AfD-Politikerin brachte "Reichsbürger" in Bundestag

Karlsruhe - Wie detailliert sich mutmaßliche "Reichsbürger" auf die bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes und die Verhaftung von Regierungsmitgliedern sowie Abgeordneten vorbereitet haben, geben Unterlagen des Bundesgerichtshofs (BGH) preis.

Laut aktueller Ermittlungen schauten sich mehrere Reichsbürger im Regierungsviertel um.
Laut aktueller Ermittlungen schauten sich mehrere Reichsbürger im Regierungsviertel um.  © Christoph Soeder/dpa

Demnach hatte die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann (58) Mitbeschuldigte durch das Regierungsviertel geführt. Einer der Männer machte Fotos und Videos vom Paul-Löbe-Haus, in dem Büros und Sitzungssäle der Parlamentarier sind, dessen unterirdischen Zugängen zu anderen Gebäuden, einschließlich des Reichstags sowie vom Inneren des Plenarsaals des Bundestages.

Hintergrund sind die Ermittlungen rund um eine Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene Anfang Dezember. Für 22 der Festgenommenen hatte der BGH vor wenigen Wochen die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeordnet.

Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß (71) als einen der mutmaßlichen Rädelsführer soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren. Die Beteiligten hätten auch Tote in Kauf genommen.

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Den Planungen zufolge sollten bis zu 16 Menschen das Reichstagsgebäude erstürmen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des sogenannten Kommando Spezialkräfte (KSK) oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei.

Einer der Mitbeschuldigten soll 50.000 Euro beigesteuert haben, um das Vorhaben umzusetzen. Ein anderer verschaffte sich den Angaben zufolge mehrere Hundert Schuss Munition, sechs Gewehrmagazine, Nachtsichtgeräte, Fesselungsmaterial, weitere Militärausrüstung und einen Totschläger.

Malsack-Winkemann verschickte Informationen

Gegen Birgit Malsack-Winkemann (58), damals Bundestagsabgeordnete der AfD, wurden heftige Vorwürfe erhoben.
Gegen Birgit Malsack-Winkemann (58), damals Bundestagsabgeordnete der AfD, wurden heftige Vorwürfe erhoben.  © Bernd von Jutrczenka/dpa

Malsack-Winkemann führte ihn und weitere Mitbeschuldigte demnach im September 2022 durch das Reichstagsgebäude, zu dem sie als ehemalige Bundestagsabgeordnete noch ungehinderten Zugang hatte und in das sie jederzeit bis zu sechs Menschen mitnehmen konnte.

Etwa drei Wochen später war sie erneut mit einem der Männer im Regierungsviertel. Er habe eine Liste mit Namen zahlreicher Mitglieder der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung sowie von weiteren Politikern, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens erstellt.

Außerdem habe die Beschuldigte Übersichten über Sitzungswochen des Bundestages für das Jahr 2022 und eine vorläufige Tagesordnung für eine Plenarwoche im September an Mitbeschuldigte versandt - solche Informationen sind prinzipiell frei zugänglich.

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Ferner habe Malsack-Winkemann eine Chatnachricht verschickt mit Angaben, wo Mitglieder der Bundesregierung zu finden sind: "Die Fuehrungscrew sitzt uebrigens bei den BT-Sitzungen auf der Regierungsbank. Wenn man auf das Rednerpult schaut, auf der linken Seite. Da sitzen sie dann geschlossen. [sic!]", heißt es im Beschluss des BGH.

Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Dezember 25 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen. Einige von ihnen wurden zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Weitere Beschuldigte gerieten nach und nach ins Visier, inzwischen wird gegen mehr als 60 Menschen - überwiegend Deutsche - ermittelt.

Im Zuge einer Razzia im Dezember 2022 konnten mehrere "Reichsbürger" festgenommen werden.
Im Zuge einer Razzia im Dezember 2022 konnten mehrere "Reichsbürger" festgenommen werden.  © Julian Rettig/dpa

AfD-Politikerin räumt Teilschuld ein

Die Ermittler stützen sich unter anderem auf Videos und Fotos, die sie bei Beschuldigten gefunden haben, auf Observationsmaßnahmen und überwachte Telekommunikation sowie Geständnisse von Verdächtigen.

Auch die ehemalige Berliner Richterin Malsack-Winkemann habe eingeräumt, Mitglied eines sogenannten Rates - dem mutmaßlichen Führungsgremium - und dort für das Justizressort zuständig gewesen zu sein, heißt es in den BGH-Unterlagen.

Ferner habe sie bestätigt, bei zwei Gelegenheiten mehrere Mitbeschuldigte durch das Reichstagsgebäude geführt zu haben, wobei diese Fotos und Videos gemacht hätten. Die "terroristische Zwecksetzung" der Gruppierung habe sie jedoch bestritten. Weder sei ein Umsturz noch ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude geplant gewesen.

Als Folge hat der Bundestag im Mai die Hausordnung sowie Zugangs- und Verhaltensregeln geändert: So wurde etwa beschlossen, ehemaligen Abgeordneten nur auf Antrag und nach einer Zuverlässigkeitsüberprüfung einen Ausweis für den Bundestag mit einer Gültigkeit nur für die aktuelle Wahlperiode auszustellen. Die Kontrollen vor der Einfahrt in die Tiefgarage wurden intensiviert.

Titelfoto: Bildmontage: Christoph Soeder/dpa, Bernd von Jutrczenka/dpa

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