Ferenc konnte Frau nicht aus Flut in Sachsen retten: "Habe ihr Schreien immer noch im Ohr!"
Grimma/Schlottwitz - Er wollte ein Leben retten, hatte gegen die Gewalt der Natur aber keine Chance: Ferenc Berenyi (67) ist trotzdem ein Held, weil er bei der Hochwasserkatastrophe 2002 sein Leben aufs Spiel setzte. Fast 20 Jahre später erinnert er sich zurück.
Tief "Ilse" bringt am 12. August 2002 ungeheuer viel Niederschlag nach Sachsen.
Besonders hart trifft es den Glashütter Ortsteil Schlottwitz, dessen Bach Müglitz sich innerhalb weniger Stunden in einen reißenden Fluss verwandelt.
Ronny Kühnel, Chef der Ortsfeuerwehr Schlottwitz, warnte mit seinen Kameraden die Spaziergänger. "Das Phänomenale ist, dass daran niemand glaubt. Die haben uns angeguckt und haben sich sicher gedacht: 'Der hat die falsche Droge genommen'", sagt er in der MDR-Sendung "Lebensretter".
Schlosser Ferenc Berenyi beendet zu dieser Zeit seine Frühschicht in den Feinmechanischen Werkstätten. Und die Versicherungsangestellte Anett Marx (35) macht sich aus Pirna auf den Weg nach Hause in Schlottwitz.
Ihr Mann Roger Marx wartet zu diesem Zeitpunkt mit dem gemeinsamen Sohn Robert (3) in der Wohnung. "Hätte ich gewusst, dass das Tal schon abgeriegelt war, hätte ich meiner Frau nicht gesagt, dass sie nach Hause kommen soll."
Genau das macht er aber. Das Wasser steigt danach immer weiter. Er ruft sie wieder an, will sie warnen, nicht nach Hause zu kommen. Doch der Empfang ist schlecht. In Schlottwitz angekommen parkt sie ihr Auto und will den Rest zu Fuß gehen. Sie kommt aber nicht weit, denn die Flut wird immer stärker.
Ferenc Berenyi will Anett Marx aus den Fluten retten: "Habe versucht, sie huckepack zu nehmen"
Auch der zehn Meter hohe Hochwasserdamm Glashütte hält den Wassermassen nicht stand. 14.30 Uhr wird er auf der gesamten Breite überströmt und bricht kurz darauf. 50.000 Kubikmeter Wasser ergießen sich innerhalb kürzester Zeit ins Tal – direkt nach Schlottwitz.
Mitten in den Fluten steht Anett Marx, die von Wasser umgeben ist und sich nicht retten kann. Ferenc Berenyi sieht sie und überlegt nicht lang. Er geht zu ihr.
"Ich habe versucht, sie huckepack zu nehmen. In dem Moment knallte etwas gegen mein Bein." Beide fallen ins Wasser und werden weggespült.
Er stößt gegen eine Hausecke und einen Baum, zieht sich an letzterem nach oben. Im richtigen Moment, als sich die Fluten etwas beruhigen, springt er ins Wasser und schwimmt, bis er Boden unter den Füßen hat. Von der Frau fehlt aber jede Spur.
Ihr Mann Roger bekommt von Bekannten den Hinweis, dass Anetts Auto am Niederschlottwitzer Ortseingang steht, was sich bewahrheitet. "Ich hab geschrien, bin zusammengesackt. Als ich das Auto gesehen hab, hab ich gewusst, sie kommt nicht wieder."
Tatsächlich: Ihre Leiche wird eine Woche später zwei Kilometer entfernt in einem Waldstück gefunden.
"Dass das nicht geklappt hat, tut mir heute noch leid. Mir kann aber keiner vorwerfen, dass ich jemanden im Stich gelassen habe", sagt Ferenc.
"Eine Zeit lang habe ich mich nicht mehr getraut, Richtung Müglitz zu laufen, weil ich das Schreien der Frau immer noch im Ohr habe. Ich bin 67 Jahre und nach so vielen Jahren kommen immer noch die Tränen."
Wie schlimm es auch die Muldestadt Grimma traf, seht Ihr bei MDR-"Lebensretter" auf Abruf in der Mediathek.
Titelfoto: Bildmontage: Screenshot/MDR-Mediathek