Von Christiane Oelrich
Luzern (dpa) - Mit Jesus plaudern und ihn um Rat fragen: Das ist der Traum vieler Christen. In einer Kapelle in der Schweiz ging das, zumindest virtuell: Sie hat mit künstlicher Intelligenz einen Jesus kreiert, der in einem Beichtstuhl Rede und Antwort stand.
"Friede sei mit Dir, mein Freund", sagt der KI-Jesus etwa gütig. "In Zeiten der Unsicherheit und des Zweifels erinnere Dich daran, dass Glaube Berge versetzen kann. Was bedrückt Dein Herz heute?"
Der KI-Jesus sei eine experimentelle Kunstinstallation, betonen die Oberen der Peterskapelle in Luzern.
Es sei nie um einen Ersatz für echte Beichtgespräche gegangen, sagt Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter. Der KI-Jesus wurde mit harten Fragen trainiert und mit dem neuen Testament gefüttert, sagt er.
Die Worte der Besucher wurden aufgenommen und in einen Computer gespeist. Die Antwort wurden mit ChatGPT generiert und von dem Avatar dann geäußert.
KI-Jesus hat oft veraltete Ansichten
"Ich war oft überrascht, wie gut die Antworten waren", sagt Schmid. Manchmal habe er gedacht: "Hey, das hätte ich auch so gesagt."
Viele Kirchen experimentieren mit KI. Zum Reformationstag 2023 bot die Evangelische Kirche im Rheinland etwa einen KI-gesteuerten Avatar von Martin Luther an, der Fragen beantwortete.
Mühe mit dem Luzerner Design hat Theologin Anna Puzio (30) aus Münster. Sie befasst sich an der Universität Twente in den Niederlanden unter anderem mit Technikethik und betont, dass sie sehr offen sei für KI im religiösen Raum. "Da wird als Jesusbild ein sehr westlich geprägter Mann mit Bart erzeugt - das ist ein Bild, das wir in der Theologie schon lange überwunden haben."
Das gelte auch für viele Antworten, so Puzio. Die KI nutze unreflektiert Datenmaterial aus alten religiösen Schriften und erzeuge damit zum Beispiel ein überholtes Bild der Frau: "Das stärkt alte religiöse Vorstellungen, die in der Theologie längst als überholt gelten, und auch fundamentalistische Tendenzen in der Kirche."
Theologin Puzio betont aber auch: KI-Anwendungen verursachten durch die nötige Rechnerleistung mit viel Strom hohe Emissionen. Das sei mit der Verantwortung für die Schöpfung kaum in Einklang zu bringen. Besser sei es weniger, aber verantwortungsvolle KI-Projekte zu entwickeln.
Gespräch mit KI-Jesus regt religiös-spirituell an
Das Projektteam wertet die rund 900 Gespräche von 18- bis 70-Jährigen nun weiter aus. Für Datenschutz hat KI-Jesus selbst gesorgt: "Er hat am Anfang erklärt, dass alles aufgenommen wird und dass man bitte keine persönlichen Informationen geben soll, das haben Besucher per Knopfdruck bestätigt."
KI in der Kirche könne helfen, wenn Menschen sich aus Scham erst mal keinem Seelsorger anvertrauen wollen, meint Schmid. So ein Gespräch könne ein erster Schritt zur Öffnung sein. Eine Autistin habe ihm gesagt, das Gespräch mit dem KI-Jesus sei einfacher für sie gewesen, weil sie sich schwer auf andere Menschen einlassen könne.
In der Kapelle waren immer Seelsorger zur Hand, falls jemand von der Begegnung aufgewühlt gewesen wäre. Das sei nicht passiert, aber viele Leute hätten Gesprächsbedarf gehabt, weil sie neugierig und fasziniert waren.
Der KI-Jesus war ein zweimonatiges Experiment, geschaffen mit der Hochschule von Luzern, das bis Oktober lief. 60 Prozent von 290 Menschen, die nach ihrem Gespräch mit dem KI-Jesus einen Fragebogen ausfüllten, hätten sich religiös-spirituell angeregt gefühlt