Zahl der Toten steigt stündlich: Bergungsarbeiten in der Türkei und Syrien laufen weiter
Istanbul - Nach den schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Tausenden Toten werden weiter viele Menschen unter den Trümmern vermutet. Tausende Gebäude stürzten ein, mehr als 4200 Menschen starben laut Angaben aus der Nacht zum Dienstag.
Bisherigen Informationen zufolge wurden in der Südtürkei und in Nordsyrien zudem mehr als 15.000 Menschen verletzt. Zahlreiche Länder sagten Unterstützung zu, auch aus Deutschland machten sich Hilfsteams noch am Montag auf den Weg.
Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Viele Menschen können nicht in ihre Häuser zurück, weil diese eingestürzt sind oder eine Rückkehr angesichts der zahlreichen Nachbeben zu gefährlich wäre.
Ein drohender Schneesturm könnte die Situation in den Erdbebengebieten nach Einschätzung der Hilfsorganisation Care noch deutlich verschärfen. Viele Straßen seien nicht passierbar. Die Türkei bat ihre Nato-Partner unter anderem um drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal für deren Einrichtung.
Angehörige und Rettungskräfte suchten bis spät in die Nacht nach Verschütteten. Das Gesundheitsministerium habe rund 4200 Helfer in das Katastrophengebiet entsandt, teilte der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca am späten Montagabend auf Twitter mit. Verletzte und kranke Erdbebenopfer würden zunächst in Zelten medizinisch versorgt und anschließend in Krankenhäuser verlegt, so der Minister in einem weiteren Tweet.
Mit aller Kraft sei man vor Ort, um das Leid zu lindern. Der Chef der Hilfsorganisation Kizilay sagte dem Sender Habertürk, man habe bereits 40.000 Blutspenden bekommen
Mittlerweile mehr als 4200 Todesopfer - Tendenz steigend
Der türkische Vizepräsident, Fuat Oktay (59), teilte am späten Montagabend mit, dass bereits 7840 Verschüttete aus den Trümmern gerettet worden seien. Es werden weiterhin Menschen lebend geborgen.
In Adiyaman wurde ein 12-jähriger Junge nach 21 Stunden aus den Trümmern gerettet, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Auch aus Diyarbakir und Sanliurfa wurden Menschen nach fast einem Tag und in eisigen Temperaturen lebendig aus den Trümmern gerettet.
Die Zahl der Todesopfer stieg unterdessen auf mehr als 4200. Der Vorsitzende der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad, Yunus Sezer, gab in der Nacht zum Dienstag die Zahl der Toten im eigenen Land mit 2921 an. Außerdem seien 15.834 "unserer Bürger" verletzt. In Syrien kamen nach Angaben des Gesundheitsministeriums sowie der Rettungsorganisation Weißhelme von Montagabend mindestens 1300 Menschen ums Leben.
Das Hauptbeben am Montagmorgen hatte nach Afad-Angaben eine Stärke von 7,7, das Epizentrum lag im südtürkischen Kahramanmaras.
Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie die Erdbebenwarte Kandilli meldete. Der türkische Katastrophenschutz Afad verzeichnete bis Dienstagmorgen 243 Nachbeben.
Staatstrauer in der Türkei - mehrere Länder sichern Unterstützung zu
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) sprach vom schwersten Beben seit 1939 und verkündete eine einwöchige Staatstrauer. In dem betroffenen Bereich habe es seit etwa 900 Jahren kein so großes Beben mehr gegeben, sagte die Geologin Charlotte Krawczyk vom Geoforschungszentrum Potsdam der ARD. Ob und wann weitere große Beben folgen, könne nicht vorhergesagt werden.
Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden in das Erdbebengebiet. Das Technische Hilfswerk (THW) bereite die Lieferung von Notstromaggregaten, Zelten und Decken vor, kündigte Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (52, SPD) am Montag an.
Auch Notunterkünfte und Anlagen zur Wasseraufbereitung könnten bereitgestellt werden. EU-Staaten wollen sich untereinander abstimmen. Hilfszusagen kamen unter anderem auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.
US-Präsident Joe Biden (80) sicherte Erdogan persönlich Unterstützung zu. Die beiden hätten am Montag telefoniert, teilte das Weiße Haus mit. In dem Gespräch habe Biden versichert, dass die USA dem Nato-Verbündeten Türkei "jede erforderliche Unterstützung" zur Bewältigung der Tragödie zukommen ließen. Rettungsteams aus den USA würden schnell in die Türkei entsandt, um die Rettungs- und Bergungsarbeiten in dem Erdbebengebiet zu unterstützen und den Menschen vor Ort zu helfen.
Eines der am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete war die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies dürfte dort die staatliche Nothilfe erschweren. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg in Syrien kontrollieren Regierungstruppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel des Landes.
Titelfoto: CAN EROK / AFP