Zurück aus dem Jenseits: Betroffene erzählen von ihren Nahtod-Erfahrungen
Dresden - Was passiert, wenn wir sterben? Vielleicht wissen es Menschen, die schon einmal auf der Schwelle zwischen Leben und Tod gestanden und eine Nahtoderfahrung erlebt haben?!
Sie berichten oft von einem grellen Licht, einem langen Tunnel, fühlten sich schwerelos, zutiefst zufrieden und voller Liebe. Was erleben Menschen, wenn sie dem Tod ins Auge blicken?
Zwei Schicksalsgeschichten zum Auferstehungsfest Ostern, die vom Sieg des Lebens über den Tod künden.
Mirjam Hentschel: "Ich habe Gott gesehen"
Was heute bereits beim Neugeborenen-Screening getestet wird, erfuhr Mirjam Hentschel (51) erst im Alter von acht Jahren, als auch ihre jüngste Schwester dieselbe Diagnose erhielt: Mukoviszidose.
Durch die genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung verstopfte bei ihr zäher Schleim nach und nach die Lunge. Das Atmen fällt dabei schwer. Die Lunge vernarbt langsam.
Als im Mai 2007 nach einem Arztwechsel bei einer Lungenentzündung zu wenig Antibiotika verordnet wurde, kam es zum Sauerstoffmangel - Atemnot.
"Ich überlegte permanent, wie ich wohl zum nächsten Atemzug komme", erinnert sich die 51-Jährige. "Ich bekam über eine Nasensonde Sauerstoff, doch die Ärzte hatten vergessen, das Kohlendioxid abzuführen."
Das Letzte, woran sie sich noch erinnert, war am Abend das Gefühl, etwas wirr und wie beschwipst zu sein.
Intensivstation, Kohlendioxidvergiftung, Koma!
Am Tag danach hat sich ihr Zustand weiter verschlechtert. Sie kommt auf die Intensivstation - Kohlendioxidvergiftung! Alle ihre Organe sind befallen, sie fällt ins Koma.
Die Ärzte geben sie schließlich auf, rufen ihre Familie zusammen, damit sie sich von ihr verabschieden kann. Ihr Ehemann, die Eltern und ihre Schwester sitzen am Krankenbett, als Mirjam einen furchtbaren Todeskampf mit Krämpfen durchleidet, sich stöhnend hin und her wirft.
"Davon habe ich nichts mitbekommen. Ich stand schon an der Schwelle zum Himmel, hatte keine Schmerzen, keine Atemnot, keine Angst. Den Ort, an dem ich war, empfand ich als total warm und hell. Ich hatte das Gefühl, eine goldene Kugel in mir zu haben. Ja, ich war im Himmel - keine Frage", ist sich die religiös aufgewachsene Mirjam ganz sicher.
"Ich stand in einer Wolke aus Liebe und war nicht allein. Schemenhaft sah ich die Umrisse einer Gestalt ohne Gesicht vor mir. Es war Gott und ich war eins mit ihm. Von unten drangen viele Stimmen hinauf. Es waren die Gebete für mich, die direkt an mein Gegenüber gingen - an Gott", erzählt Mirjam.
Und weiter: "Ich hörte meine Schwester beten, nimm sie uns nicht weg. Gott antwortete, wenn ihr sie wiederhaben wollt, bekommt ihr sie, aber ihr müsst sie so nehmen, wie sie zurückkommt. Doch ich war zufrieden da oben und wäre gern dort geblieben."
Mirjam Hentschel ist zurück im Leben
Plötzlich ist sie wieder im Leben - wie, das weiß Mirjam nicht mehr. "Nur, dass ich am nächsten Morgen schon wieder Marmeladenbrot gegessen habe."
Fortan muss sie mit einem Sauerstoffgerät leben. Tag und Nacht. Sieben Jahre lang. Erst 2014 sind all ihre Strapazen nach einer Lungentransplantation beendet.
"Ich kann wieder Pferde selbst satteln, mit den Hunden über die Wiese rennen. Ich bekam ein neues Leben geschenkt", freut sich die Physiotherapeutin und Pferdeosteopathin."Mehr Geschenke kann niemand bekommen. Dafür bin ich dankbar und schiebe nichts mehr auf im Leben."
Jedes Jahr feiert sie am Jahrestag des 15. Mai 2007 mit einer extra kreierten Kerze und einem besonderen Frühstück den Tag der Nahtoderfahrung. "Meinem Mann hatte Gott damals versprochen, dass wir zusammen Silberhochzeit feiern werden", sagt Mirjam.
