gutgläubige Astrologin, als die sie sich auszugeben versucht? Das Gericht dürfte viele Nachfragen haben.

Titelfoto: Sven Hoppe/dpa

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