Gott hielt Wort. 2021 wurde groß gefeiert.
Simone Freude leidet an Polyzystischer Nierendegeneration
Sie arbeitete als Bürokauffrau, liebte das Campen. Doch ausgerechnet während ihrer Schwangerschaft vor der Geburt ihres Sohnes 1987 erfuhr Simone Freude (56) aus Dresden-Laubegast, dass sie an Polyzystischer Nierendegeneration (PKD) leidet.
Dabei wuchern Zysten (gutartige, flüssigkeitsgefüllte Hohlräume) im Gewebe von Organen, bis diese schließlich versagen. Die Ursache liegt in einem erblichen Gendefekt.
2013 wurde die Krankheit akut. Simone musste die linke Niere entfernt und sie fünfmal in der Woche zur Blutreinigung an die Dialyse angeschlossen werden. Rettung bot nur eine Transplantation. Doch manche Patienten warten bis zu 15 Jahre auf eine geeignete Spenderniere.
Als auch in der Verwandtschaft dafür niemand infrage kam, entschloss sich ihr Ehemann, eine seiner Nieren zu spenden.
"Das war doch selbstverständlich", sagt Andreas (58) bescheiden. "Ich hatte zwar mit 'B' eine andere Blutgruppe, doch die harmonierte mit der universellen Blutgruppe '0' meiner Frau."
Links tat sich ein Abgrund auf
Im Mai 2014 lagen beide in der Dresdner Uniklinik auf Station, als die rechte Niere von seinem Körper als linke in ihren eingepflanzt wurde. Ein Liebesbeweis der ganz besonderen Art. Alles ging gut. Bis 2017. Da war plötzlich auch die Leber von Zysten überwuchert und versagte.
Erneut bot sich ihr Mann als Spender an, verzichtete zugunsten seiner Simone auf mehr als die Hälfte seiner Leber: "Meiner Frau ging es sehr schlecht. Wir mussten einen Urlaub abbrechen und sie wurde mit dem Rettungshubschrauber zur Transplantation in die Leipziger Uniklinik geflogen."
Die Zyste war im Bauchraum aufgegangen - Blutvergiftung!
Vor der rettenden Übertragung schwebte Simone vier Wochen lang zwischen Leben und Tod. "Diese Zeit ist völlig aus meinem Bewusstsein gestrichen. Ich hatte sogar eine Nahtoderfahrung. Dabei stand ich auf einem langen schmalen Pfad. Auf der einen Seite war ein Abgrund und ein grelles Licht zog mich magisch an. Auf der anderen Seite lief das gewohnte Leben ab. Genau da wollte ich wieder hin", erinnert sie sich.
Die Krankenschwestern berichteten später, sie habe sich in dieser Phase die Nasensonde und die lebenserhaltenden Schläuche aus dem Körper ziehen wollen. Simone musste schließlich ans Bett fixiert werden.
Simone Freude: Ihr Mann hat ihr zweimal das Leben gerettet
Sie ging in ihrem verwirrten Zustand des Delir am Ende auf die Seite des Lebens und wurde wieder gesund. Jetzt trägt sie ihren Andreas nicht nur für immer im Herzen, sondern seine Niere und Leber in ihrem Körper. Ihr Mann hatte ihr zweimal das Leben gerettet.
"Seitdem lebe ich intensiver, nehme im Frühjahr zum Beispiel die Schneeglöckchen viel eindringlicher wahr. Und wir feiern gleich dreimal im Jahr Geburtstag", sagt sie. Einmal ihr wahres Geburtsdatum, dann den Tag der Nierentransplantation am 15. Mai 2014 und der Lebertransplantation am 17. Oktober 2017. Traditionell wird dann immer ein Kuchen gebacken.
Die Spenderorgane haben sogar Spitznamen erhalten: "Die Niere nennen wir 'Hugo', die Leber ist 'Louis'."
Ihren Job als Gehaltsbuchhalterin musste sie zwar aufgeben, ist seitdem Rentnerin. "Im Mai geht es mit unserem neuen Wohnwagen wieder nach Dänemark bis hoch nach Skagen", freut sie sich schon.
Das helle Licht, das ihr den Weg zum Leben direkt neben dem Abgrund wies, wird sie nie mehr vergessen.
Titelfoto: Montage: Archiv, Alexander Keutz, Eric Münch